Corona sorgt für einen Rückfall in alte Frauenrollen, heißt es. Frauen sind plötzlich nur noch Hausfrau und Mutter, die Erwerbsarbeit bleibt auf der Strecke. Es gibt unzählige Artikel, in denen das so geschrieben steht. Ich finde: So ganz stimmt das nicht!
Dies ist ein Gastbeitrag von Andrea Zschocher (zuerst erschienen auf familie.de).
"Mama, wann kochst du denn endlich mal wieder? Dein Curry schmeckt viel besser als das von Papa!" Zugegeben, ich komme in letzter Zeit eher selten an den Herd, aber ich bin auch nicht so traurig darüber. Ich bin schlicht mit vielen tausend anderen Dingen beschäftigt. Mein Mann und ich arbeiten im Schichtsystem im Homeoffice, er früh, ich nachmittags, der jeweils andere betreut die drei Kitakinder. Wenn die abends (endlich) schlafen, arbeiten wir beide.
Studie zu Frauen in der Corona-Krise
Eine Studie der Hans-Böckler-Stiftung hat herausgefunden, dass Frauen in Zeiten von Corona signifikant häufiger die Kinderbetreuung übernehmen und im Job zurückstecken. Laut Studienlage reduzierten 27 % der befragten Frauen ihre Arbeitszeit, um ihre Kinder zu betreuen, aber nur 16 % der Männer. Bei der gerechten Aufteilung von Familienarbeit, die einige Paare vor Corona lebten, sieht es, so die Studie, auch düster aus. Nur noch 60 % der Eltern können diese Aufteilung aufrecht erhalten, bei 30 % der Befragten übernimmt die Frau die Hausarbeit, nur 10 % der Männer bringen sich verstärkt ein. Soweit also die Fakten.
Drängt Corona Frauen zurück in alte Muster?
Die Frage ist nur: Rechtfertigt eine Studie mit immerhin mehr als 7.600 Befragten den großen Aufschrei, dass Corona uns Frauen zurück in die 50er-Jahre drängt? Ich denke nein. Denn was meiner Meinung nach komplett außer Acht gelassen wird: Es sah ja vorher auch nicht rosig aus!
Familienleben war in den letzten Jahren nicht einfach
Zwei Vollzeitstellen und Familienleben miteinander zu vereinbaren, das war auch vor Corona kein Zuckerschlecken. Das ging vielerorts nur mit externer Betreuung, Unterstützung durch Großeltern und externen Dienstleistungen, vom Lieferservice bis zur Haushaltshilfe. Nicht jede Familie wird alles in Anspruch genommen haben, aber viele brauchen Unterstützung in ihrem Alltag und der Unvereinbarkeit von Beruf und Familie. Jetzt fallen all diese Hilfen weg und das, was vorher irgendwie klappte, mit viel persönlichem Einsatz, das klappt eben nicht mehr.
Kinder sind Privatsache
Nur, daran ist ja nicht Corona Schuld. Sondern seit Jahren die Gesellschaft, die Kinder nach wie vor zur Privatsache erklärt. Eltern hören seit Jahren, dass sie sich ihre Kinder doch gewünscht hätten, dass sie sich für sie entschieden haben. Da müssen sie nun auch damit leben, dass niemand hilft. Es ist also eigentlich auch nichts neu an diesen Vorwürfen und dem Unwillen, Familien und deren Ausgebranntsein zu verstehen.
Individuelle Lösungen brechen weg
Neu ist selbstverständlich, dass alle individuellen Lösungen wegbrechen, dass Familien nun wirklich ganz auf sich allein gestellt sind, weil niemand einspringen kann. Und das führt natürlich zu Verhandlungen und zum Verschieben von Prioritäten und Zuständigkeiten. Es muss aber nicht zwangsläufig dazu führen, dass Frauen wieder „nur” als Hausfrauen wahr genommen werden.
Das Private ist politisch!
Auch neu, aber das nur am Rande, ist übrigens, dass jede Menge kinderloser Menschen eine Meinung zu Familien haben. Die ist selten positiv, Kinder seien ein Privatvergnügen, der Ruf nach Unterstützung und Hilfe im Lockdown schlicht eine Frechheit. Aber: Kinder sind keine Privatsache! Der Staat hat jahrelang Anreize geschaffen, die Geburtenrate zu erhöhen, Kinder sind die Steuerzahler*innen von morgen und eine kinderlose Gesellschaft ist eine, die aussterben wird.
Wir sind alle Hausfrauen
Natürlich bin ich auch Hausfrau und Mutter, so wie mein Mann Hausmann und Vater ist. Aber dazu hat uns nicht Corona gemacht, das haben wir in jahrelangen Diskussionen ausgehandelt. Und jetzt, wo wir Eltern so am Limit sind, da müssen wir intensiver miteinander diskutieren. Und gleichzeitig aufeinander aufpassen. Das ist nicht einfach und es fordert so unendlich viel Geduld und Nachsicht. Aber es lohnt sich. Und ich bin der festen Überzeugung, die allermeisten Paare, die sprechen sich ab und unterstützen sich gegenseitig.
Manche Männer sind speziell
Ja, es läuft nicht überall ideal, natürlich gibt es die Männer, die im Homeoffice mehr arbeiten als vorher. Die, die morgens die Zimmertür hinter sich zuziehen, sich an den Computer setzen und den Rest des Tages nicht ansprechbar sind. Die Männer, die ein warmes Mittag- oder Abendessen fordern und ihre Kinder abends fragen, wie Mama das mit dem Homeschooling hinbekommen hat. Das sind aber auch die Männer, bei denen ich mich frage, was sie unter Familie verstehen. Und wieso sie glauben, dass ihre Frau nun sämtliche Arbeit übernehmen soll, während bei ihnen business as usual angesagt ist.
Arbeiten mit Kindern können alle gleich schlecht
Klar gibt es die systemrelevanten Berufe, bei denen ein Partner nicht helfen kann, weil er schlicht nicht Zuhause ist. Aber wir alle wissen inzwischen: Homeoffice mit Kindern ist auch nicht wirklich möglich. Wir arbeiten mit und um die Kinder herum, aber arbeiten im Büro ist eine ganz andere Nummer. Und deswegen ist es, bei Familien, in denen beide Elternteile im Homeoffice sind, auch merkwürdig, wenn sie sich ihre Erwerbs- und ihre Familienarbeit nicht gleichberechtigt aufteilen können.
Natürlich habe auch ich meinen Mann schon das ein oder andere Mal angemotzt, weil wieder alle Kinder um mich herumtanzten, während ich in einer Videokonferenz hockte. Weil es ja eigentlich meine Schicht war und er die Kinder beaufsichtigen sollte. Aber so ist das Leben eben, die Kinder haben ihren eigenen Kopf und mein Mann nutzt die Zeit, die sie bei mir sind dann, um selbst zwei Mails zu beantworten. Es ist stellenweise chaotisch und es passiert, dass ich abends sehr genau aufrechne, wer denn an diesem Tag nun wie viel gemacht hat. Das tue ich aus Überforderung ob der Gesamtsituation, weil ich einfach angenervt von allem bin. Und ich muss gestehen: Oft stelle ich dann fest, dass mein Mann den Geschirrspüler ausgeräumt und den Boden gefegt und das Essen gekocht hat, während ich nur die Waschmaschine angestellt und die Wäsche in den Schrank gelegt habe.
Familien werden weiterhin nicht gesehen
Das große Problem ist doch, dass die Belastung und der Stress, dem Familien zur Zeit ausgesetzt sind, weiterhin nicht gesehen wird. Es ist vollkommen klar, dass in Haushalten mit großem Gehaltsgefälle diejenige zurückstecken muss, die weniger Geld verdient. Und das sind leider oft die Frauen. Aber das ist ja der springende Punkt. Daran muss dringend was geändert werden. Wenn sich doch aufgrund von Studien plötzlich alle um das Frauenbild (und Altersarmut!) sorgen, dann wäre doch genau jetzt der richtige Zeitpunkt, um etwas daran zu ändern.
Appell an Arbeitgeber
Mein Appell an Arbeitgeber ist daher sehr klar: Gebt Frauen bei gleicher Qualifikation gleiches Gehalt wie den männlichen Kollegen. Schafft Anreize, dass Frauen Vollzeit arbeiten können (wenn sie das denn wollen). Bezahlt in den plötzlich systemrelevanten Berufen, die mehrheitlich von Frauen ausgeführt werden, bessere Gehälter. Lasst Job Sharing zu, werdet kreativ, um Kinderbetreuung zu ermöglichen. Entscheidet euch für die besser qualifizierte Mutter und nicht für den Singlemann, der weniger kann, aber wenigstens keine Kinder habt. Es ist auch eure gesellschaftliche Verantwortung, dass wir nicht in alte Rollenmuster zurückfallen. Und ihr müsst euren Teil dazu beitragen.
Wir Frauen tun, was wir können
Denn wir Frauen, wir tun doch, was wir können. Aber es braucht auch immer Hilfe von außen, denn wenn die Männer eklatant mehr Geld verdienen, dann sind wirtschaftliche Zwänge ein entscheidender Faktor in der Arbeitsverteilung. Wenn es keine gute Kinderbetreuung gibt, die länger als vier Stunden genutzt werden kann, dann bleibt uns nur die Teilzeit. Denn, ihr erinnert euch, wir bekommen weniger Geld, die wenigsten Männer sagen dann: Ach, macht nichts, wir schaffen das schon irgendwie.
Problematisch ist auch, dass die Sichtbarkeit von Frauen abnimmt: Wenn Frauen ihre Arbeitszeit verkürzen und Männer weitermachen wie bisher, dann fehlen bald all die weiblichen Stimmen in den Videokonferenzen. Und das wäre fatal, denn dann wird in Kürze über uns Frauen gesprochen, statt mit uns. Es gibt ja jetzt schon Politiker, die das Homeoffice mit Kindern mit längeren Sommerferien vergleichen. Diese Menschen haben keine Ahnung von der Realität in Familien, weswegen es Frauen in den entscheidenden Meetings und Calls braucht, die immer wieder darauf aufmerksam machen.
Gleichberechtigung in Zeiten von Corona
Sowohl in meinem persönlichen Umfeld, als auch in mehreren Online-Umfragen habe ich auf die Frage nach der Gleichberechtigung in Zeiten von Corona übrigens größtenteils eine Antwort bekommen: Die Studien repräsentieren unseren Familienalltag nicht. Wir teilen alle anfallenden Arbeiten weitestgehend fair auf. Nun will ich die Studienergebnisse keinesfalls anzweifeln. Aber ich denke, dass die Gefahr eines Rückfalls in alte Rollenbilder schon immer da war. Corona hat da vielleicht wie eine Lupe gewirkt, so dass jetzt mehr Menschen hinschauen. Aber die allermeisten Eltern wussten auch vorher schon, dass die Unvereinbarkeit von Familie und Beruf eins der größten Themen in Familien ist.
Fazit
Es ist ein ständiger K(r)ampf, zwei Jobs und drei Kinder unter einen Hut zu bringen. Mein Mann und ich sprechen täglich darüber, wer was wann wieso erledigen muss. Das begann mit der Elternzeit, seine war länger als meine, und hat bis heute nicht aufgehört. Nichts ist in Stein gemeisselt, wir justieren immer wieder nach, bleiben in Bewegung. Aber in meinen Augen kann Familie nur dann wirklich glücklich machen, wenn alle zufrieden mit der Aufgabenverteilung sind. Und das kann ja durchaus auch das Modell Hausfrau- Alleinverdiener sein. Oder Alleinverdienerin und Hausmann, zwei mal Teilzeit oder Doppel-Vollzeitarbeitende. Es muss für alle Familienmitglieder dieser eine Familie stimmen, die es betrifft, und für niemanden sonst. Und ja, natürlich bin ich froh, dass mein Mann mit mir an einem Strang zieht. Aber genauso kann er ja auch froh sein, dass ich ihn so gut unterstütze. Und leckeres Curry kochen kann.
Bildquelle: GettyImages/M_a_y_a