Dr. med. Reinhard Schneiderhan, Leiter der Praxisklinik Dr. Schneiderhan und Kollegen, ist Wirbelsäulenspezialist und Orthopäde. 2000 wurde er von der deutschen Wirbelsäulenliga e. V. zum Präsidenten ernannt. Neben der Mitgliedschaft in vielen internationalen Fachgesellschaften ist er seit Oktober 2011 Leiter des Regionalzentrums München/Taufkirchen der Deutschen Gesellschaft für Schmerztherapie e. V.
1. Welche Gymnastikübungen sind besonders empfehlenswert bei Rückenschmerzen in der
Schwangerschaft?
Gegen Verspannungen der Nackenmuskulatur hilft es, sich mit geradem Rücken in eine Schneidersitzposition zu begeben und den Kopf mit der Hand vorsichtig jeweils auf der linken und rechten Seite in Richtung Schulter zu ziehen. Nach zehn Sekunden wieder lösen und zur anderen Seite wechseln. Für die Dehnung der Schulter- und Brustmuskulatur empfehle ich Schwangeren, sich auf einen bequemen Stuhl zu setzen, der circa 20 Zentimeter vor einem Türrahmen steht. Dabei einen Arm seitlich ausgestreckt auf Schulterhöhe anheben und den Unterarm senkrecht nach oben stellen, sodass Ober- und Unterarm einen 90-Grad-Winkel bilden. Nun den Unterarm an den Türrahmen anlegen und leicht gegen ihn drücken. Diese
Übung danach mit der anderen Körperseite durchführen. Um die seitlichen Bauchmuskeln zu aktivieren, hilft es, im Stehen abwechselnd den rechten und linken Arm langsam über den Kopf zur anderen Körperhälfte zu führen und dabei mit seitlich geneigtem Oberkörper zu strecken. Wer zusätzlich die Körperbalance trainieren möchte, führt diese Übung mit überkreuzten Beinen durch. Um die gesamte Rückenmuskulatur zu entspannen, begeben sich Schwangere in Rückenlage und legen die Beine im 90-Grad-Winkel auf einem Stuhl ab. Jetzt bewusst in den Bauch- und Beckenbereich einatmen. Während der Übung stets die gesamte Wirbelsäule leicht auf den Boden drücken.
2. Wie verändert sich der Rücken genau während einer Schwangerschaft? Warum haben schwangere Frauen so häufig Rückenschmerzen?
Aufgrund der Gewichtszunahme an Brust und Bauch verlagert sich das Körpergewicht insgesamt nach vorne. Dieses strapaziert insbesondere Bänder und Muskeln im Rückenbereich sowie die Wirbelsäule, die diese Gewichtsverlagerung ausgleichen müssen. Leichte bis mittlere Schmerzen sind die Folge. Zusätzlich nehmen Schwangere aufgrund des größer werdenden Brustvolumens häufig die Schultern zurück, wodurch leicht Verspannungen der Nackenmuskulatur auftreten.
Generell verschlimmern sich Rückenschmerzen über den Tag hinweg, da Muskeln und Bänder aufgrund der steigenden Belastung schneller ermüden.
3. Kann man Rückenschmerzen in der Schwangerschaft vorbeugen, z. B. durch Gymnastik, besondere Sitzunterlagen oder Ähnliches?
Zunächst einmal hilft eine aufrechte Haltung, Rückenschmerzen aufgrund Gewichtsverlagerungen vorzubeugen. Hierbei helfen zusätzlich folgende Übungen und Tipps: Im Stehen die Füße parallel schulterbreit nebeneinander stellen, Schultern lockern, den Hals nach oben strecken und das Becken nach hinten schieben, sodass die untere Rückenpartie möglichst gerade ist. Der Schneidersitz auf dem Boden ist eine ideale Sitzposition für Schwangere. Hier das Gesäß fest auf dem Boden positionieren und den Rücken gerade stellen. Um Gegenstände zu heben, immer in die Hocke gehen und die Knie beugen, anstelle des Rückens. Auch bei der Auswahl des Schuhwerks kann man Rückenschmerzen vorbeugen. Schwangere sollten zudem darauf achten, keine Schuhe mit einem höheren Absatz als 4 cm zu tragen.
4. Woran erkenne ich, ob die Beschwerden behandelt werden müssen oder ob es sich um „normale“ Rückenschmerzen handelt?
Treten leichte bis mittlere Rückenschmerzen auf, handelt es sich oftmals um Verspannungen der Muskulatur. Diese lassen sich mit Wärmebehandlungen, gezielten Entspannungsübungen oder professionellen Massagen häufig schon nach kurzer Zeit lösen. Bestehen die Beschwerden jedoch über einen mehrwöchigen Zeitraum oder intensivieren sich sogar, sollten Betroffene in jedem Fall einen Orthopäden zurate ziehen, um die genaue Ursache zu klären.
5. In welcher Lage schläft man gegen Ende der Schwangerschaft am besten? Stimmt es, dass man dann nicht mehr auf dem Rücken liegen sollte, um das Vena-Cava-Kompressionssyndrom zu verhindern?
Generell sollten Schwangere ab der 18. Woche eine Rückenlage meiden, da das Kind sonst auf Blutgefäße drückt und so den Blutfluss stört, was Experten auch als Vena-Cava-Kompressionssyndrom bezeichnen. Am besten eignet sich eine seitliche Liegeposition (auf der linken Körperseite) mit einem speziellen Schwangerschafts-Kissen, um die Wirbelsäule zu entlasten und deren natürliche Form zu unterstützen.
6. Gibt es spezielle Tipps für Frauen, die bereits vor der Schwangerschaft Skoliose haben?
Die vom Physiotherapeuten empfohlenen Maßnahmen sollten weiter durchgeführt werden. Bei Vorbelastung durch eine Skoliose sind Bewegungs- und Kräftigungsübungen nach medizinischer Anleitung unbedingt angeraten.
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