Es ist noch kein Jahr her, dass auf Facebook ein Shitstorm gegen Aldi Süd wegen eines Steaks zum Schleuderpreis entbrannte. Nun steuert der Discounter dagegen: Unter der neuen Eigenmarke Fair&Gut kommen künftig minimal teurere Geflügelprodukte in die Filialen, die sogar die Standards der Deutschen Tierschutzbundes erfüllen. Ich bin jedoch der Ansicht, dass man auch dieses Fleisch nicht guten Gewissens kaufen kann.
Aldis neue „Tierschutz-Hähnchen“
Ob es wohl ein Zufall ist, dass Aldi ausgerechnet diese Woche seine neue Eigenmarke Fair&Gut bewirbt, in der anlässlich der Internationalen Grünen Woche in Berlin wieder zahlreiche Menschen für bessere Tierhaltungsbedingungen demonstrieren werden?
Auf jeden Fall führen sowohl Aldi Süd als auch Aldi Nord schrittweise die neuen Geflügelprodukte ein, die sich an kritische Verbraucher richten. Auf allen sechs neuen Produkten prangt das Label des Deutschen Tierschutzbundes, das eine gute Behandlung der Tiere gewährleisten soll. Zudem stammen die Produkte aus regionaler Herkunft und sind frei von Gentechnik.
Das Wörtchen „Fair“ in „Fair&Gut“ soll sich dabei nicht nur auf die Haltungsbedingungen der Hühner, sondern auch auf den Preis beziehen. Die abgepackten Frischfleischprodukte sind zwar teurer als die herkömmlichen Aldi-Hähnchen, aber günstiger als Bioware. Bei den Preisen war ich wirklich überrascht: Das Hähnchenbrustfilet (350 g) kostet 2,99 Euro, die Hähnchenoberkeulen (400 g) sogar nur schlappe 1,49 Euro. Zum Vergleich: Im Bioladen zahlt man für 100 g Hähnchenbrustfilet um die 2,99 Euro, also mehr als das dreifache der Fair&Gut-Hähnchen! Wie kommen solche Preise zustande, wenn die Tiere angeblich artgerecht gehalten werden?
Was steckt hinter dem Tierschutzlabel?
Wenn man wirklich wissen möchte, wie Nutztiere gehalten werden, darf man sich nicht von der Verpackung und beschönigenden Werbebotschaften täuschen lassen. Aldi hatte bisher bereits Fleischprodukte im Angebot, die das vielversprechend klingende Tierwohl-Label tragen. Dieses wird jedoch vom Deutschen Tierschutzbund stark kritisiert und von der Organisation Vier Pfoten sogar als Verbrauchertäuschung empfunden, weil die Bedingungen nicht viel besser sind als bei konventioneller Haltung.
Also habe ich mir die Richtlinien des Deutschen Tierschutzbundes genauer angesehen. Diese sind in der Tat strenger als die des Tierwohl-Labels. Jedoch lascher als zum Beispiel die des Biosiegels Neuland – zumindest im Fall der Fair&Gut-Hähnchen. Denn diese erfüllen lediglich die Mindestbedingungen des Tierschutzlabels und tragen daher die Kennzeichnung „Einstiegsstufe“. All diese Siegel und Begriffe bringen einem gar nichts, wenn man kein Bild davon hat, wie die Tiere konkret gehalten werden. Denn vom Anblick der hübschen grünen Verpackung bekomme ich den Eindruck, dass die Tiere aus Freilandhaltung und womöglich auch aus kleinen, regionalen Betrieben stammen.
So werden die Fair&Gut-Hühner gehalten
In der Realität sieht das jedoch anders aus: Die Hühner haben zwar mehr Platz, einen Strohboden und Sitzstangen zur Verfügung, jedoch keinen Auslauf im Freien und werden auch hier zu Hunderttausenden industriell gehalten. Also nichts mit Hähnchen aus einem Bauernhof-Idyll. In diesem Video kannst du dir einen solchen Hähnchenbetrieb anschauen, in dem täglich (!) mehr als 200.000 Tiere geschlachtet werden. So sieht also vom Deutschen Tierschutzbund abgesegnete Tierhaltung aus:
Mir tun die Hühner immer noch leid
Du wirst es vielleicht schon herausgelesen haben, dass ich dem Tierschutzlabel sehr kritisch gegenüberstehe. Das liegt nicht zuletzt daran, dass ich seit meinem elften Lebensjahr aus ethischen Gründen auf Fleisch verzichte. Ich war als Kind sogar mehrere Jahre lang Mitglied des Deutschen Tierschutzbundes, bin jedoch irgendwann ausgetreten, weil ich im Grunde keine Form von Tierhaltung unterstütze, eben auch keine sogenannte „artgerechte“. Wenn ich mir das obige Video der Hühner anschaue, denke ich mir auf jeden Fall nicht: Mensch, die werden aber vorbildlich gehalten! Vielmehr tun mir auch diese Tiere leid, schließlich handelt es sich immer noch um Massentierhaltung.
Fleischesser sind Meister im Verdrängen
Wenn ich jedoch mit Fleischessern rede, bekomme ich immer wieder zu hören: Ich kaufe nur ganz selten Fleisch, und auch nur Bio oder direkt vom Bauernhof. Genau die gleichen Menschen bestellen sich dann seltsamerweise doch Salamipizza bei irgendeiner Kette oder Wurstbrot vom konventionellen Bäcker. Vermutlich bleibt diesen Menschen aber wohl der Kauf von Biofleisch mehr in Erinnerung, da sich damit besser das Gewissen beruhigen lässt.
Ich befürchte, dass mit den Fair&Gut-Hähnchen von Aldi genau das Gleiche passieren wird: Manche Leute werden diese kaufen und dann bei Diskussionen stets betonen, dass sie Fleisch aus tierschutzgerechter Haltung konsumieren. Dass auch diese Tiere nicht wie in ihren Bilderbuchvorstellungen auf einer Wiese herumtollen und man nebenbei auch noch sehr viel Fleisch aus konventioneller Haltung konsumiert, wird eben verdrängt. Anders geht es vermutlich nicht, denn ein Stück weit muss man als Fleischesser das Lebewesen, das hinter dem Burger, dem Schnitzel oder der Wurst steckt, verdrängen. Da ich sehr viele empathische Menschen kenne, die Fleisch essen, obwohl sie angeblich Tiere lieben, vermute ich zumindest immer, dass diese einfach Meister des Verdrängens geworden sind.
Wenn Tierwohl, dann richtig!
Wenn du selbst Fleisch isst, kann ich mir gut vorstellen, dass du dich nun angegriffen fühlst. Mit meiner radikalen Haltung zum Fleischkonsum kann ich an dieser Stelle nur der Spielverderber und Moralapostel sein. Man kann es natürlich auch gut finden, dass Aldi wenigstens einen Teil seiner Produktpalette auf geringfügig optimierte Haltungsbedingungen umstellt. Immer noch besser, als Tiere auf Gitterböden ohne Sonnenlicht zusammenzupferchen.
Ich bin aber der Meinung, dass es ein viel zu geringer Anspruch ist, Tieren lediglich ein klein wenig mehr Platz und etwas Stroh zur Verfügung zu stellen. Allein an den billigen Preisen wird doch deutlich: Da geht noch mehr. Wer unbedingt Fleisch essen möchte, kann doch ruhig für ein Hähnchenbrustfilet 6 Euro bezahlen. Damit könnte man dann vielleicht auch eine vertretbarere Freilandhaltung in kleinen Betrieben finanzieren. Wenn es nach mir geht, ist das Leben eines Huhns auf jeden Fall deutlich mehr Wert als 1,49 Euro. Wie siehst du das? Sind die Fair&Gut-Hähnchen ein Schritt in die richtige Richtung oder will sich Aldi damit nur ein grünes Image verpassen?
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