Als Heidi Klum vor einigen Monaten auf Instagram Teilnehmerinnen für ihre Model-Show suchte, regte sich bereits Kritik unter dem Motto „Not Heidi's Girl“. Ich konnte die Aufregung damals nicht nachvollziehen. Nachdem nun die erste Folge der 13. Staffel von Germany's next Topmodel ausgestrahlt wurde, kursiert ein Protestsong von Hamburger Schülerinnen im Netz, die dem TV-Format „Modediktatur“ und „Schönheitsterror“ vorwerfen. Ich habe mir die aktuelle Folge in Hinblick auf die Anschuldigungen angesehen und komme immer noch zu dem Schluss: Modediktatur ist etwas ganz Anderes.
Die Anti-GNTM Hymne gegen die Modediktatur
Es schien so, als hätte sich die Protestwelle unter dem Hashtag #notheidisgirl beruhigt. In meinen Social-Media-Feeds taucht nun aber überall ein Musikvideo auf, das gemeinsam von der Organisation Pinkstinks, der Youtuberin LuLikes und Hamburger Schülerinnen produziert wurde. Dies ist Teil einer ganzen Kampagne gegen Germany's next Topmodel. Unterstützerinnen können sich auf der Aktionsseite sowohl den Song „Not Heidi's Girl“ herunterladen und kostenlose Protestaufkleber mit Aufschriften wie „Alle für alle, außer für dich, Heidi!“ oder „Beautystress? Oh nö!“ bestellen.
Entstanden ist ein „Feelgood-Popsong“, in dem eine Gruppe 14- und 15-jähriger Mädchen ihre Kritik unmissverständlich kundtun: Von einer strengen Modediktatur ist die Rede, sowie von Size-Zero-Models und Diätmahlzeiten. Im Refrain heißt es übersetzt dann immer wieder: „Ich bin nicht Heidis Mädchen. Ich kann alles auf dieser Welt sein.“ Während das Video auf vielen Kanälen abgefeiert wurde, hielt sich meine Begeisterung in Grenzen. Aber hör dir den Song selbst einmal an:
GNTM-Check: Einheitliches Schönheitsideal?
Natürlich handelt es sich um einen Song von jungen Mädchen, mit dem man nicht so hart ins Gericht gehen sollte. Mir ist diese Form der Kritik einfach zu platt, da ich das Gefühl habe, dass hier nur mit Phrasen und unbelegten Anschuldigungen um sich geworfen wird. Dabei ist es nicht so, dass ich ein Fan dieser wirklich unnötigen Casting-Show wäre, oder diese nicht auch schon scharf kritisiert hätte. Im Laufe meines kulturwissenschaftlichen Studiums habe ich sogar ein Seminar belegt, in dem eine komplette Staffel GNTM analysiert wurde. Ich war damals förmlich darauf gedrillt, problematische Szenen darin zu erkennen und Rassismus oder Sexismus zu benennen.
Kritik sollte man aber auch an Beispielen festmachen. Daher habe ich mich durch die erste Folge der aktuellen Staffel gequält und frage mich, ob all die #keinbildfürheidi-Aktivistinnen das überhaupt getan haben. Denn ich hatte dabei wirklich Mühe, Beispiele für Body Shaming zu finden. Vielmehr erweckte die Sendung bei mir den Eindruck, als wolle man mit aller Mühe kein einheitliches Schönheitsideal propagieren: Konzentriert wird sich vor allem auf die „ungewöhnlichen“ Kandidatinnen: Zahnlücken, Pigmentstörungen und mehr Fett auf den Rippen werden als positiv herausgestellt. So etwa wie bei der Kandidatin Sarah, die zuvor schon als eine von zwei Curvy-Models angekündigt wurde:
Natürlich ist das Herausstellen von Sarah mit ihren Kurven auch eine durchschaubare Masche: Die TV-Macher erzählen gekonnt die Geschichte einer Frau, die aufgrund ihrer Rundungen Selbstzweifel bekommt, als sie sich mit den anderen Teilnehmerinnen vergleicht. Nachdem sie aber dann von Heidi Klum beim Foto-Shooting viel Lob erhält, läuft sie schließlich selbstbewusst über den Catwalk. GNTM scheint inzwischen bewusst zeigen zu wollen: Seht her, wir zeigen auch Frauen, die nicht in gängige Modelmaße passen, dass sie schön sein können. Ähnlich sieht das übrigens auch bei der Transgender-Kandidatin Soraya aus, deren Hintergrund natürlich ebenfalls ausgeschlachtet wird, wie schon im Vorjahr bei Giuliana und Melina.
Wo ist denn nun das Body Shaming?
Natürlich bin ich nicht so naiv zu glauben, dass eine Sendung wie GNTM nun zum Vorkämpfer für ein neues, völlig verändertes Schönheitsideal wird. Ich kann in der Folge allerdings kein Beispiel für Body Shaming finden. Anders als bei Musik-Castingshows wie „Deutschland sucht den Superstar“ wurden meiner Ansicht nach hier selbst skurrile Kandidatinnen, die eindeutig keine Modelqualitäten hatten, nicht verhöhnt. Dabei wäre es bei einem realen Model-Casting selbstverständlich so, dass eine unzureichend schlanke Figur oder eine zu geringe Körpergröße angesprochen werden würde.
Bei GNTM habe ich zumindest bei der aktuellen Staffel das Gefühl, dass Kritik am Aussehen der Kandidatinnen nicht explizit geäußert wird. Dabei würde man ja genau dies erwarten, wenn man sich die Vorwürfe der Protestaktion #notheidisgirl anschaut. Heidi Klum wird darin dämonisiert, als würde sie reihenweise jugendlichen Mädchen eintrichtern, dass sie zu fett seien. Klar könnte man nun sagen, dass hier eben auf implizite Weise jungen Zuschauerinnen ein Schönheitsideal vermittelt wird. Schließlich kommen nun mal die Mädchen und jungen Frauen weiter, die den gängigen Schönheitsvorstellungen entsprechen.
Aber ist das dann schon Body Shaming, Schönheitsterror und Modediktatur? Diesen Vorwurf müsste genauso allen Filmproduzenten und Werbedesignern machen, die sich attraktive Schauspieler und Models aussuchen. Warum man sich so sehr auf Heidi Klum eingeschossen hat, bleibt mir ein Rätsel. Meines Erachtens werden die Kandidatinnen bei GNTM mit Wattehandschuhen angepackt, denn die Realität sieht bei echten Castings und Bewerbungsgesprächen garantiert anders aus.
Heidi Klum befiehlt doch niemandem etwas!
GNTM wird natürlich auch so heftig kritisiert, weil die Sendung vor allem bei jungen Mädchen beliebt ist und befürchtet wird, dass diese daraus ein übertriebenes Körperideal ableiten. Die Schülerinnen, die an dem „Not Heidi's Girl“-Song mitgewirkt haben, scheinen sich wirklich sehr unter Druck gesetzt zu fühlen. Auf dem Instagram-Kanal von Pinkstinks zeigen sie sich mit Statements wie: „Wir haben schon genug Stress in der Schule, wer braucht dann noch Diät-, Schmink- und Modeterror?“ oder „Immer muss man schön sein. Das nervt!“
Es ist natürlich nicht schön, dass eine Model-Show diesen Effekt auf junge Mädchen hat, aber eines sollte dabei nicht vergessen werden: GNTM ist keine offizielle Instanz, die Mädchen befiehlt, wie sie aussehen sollen. Ich kann immer noch nicht nachvollziehen, woher all die Kritikerinnen das Gefühl bekommen, ihnen würde Heidi Klum etwas persönlich aufdiktieren wollen. Dabei richtet sich diese doch niemals an alle Zuschauerinnen, sondern wenn überhaupt an die Kandidatinnen der Show, die nun mal den Beruf des Models ausüben wollen.
Soll sie übergewichtigen Mädchen mit einer Körpergröße von 1,60 m lieber vorgaukeln, dass sie problemlos für Werbekampagnen gebucht werden? Die Message „Ich kann alles auf dieser Welt sein“ aus dem Protestsong mag zwar ermutigend klingen, für manche Branchen trifft dies nun aber in unserer derzeitigen Gesellschaft einfach nicht zu.
Die Kandidatinnen sind keine unmündigen Opfer
Was mich zusätzlich an der GNTM-Kritik ärgert, ist, dass niemand an die eigentlichen Kandidatinnen der Sendung zu denken scheint. Denn in den Augen der Kritikerinnen stehen die Ärmsten unter der Modediktatur Klums und müssen aus dieser befreit werden. Dabei wirken die Teilnehmerinnen auf mich so, als hätten sie sich aus freien Stücken angemeldet und würden sich damit einen Traum erfüllen. Auch wenn ich dies nicht nachvollziehen kann, sind diese jungen Frauen für mich keine Opfer Heidi Klums, die Hilfe benötigen. Es gibt nun mal auch Frauen, die sich freiwillig schminken und schlank halten, um mit ihrem Äußeren Karriere zu machen.
Modediktatur gibt es – aber nicht bei GNTM
Ich halte GNTM wahrscheinlich für genauso bescheuert, wie die Aktivistinnen hinter #notheidisgirl. Genauso wenig mag ich aber ein stumpfes Bashing von Unterhaltungssendungen. Ich fände es wichtiger, jungen Mädchen einen differenzierten Umgang mit Medien beizubringen, anstelle ihnen Begriffe wie „Schönheitsterror“ und „Modediktatur“ einzutrichtern. Denn solche Schlagworte stehen meiner Bewertung nach in keinem Verhältnis dazu, was in der Sendung tatsächlich propagiert wird.
Es ist nicht nur so, dass ich „Schönheitsterror“ und „Modediktatur“ bei GNTM nicht erkennen kann. Solche Begriffe verharmlosen meiner Meinung nach auch Verhältnisse, in denen Frauen tatsächlich mit Kleidervorschriften und Diktatur zu kämpfen haben – wie etwa derzeit Frauen im Iran, die gegen die Kopftuchpflicht protestieren. Ich würde mir wünschen, dass sich feministischer Aktivismus mehr mit solchen Problemen beschäftigen würde, als so viel Energie für eine Casting-Show zu verschwenden.
Bildquelle: Getty Images/Alexander Koerner