Egal, ob man sich für die Berlinale interessiert oder nicht, an den Berichten über Lena Meyer-Landruts tief ausgeschnittenem Kleid auf dem roten Teppich kam man nicht vorbei. Mit dem Outfit wollte die Sängerin sicherlich die Blicke auf sich ziehen. Dass ihr aber hinterher dafür in einem offenen Brief von einer n-tv-Journalistin Respektlosigkeit vorgeworfen werden würde, hatte sie sicher nicht geahnt. Ich habe den Brief an Lena auf ganze acht Vorwürfe heruntergebrochen – und konnte keinen davon nachvollziehen.
„Lasst uns über wichtige Probleme sprechen“
Während wir uns für Lenas gelungenes Comeback in ihrem atemberaubenden Designerkleid von Michael Sonntag gefreut haben, herrschte bei vielen anderen Journalisten Missgunst. Jeder hat natürlich das gute Recht dazu, seine Meinung über Promi-Outfits auf dem roten Teppich kundzutun, der n-tv-Artikel von Sabine Oelmann wird allerdings sehr persönlich und maßregelnd: Er richtet sich direkt an Lena. Kein Wunder, dass sie nun auf Facebook dazu Stellung genommen hat, auch wenn sie die Debatte um ihr Kleid eigentlich total unnötig findet:
Ich persönlich kann Lena da nur zustimmen. Ich hätte sowieso nicht erwartet, dass ein harmloses Kleid für so viel Trubel sorgen würde. Klar, es hatte einen verdammt tiefen Ausschnitt, aber da habe ich schon wesentlich aufreizendere Outfits gesehen. Einerseits könnte man den offenen Brief nun auch einfach nicht weiter beachten und über wichtigere Dinge reden, andererseits halte ich ihn für so unverschämt, dass ich es mir nicht nehmen lassen konnte, ihn auseinanderzunehmen.
So viele Vorwürfe wegen eines Kleides
Damit du den kompletten Brief nicht selbst lesen musst, habe ich die einzelnen Vorwürfe darin herausgearbeitet und sage dir auch jeweils, warum ich sie nicht nachvollziehen kann. Eines vorweg: Ich bin im Gegensatz zur Autorin Sabine Oelmann kein Lena-Fan, ich kann ihrer Musik nichts abgewinnen, aber bei dieser Debatte muss ich sie einfach mal verteidigen.
#1 Du hast auf der Berlinale nichts zu suchen
Wenn es nach Sabine Oelmann ginge, hätte Lena wohl erst gar nicht zur Berlinale erscheinen sollen. Schließlich ist die Berlinale ein Filmfestival:
„Nun bist du, Lena, ja keine Schauspielerin, sondern eine Sängerin (...).“
Darum muss ich widersprechen: Das mag zwar eine richtige Feststellung sein, aber seit wann werden denn kulturelle Bereiche streng getrennt? Dürfen dann auch Schauspieler bald nicht mehr zu Fashionshows gehen? Dass auch Nicht-Filmschaffende zu Filmpremieren eingeladen werden, gehört einfach dazu und wird schließlich auch aus eigennützigen Promotionszwecken gemacht.
#2 Du stiehlst den Schauspielern die Show
Dass die Journalistin Lena gerne von der Gästeliste gestrichen hätte, liegt auch daran, dass für sie der eigentliche Mittelpunkt des Abends, die Premiere von Emily Atefs Film „Drei Tage in Quiberon“ in den Hintergrund getreten ist:
Die Hauptfrauen des Abends sind eigentlich Marie Bäumer und Emily Atef, die Hauptdarstellerin und die Regisseurin, und auf ihnen sollte das Hauptaugenmerk daher logischerweise liegen. Wie bei einer Hochzeit, da stiehlt man der Braut auch nicht die Show.
Sabine Oelmann auf n-tv.de
Darum muss ich widersprechen: In einer idealen Welt wäre es vielleicht so, dass Journalisten am roten Teppich tiefsinnige Interviews mit den Regisseuren und Schauspielern eines neuen Films führen würden. Aber mal unter uns: Mir sagen diese Namen nichts und deutsche Filme wie dieser, interessieren nun mal eher ein Nischenpublikum. Dass dann die meisten größeren Magazine eher über Lenas Kleid berichten als über die eigentlichen Stars des Abends kann man schade finden, aber das ist nicht Lenas Schuld.
#3 Du bis respektlos gegenüber älteren Frauen
Die Autorin des Briefes findet jedoch noch weitere Argumente, warum Lena nichts auf dem roten Teppich verloren hatte:
(...) es ist so ignorant, dein Verhalten. Auch ein bisschen respektlos. Denn auch, wenn die anderen Damen bei Weitem nicht mit einem methusalemschen Alter gesegnet sind, so haben sie dir doch einige Jahre voraus.
Sabine Oelmann auf n-tv.de
Darum muss ich widersprechen: Lena hätte es also auch als Schauspielerin dieser Journalistin nicht recht machen können. Verstehe ich das richtig: Nur weil die anderen Frauen auf dem roten Teppich sich vielleicht nicht mehr so offenherzig zeigen wollen, darf Lena das nicht tun? Ich habe noch nie eine ältere Frau gehört, die einer jüngeren einen derartigen Vorwurf gemacht hat. Spricht da vielleicht der Neid aus der wesentlich älteren Sabine Oelmann?
#4 Du hättest Schwarz tragen sollen, um dich mit #metoo zu solidarisieren
Oelmann stört sich jedoch nicht nur am tiefen Ausschnitt, sondern auch an anderen Details des Kleides. Sie weist darauf hin, dass Lena im Gegensatz den anderen weiblichen Gästen ein strahlendes Violett statt Schwarz trug und damit kein Zeichen gegen #metoo setzte.
Darum muss ich widersprechen: Ganz ehrlich, wenn ich derzeit eine berühmte Schauspielerin wäre, würde ich mich wohl auch nicht in dieser Form solidarisieren. Die #metoo-Debatte sollte meiner Meinung nach eine Debatte bleiben und keine Frau sollte sich aus Gruppenzwang damit solidarisieren müssen. Wer weiß, was Lena dazu zu sagen hat. Ihr nur aufgrund der Farbe ihres Kleides eine ignorante Haltung zu unterstellen, ist einfach nur mies.
#5 Du hättest dich dicker anziehen sollen
Ja, auch um Lenas Gesundheit scheint sich die Autorin zu sorgen. Zumindest weist sie Lena ganz mütterlich daraufhin, dass die anderen Frauen „sich zum Glück nicht halbnackt auf den roten Teppich bei minus zwei Grad Celsius“ stellten.
Darum muss ich widersprechen: Also wirklich, Lena ist mit ihren 26 Jahren mit Sicherheit alt genug, um sich ohne die Ratschläge einer anderen Frau anziehen zu können. Natürlich war das ein ganz schön luftiges Outfit für einen roten Teppich im Winter. Aber ist das nicht bei fast jeder Preisverleihung oder Premierenfeier so? Welche Frau zieht sich denn bitte eine Daunenjacke über ihr schickes Designerkleid? Da müssen eben für ein paar Minuten die Zähne zusammengebissen werden.
#6 Du solltest mehr essen
Es scheint wohl keinen Artikel über Lena zu geben, in dem nicht darauf verwiesen wird, dass sie zu dünn sei. Die Autorin des Briefes wünscht ihr auf jeden Fall „ganz allgemein einen gesegneteren Appetit“.
Darum muss ich widersprechen: Ich kann es einfach nicht mehr hören. Egal ob hier oder in Jan Böhmermanns Sendung „Neo Magazin Royale“, die Witze oder besorgten Ratschläge über Lenas Gewicht nehmen kein Ende. Selbst wenn ich persönlich auch denke, dass die Frau ganz schön mager ist, würde es mir im Leben nicht einfallen, ihr das in einem offenen Brief mitzuteilen.
#7 Du musst ein Vorbild für junge Mädchen sein
Um Lenas Gewicht scheint sie sich nicht nur ihretwegen zu sorgen:
Das ist kein gutes Vorbild für die kleinen Mädchen, die normalerweise gerne deine Musik hören.
Darum muss ich widersprechen: Ich halte grundsätzlich nichts davon, dass sich irgendwelche Promis vorbildlich verhalten müssen. Das hieße doch in der Konsequenz, dass es nur noch Sänger und Schauspieler geben dürfte, die rundherum perfekt, also weder zu dünn noch zu dick, weder zu politisch noch zu unpolitisch sind. Wäre das nicht eine ganz schön trostlose Welt? Wenn es nach mir geht, kann Lena machen, was sie will.
#8 Du solltest mehr Köpfchen als Körper zeigen
Der fieseste Vorwurf kommt ganz zum Schluss des Briefes:
Manchmal ist mehr Kopf besser als mehr Körper. Glaub mir: Ich bin eine alte Frau, die schon viel gesehen hat. Und du kannst mehr, als halbnackt auf roten Teppichen rumstehen.
Sabine Oelmann auf n-tv.de
Darum muss ich widersprechen: Wow, was soll man dazu noch sagen? Oelmann ist scheinbar der Ansicht, dass sich freizügige Outfits und geistige Leistung widersprechen. Frauen, die sich sexy anziehen, zeigen damit, dass sie nichts anderes auf dem Kasten haben. Meine gewagte Gegenthese: Beides kann parallel existieren!
Die Vorwürfe sind respektlos, nicht Lenas Kleid!
Mich persönlich würde sehr interessieren, ob sich die Schauspielerinnen des Films tatsächlich so gefühlt haben, als hätte Lena ihnen die Show gestohlen. Darüber liegen mir leider keine Informationen vor, aber ich würde mal vermuten, dass Sabine Oelmann viel mehr Wirbel um Lenas Kleid gemacht hat, als es nötig gewesen wäre. Und genau das ist doch das Absurde an der Sache: Sie sorgt nun dafür, dass die Debatte um Lenas Kleid in die Länge gezogen wird.
Wenn sie es für so wichtig erachtet, dass die Filmschaffenden mehr Aufmerksamkeit bekommen, warum hat sie dann nicht das Thema um Lenas Kleid links liegen gelassen und ihnen einen Artikel gewidmet? So wird die Autorin in meinen Augenen einfach nur unglaubwürdig. Und nicht nur das: Wenn man hier jemandem Respektlosigkeit vorwerfen kann, dann ganz gewiss nicht Lena, sondern der Autorin dieses belehrenden Briefes.
Was sagst du zu der ganzen Diskussion? Bist du wie ich auf Lenas Seite, kannst du ein paar der Kritikpunkte von Sabine Oelmann nachvollziehen oder hast du ein ganz anderes Problem mit der Debatte?
Bildquelle: Getty Images/Vittorio Zunino Celotto