„Germany's Next Topmodel“ feiert den größten Staffelstart seit 15 Jahren. Grund dafür könnten die Männer sein, die ab sofort auch auf den großen Sieg hoffen dürfen. Doch ist diese Entscheidung wirklich ein Fortschritt für die Diversität der Show oder sorgt die Neuerung eher für einen großen Rückschritt?
Männer sorgen für Quotenhoch
Alle Jahre wieder startet Heidi Klum die Suche nach „Germany's Next Topmodel“. So auch 2024 und das bereits zum 19. Mal. Damit den Zuschauenden nicht langweilig wird, gab es in den vergangenen Staffeln immer wieder Neuerungen, die für frischen Wind in der Model-Castingshow sorgen sollten. Neuerungen, die nicht immer unbedingt die Challenges betreffen, die die Topmodel-Anwärter*innen bestreiten, um sich für die nächste Runde zu qualifizieren, sondern die Kandidat*innen selbst. Seit diesem Jahr dürfen sich bei GNTM auch Männer bewerben. Für viele ein Grund zum Jubeln und vor allem zum Einschalten. Denn die Auftaktfolge verzeichnet mit einem Marktanteil von fast 25 Prozent den besten Staffelstart seit 15 Jahren. Scheint die Diversitäts-Formel dank der Männer endlich aufzugehen?
Von alten Klischees & wiederkehrender Kritik
18 Jahre hat es gedauert, bis nicht nur weiblich gelesene, sondern auch männlich gelesene Models ihr Können bei GNTM beweisen dürfen. Ein langer Weg, wie ein kleiner Ausflug in die Diversitäts-Geschichte der Castingshow deutlich macht: Suchte Heidi Klum zu Beginn ihrer Show noch nach Models, die dem Branchen-Ideal der frühen 2000er-Jahre entsprachen, war die Kritik an der Modelwahl irgendwann so groß, dass man sich diverser aufstellen wollte. Vorbei die Zeit, in der alle Models mindestens 1,75 Meter groß sein mussten, keine Piercings oder gar Tattoos am Körper haben durften und vor allem eins sein sollten: dünn!
„Germany's Next Topmodel“ öffnete die Casting-Pforten fortan auch für Frauen, die nicht dem verstaubten Ideal entsprachen und ließ Models mit Kurven über den Runway laufen, in der Hoffnung, eins der begehrten Fotos zu bekommen. Ein Blick in die Modebranche verrät, dass ein weibliches Model bereits mit einer Konfektionsgröße 38 als Curvy-Model zählt. Auch dahinter verstecken sich veraltete Körperbilder. Ein Grund für Kritik an der Sendung – denn nach Plus-Size-Models musste lange Ausschau gehalten werden. Doch kein Grund für Kritik an Klum. Sie allein kann keine Branche in Windeseile revolutionieren. Dennoch hat sie erst im Jahr 2023 mit Vivien Blotzki das erste Curvy-Model zur Siegerin gekürt.
Zwei Jahre zuvor hat zum ersten Mal eine Transgenderfrau den Sieg geholt. Alex Mariah Peter war jedoch nicht die erste transsexuelle Teilnehmer*in der Show. Giuliana Farfalla war 2017 das erste Transgender-Model bei GNTM – machte damals jedoch nur den 11. Platz.
Nicht divers genug? Keine Sorge, denn auch kleine Frauen unter 1,75 Meter dürfen teilnehmen und seit der 17. Staffel auch „alte Frauen“. Ü60 auf dem Laufsteg bei GNTM? Lieselotte Reznicek hat bewiesen, dass Modeln kein Alter kennt (so wie die Mode auch).
Männer bei GNTM: Rückschritt statt Fortschritt?
Doch damit nicht genug, denn was fehlt seit fast 20 Jahren GNTM? Genau, die Männer! 2024 dürfen zum ersten Mal auch männliche Models an der Castingshow teilnehmen. Und nach der ersten Folge der 19. Staffel kommt die große Frage auf: Ist es wirklich diverser, oder sogar ein Rückschritt?
Es herrscht großes Diversitäts-Chaos bei GNTM. Nach Jahren der Kritik öffnet Heidi Klum in diesem Jahr auch den Männern die Möglichkeit, „Germany's Next Topmodel“ zu werden. Eine Neuigkeit, die sie bereits nach dem Finale der letzten Staffel verraten hat. Was zu Beginn für große Begeisterung sorgte, liegt nach der Ausstrahlung der ersten Folge irgendwie schwer im Magen. Bemühte man sich in den vergangenen Jahren, gegen die große Diversitäts-Kritik zu arbeiten und sich von veralteten Körper- und Rollenbildern zu lösen, scheint der Schritt, nun auch Männer zu casten, wie ein großer Schritt zurück. Bereits zu Beginn der Folge verkündet Heidi Klum, dass es in dieser Staffel nicht nur „einen Gewinner“ geben wird. In diesem Jahr wird es „zwei Gewinner“ geben. Während die Modelmama im generischen Maskulinum spricht, wird den Zuschauenden mit „Zwei Gewinner*innen“ eine gegenderte Version eingeblendet. Und hier startet die Verwirrung: Wird es nun einfach zwei Siegende geben, egal ob männlich oder weiblich gelesen? Oder wirklich einen Mann und eine Frau?
Zurück zu zwei Geschlechtern?
In der 19. Staffel wird klar kategorisiert: Es gibt Frauen. Und es gibt Männer. Während man sich die Jahre zuvor darum bemüht hat, sich von alten Geschlechterzuordnungen und binären Geschlechtervorstellungen zu lösen, wirkt die eigentliche Neuerung wie eine Rückkehr zur heteronormativen Geschlechterordnung in zwei Geschlechtern. Und das, obwohl es auch in Deutschland mittlerweile rechtlich gesehen mehr als zwei Geschlechter gibt. Abgesehen von allen geschlechtlichen und sexuellen Identitäten.
Zwar lässt sich vermuten, dass einige der männlich gelesenen Kandidat*innen der queeren Community angehören und somit sexuelle Vielfalt auf dem Diversitäts-Sheet abgehakt werden kann. Doch scheint es im Jahr 2024 wirklich etwas veraltet, wieder in zwei Geschlechtern zu kategorisieren. Heidi Klum wird zur Klassenlehrerin, die ihren Schülern und Schülerinnen im Schullandheim die Zimmer nach Mädchen und Jungs zuteilt. Mit den „Meeeedchen“ ist seit der letzten Staffel Schluss, doch kommen nun vielleicht die „Juuuuuungs“? Backstage diskutieren diese auf jeden Fall, ob sie wie „die Frauen“ laufen sollten und ob der Titel „Topmodel“ nicht eher feminin einzuordnen sei. Damit nicht genug, denn in den späteren Challenges wird es anscheinend jene für Frauen und jene für Männer geben.
„Germany's Next Elevator Boy“
Heidis Auswahl der männlich gelesenen Models scheint bereits auf den ersten Blick nicht sehr divers. Denn dünne und durchtrainierte Models machen die Mehrzahl aus. Und die Männer entsprechen alle einem bestimmten Schönheitsideal, das man sicherlich als instagramable beschreiben könnte. Wird hier vielleicht nach „Germany's Next Elevator Boy“ gesucht?
Was bei den weiblichen Models bereits vor Jahren für Kritik sorgte, könnte der Sendung auch hier alsbald auf die Füße fallen. Zwar gibt es ein männlich gelesenes Plus-Size-Model, doch die anderen strecken ihre schlanken Körper und Waschbrettbäuche in die Kamera, zur Freude ihrer Modelmama, die sich noch an die ganzen Six-Packs gewöhnen muss – wie die Vorschau zu den nächsten Folgen verrät. Ja, auch männlich gelesene Personen unterliegen Schönheitsidealen. Ein Thema, das in den Medien und der Öffentlichkeit oft verdrängt wird. Und auch männlich gelesene Personen können sexualisiert werden.
„Ich finde es nach wie vor extrem wichtig, divers zu denken und auf dem Laufsteg ein Spiegelbild von dem zu liefern, was wir auch auf der Straße sehen“, so Klum in einem Interview laut Redaktionsnetzwerk Deutschland. Ein Zitat, dem man absolut zustimmen möchte, sich beim Anblick des neuen Casts jedoch fragt, auf welcher Straße das Model unterwegs ist. Ein Spiegelbild der Gesellschaft ist dieser auf keinen Fall. Oder vielleicht doch? Denn ein Blick auf die aktuelle Lage zeigt, dass die Gesellschaft wieder konservativer wird.
Kein Grund zur Kritik an Heidi Klum
Groß geworden in Zeiten eines anderen Schönheitsideals, kann man dem 50-jährigen Model nicht vorwerfen, nicht mit der Zeit zu gehen. Sicherlich geht es einigen viel zu langsam, doch wird dabei nie bedacht, dass es vielleicht gar nicht an ihr liegt – denn die Sendung wird immer noch für die breite Masse produziert und ist kein Nischenprogramm. Und die breite Masse steht nicht für das Vorreitertum – ganz im Gegenteil sogar. Bis das Diversitätsverständnis der Vorreiter*innen bei der breiten Masse ankommt, haben diese ihres bereits weiterentwickelt. So entsteht genügend Zeit für Neues, das kritisiert werden kann.
„Germany’s Next Topmodel – by Heidi Klum“ – immer donnerstags um 20:15 Uhr auf ProSieben und auf Joyn. GNTM auf ProSieben verpasst? Auf Joyn gibt es jede Folge der aktuellen Staffel nach der Ausstrahlung sowie alle alten Staffeln zum Streamen. Sixx zeigt zudem jede Folge immer freitags um 20:15 Uhr.