Karl Lagerfeld war sie nicht High Fashion genug, Feministinnen nicht Body Positive genug und auch gefühlt der Rest der Menschheit findet Heidi Klum richtig ätzend. Bei kaum einer prominenten Person scheinen sich alle Menschen in meinem Umfeld so einig zu sein. Wenn sich so viele auf eine Person einschießen, setzt bei mir allerdings ein anderer Impuls ein: Obwohl ich kein Heidi-Fan bin, möchte ich sie in Schutz nehmen.
„Diktatorin“ – ernsthaft?!
Dass Erfolg und Prominenz nicht zwingend etwas mit Beliebtheit zu tun haben, merkt man an kaum einem deutschen Star mehr als bei Heidi Klum. Während Dieter Bohlen für seine beleidigenden Kommentare gegenüber Casting-Show-Teilnehmern abgekultet wird, wird das Model aus Bergisch-Gladbach als „Diktatorin“ bezeichnet, die „Schönheitsterror“ betreibt.
Kein Wunder, dass auf Plakaten einer feministischen Gruppe, die ich zum Weltfrauentag überall in meinem Berliner Kiez sah, nicht etwa das Gesicht eines tatsächlichen Diktatoren prangte, der die Rechte von Frauen beschneidet, sondern – natürlich – Heidi Klum. Während viele Feministinnen Solidarität unter Frauen predigen, scheinen bei Heidi andere Regeln zu gelten.
Alle hassen Heidi
Selbst wer GNTM nicht für den Untergang des Feminismus verantwortlich macht, findet genug andere Gründe, um Heidi zu hassen. Die hohe Stimme, Beziehungen zu jüngeren Männern, sexuelle Anspielungen in Interviews und bestimmt ist sie obendrein eine Rabenmutter: Jeder scheint in Heidi etwas zu finden, das eine krasse Antipathie auslöst. Ich selbst kann mich da nicht ganz rausnehmen. Sicher habe ich auch schon mal die Augen verdreht, wenn ich die „Model-Mama“ im Fernsehen gesehen habe. In einer Hausarbeit während meines Studiums habe ich ihre Aussagen gegenüber GNTM-Kandidatinnen sogar für ihre rassistischen Untertöne kritisiert.
Mittlerweile sehe ich das aber anders. Sobald in der Öffentlichkeit eine Einheitsmeinung zu einem Thema zu herrschen scheint, komme ich ins Grübeln. Kritiken über Heidis angebliche „Terrorherrschaft“ und Kommentare über ihre Beziehung zu Tom Kaulitz langweilen mich inzwischen schrecklich. Die gleiche Meinung, wie jeder andere rauszuhauen, ist nicht nur keine große Leistung, sie machen mich auch skeptisch. Was ist, wenn wir uns alle täuschen?
Slut Shaming: Bei Heidi erlaubt
Was bei anderen Frauen als Slut Shaming gelten würde, ist bei Heidi gesellschaftlich akzeptiert. Während man über ihre Aussagen bei GNTM durchaus diskutieren kann, werde ich bei Gesprächen um Heidi Klums Privatleben mittlerweile richtig wütend.
Nein, mich hat nicht plötzlich das Heidi-Fan-Fieber gepackt. Mich erschreckt es nur, mit welch einer Selbstverständlichkeit über den Charakter und das Privatleben einer Person geurteilt wird. Geht Heidi nicht vielleicht bewusst so offen mit ihrer Beziehung zu Tom um, um endlich mit einem sexistischen Tabu zu brechen? Kann es nicht auch sein, dass Heidis Ex-Männer sich fies verhalten haben oder schlechte Väter waren? Ich bin selbst auch schon schnell von einer Beziehung in die nächste gewechselt. Warum sollte ich also über Heidi urteilen?
Der erste Eindruck zählt nicht immer
Heidi ist sicher nicht die einzige prominente Person, deren Charakter falsch eingeschätzt wird. Genauso wie Angelina Jolie vermutlich keine Furie ist, die anderen Frauen den Mann ausspannt, ist Everybody's Darling Meghan Markle bestimmt auch mal richtig fies. Wir sind alle nicht frei davon, uns anhand von öffentlicher Aussagen und Social-Media-Posts ein Bild von Prominenten zu machen. Sobald du allerdings starke Hassgefühle gegenüber einem Prominenten entwickelst, solltest du einen Schritt zurücktreten und dich fragen: Kann es nicht auch sein, dass diese Person in Wahrheit richtig sympathisch ist? Wie oft habe ich schon gute Freunde anfangs unsympathisch gefunden, weil ich mich habe vom ersten Eindruck täuschen lassen. Gib Heidi also noch eine Chance – oder lass sie einfach in Ruhe!
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