Mitarbeit: Nina Röller
Laut Gesetz steht in Deutschland seit 2013 jedem Kind ab dem ersten Lebensjahr ein Kita-Platz oder die Betreuung durch eine Tagesmutter zu. Naiverweise hatte ich gedacht, dass es daher kein Problem sei, als Mutter wieder ins Berufsleben einzusteigen. In der Realität sieht das leider ganz anders aus: Unsere Video-Redakteurin Anna Düe sucht nun schon seit über fünf Monaten verzweifelt nach einer Betreuung für ihren einjährigen Sohn. Ich habe mir von Anna erklären lassen, warum es so schwierig ist, einen Platz zu finden und wie belastend die Suche besonders für alleinerziehende Mütter ist.
So hatte sich Anna ihr Leben in Berlin nicht vorgestellt: Als sie letztes Jahr zu unserem Redaktionsteam dazu kam, war sie gerade erst mit ihrem Partner und ihrem Sohn aus den USA hierhergezogen. Anna wollte eigentlich sorgenfrei wieder ins Berufsleben einsteigen. Für die Suche nach einem Kita-Platz gab es noch keinen großen Druck, weil ihr damaliger Freund und Vater des Kindes die Betreuung übernehmen konnte. Als er sie und ihren Sohn dann sehr plötzlich verließ, änderte sich Annas Lage schlagartig: Ohne einen Betreuungsplatz muss sie nun als Alleinerziehende um ihre berufliche Zukunft und das Wohl ihres Sohnes bangen. Im Interview erzählte mir die, für ihre Situation überraschend gefasste Anna, welche Hürden sie schon überwinden musste.
Wie lange suchst du nun schon nach einem Kita-Platz?
Seitdem mein Ex-Freund damals Anfang November letzten Jahres gegangen ist. Ich habe dann den Kita-Gutschein beantragt, der mir glücklicherweise auch sofort ausgestellt wurde. Danach habe ich die Kitas und Tagesmütter direkt angerufen. Das geht jetzt schon seit fünf Monaten so.
Weißt du noch, wie viele Kitas und Tagesmütter du mittlerweile schon kontaktiert hast?
Es gibt eine offizielle Seite vom Land Berlin, auf der alle Kitas und alle in meinem Bezirk verfügbaren Tagesmütter aufgelistet sind. Diese Liste habe ich erst mal abtelefoniert. Tagesmütter sind sehr limitiert, das waren vielleicht zehn, und bei den Kitas habe ich aufgehört zu zählen, weil es wirklich frustrierend wird nach einer Weile. Du verlierst den Überblick. Irgendwann weißt du schon gar nicht mehr, ob du eine Kita schon kontaktiert hast oder nicht.
Wie bist du bei der Suche vorgegangen? Hast du mit den Kitas in deiner unmittelbaren Nähe angefangen?
Bei den Kitas in meiner Nähe bin ich sogar persönlich vorbeigegangen. Die hatte ich schon letztes Jahr im Oktober angeschrieben, als ich wusste, dass ich irgendwann einen Kita-Platz brauchen werde. Zunächst sollte mein Ex-Freund auf unseren Sohn aufpassen und da gab es noch keine Eile. Da meinten manche schon, sie seien bis 2019 schon voll. Deswegen war mir schnell klar, dass ich meine Suche ausweiten muss.
Dem Jugendamt habe ich gesagt, dass es ideal wäre, einen Platz zu bekommen der auf meinem Arbeitsweg liegt. Ich möchte nicht vier Stunden hin- und herfahren. Ich will ja auch Zeit mit meinem Kind verbringen, wenn ich schon den ganzen Tag auf der Arbeit bin. Ich habe dann aber schnell gemerkt, dass rund um meinen Arbeitsweg auch nichts frei ist. Jetzt schaue ich nach allem, was ich finden kann, auch wenn es eine Stunde weg ist.
Wenn die Kitas schon so lange im Voraus ausgebucht sind, heißt das, man müsste sich schon ab der Geburt um einen Kita-Platz bemühen?
Es gibt Kitas, die sagen, dass man sich sobald man schwanger ist, um einen Kitaplatz sorgen soll. Es gibt andere, die sagen, dass das Schwachsinn ist, weil in der Warteliste über 100 Leute sind und sie den Überblick verlieren. Die sagen dann: Melden sie sich, sobald sie bei uns eine Tour mitgemacht haben. Diese Touren finden auch nur im Sommer statt. Du kannst dir dann den Kindergarten anschauen und wenn dir das Konzept gefällt, darfst du dich auf eine Warteliste schreiben oder du dich mit deinen Unterlagen bewerben. Oft suchen die Kitas auch explizit nach einem Jungen oder Mädchen. Zudem wurde ich vom Jugendamt auf eine sogenannte Pendelliste gesetzt. Aber auch das hat mir bisher überhaupt nichts gebracht, weil die Platzvergabe einfach intransparent ist.
Wenn du von Tagesmüttern und Kitas abgelehnt wurdest, bekamst du dann oft Ausreden zu hören?
Ja, was ich sehr heftig fand, dass einem bei manchen Kitas ins Gesicht gelogen wurde. Bei einer Kita wollte ich mit der Leiterin sprechen und wurde von einer Angestellten gebeten, am nächsten Tag wiederzukommen. Dann bin ich am nächsten Tag mit meinem Sohn dort aufgetaucht und wurde schon an der Tür abgewimmelt. Mir wurde gesagt, dass es gerade gar nicht passt. Ich wollte trotzdem gerne mit der Leiterin sprechen. Die Angestellte meinte dann nur, dass die Leiterin sich bei mir melden würde. Dabei hatte sie noch nicht mal meinen Namen oder meine Telefonnummer. Ich habe denen dann trotzdem meine Bewerbung da gelassen und natürlich haben die sich nie wieder gemeldet.
Mir wäre eine klare Absage lieber gewesen als eine solche Lüge.
Das war meine Erfahrung: Wenn man die Kitas persönlich aufsucht, wird man gleich abgewimmelt. Ich verstehe das einerseits auch, da kommen bestimmt so viele, die einen Platz suchen. Da wird man nach einer Weile abgehärtet. Aber ich finde, das geht gar nicht.
Wie kann ich mir eigentlich diese Bewerbungen vorstellen? Ist das wie eine Bewerbung für einen Arbeitgeber?
In meinen Bewerbungsschreiben stelle ich mich und meine Situation vor. Ich schreibe ein paar Dinge über meinen Sohn, zum Beispiel, dass er ein aufgeweckter Einjähriger ist. Oft habe ich auch geschrieben, was meine Ansprüche sind. Gerade weil ich alleinerziehend bin, erwarte ich, dass mein Kind in meiner Abwesenheit in vertrauensvolle Hände gerät. Hinzu kommen dann noch allgemeine Infos und wie viele Stunden der Kita-Gutschein beinhaltet.
Erst wenn ich bei den Kitas nachgehakt habe, wurde ich darüber informiert, dass ich gerade einen Platz verpasst habe. Und wenn ich dann meine Geschichte erzähle, sagen die: Leider geht es vielen wie Ihnen.
Anna Düe
Wie regelst du denn diese Ausnahmesituation mit deinem Arbeitgeber?
Bis jetzt war mein Arbeitgeber wundervoll. Aber das ist kein Dauerzustand. Ich muss auch irgendwann an meinen Arbeitsplatz zurückgehen können. Das schlimmste Szenario wäre, dass ich meinen Job verliere und dann Arbeitslosengeld beantragen müsste. Damit könnte ich meine Wohnung nicht finanzieren. Mein ganzes Leben wäre auf einmal komplett durcheinander. Meine Eltern sind in Hannover. Ich habe hier also keine Großeltern, die einfach mal einspringen können.
Ich weiß, dass es vielen so geht wie mir. Aber es geht wirklich um meine Existenz, um mein Kind. Das finde ich einfach heftig.
Fängst du dann manchmal schon an zu grübeln, ob du das besser auf privatem Weg löst, wenn das so nicht funktioniert?
Ich war früher selbst mal Au-Pair, also habe ich darüber nachgedacht. Das ist auch schön, jemanden tagtäglich da zu haben, wenn man alleine ist. Aber finanziell ist das eine Sache, die ich mir einfach nicht leisten kann. Dann bräuchte ich noch ein zusätzliches Zimmer und das habe ich nicht. Es täte schon weh, jemandem 10 Euro die Stunde zu zahlen, wenn ich eigentlich das Recht auf kostenlose Kinderbetreuung habe. Das Geld würde ich dann einfach zum Fenster rauswerfen. Das sehe ich irgendwie nicht ein.
Ich will kein Sozialfall werden. Ich möchte arbeiten. Irgendwann ist aber die Frage: Lohnt es sich überhaupt, jemanden privat zu bezahlen? Es bringt ja nichts, dass ich all das Geld, was ich verdiene, jemand Fremdes gebe, um Zeit mit meinem Kind zu verbringen.
Anna Düe
Ist dann für dich der letzte Schritt, auf einen Betreuungsplatz zu klagen?
Ich habe dazu einen Artikel gelesen, in dem Alleinerziehenden geraten wird, sich erst mal ans Jugendamt zu wenden, drei Kita-Favoriten und das Eintrittsdatum zu nennen. Außerdem soll man in diesem Schreiben bereits ankündigen, dass man klagen wird, wenn man keinen Platz erhält. Es ist sozusagen eine offizielle Warnung. Wenn das Jugendamt dem dann wirklich nicht entgegenkommt, kann man Klage einreichen. Das wird jetzt mein nächster Schritt sein. Die Frage ist nur, wann ich die Zeit habe, das zu machen und wie ich mir meinen Anwalt finanziere. Das ist der letzte Schritt.
Im März soll es hier in Berlin Elternproteste geben. Bist du mittlerweile schon so wütend, dass du dich dort anschließen würdest?
Ich glaube schon. Man möchte weinen, man möchte aufgeben, man ist wütend oder man denkt sich, man zieht einfach aus Berlin weg. Vielleicht ist das einfacher, hier wegzuziehen und irgendwo neu anzufangen. Andererseits will man, dass es besser wird. Es bringt nichts, wenn man geht. Dann wird jemand anderes das Problem haben.
Die Stadt Berlin muss endlich mal sehen, dass es ein ernsthaftes Problem ist. Wenn ein Rechtsanspruch besteht, aber das Personal nicht da ist, muss man den Beruf des Erziehers attraktiver machen. Daher würde ich mich den Protesten anschließen.
Anna Düe
Du betonst, dass du auch als Mutter gerne arbeiten willst. Machst du dir Sorgen über deine zukünftige Karriere?
Auf jeden Fall. Ich finde es gesund, wenn man als Mutter wieder arbeiten geht. Ich habe nie mit dem Gedanken gespielt, dass das mal nicht so sein würde. Als ich Au-Pair war, dachte ich, dass ich nicht den ganzen Tag mit meinem Kind verbringen sollte. Nicht, weil ich es nicht möchte, sondern weil es einfach nicht gesund für das Kind ist, keinen Kontakt mit anderen Kindern zu haben. Mein Sohn sollte die Möglichkeit haben, mit Gleichaltrigen zu spielen, um sich entwickeln zu können. Ich habe vorher nie über Arbeitslosengeld oder eine Sozialwohnung nachgedacht, weil ich dachte, das würde mir nie passieren. Jetzt kann es sein, dass das zur Realität wird. Das finde ich einfach so abschreckend.
Hast du das Gefühl, dass du vom Staat in die Hausfrauenrolle gedrängt wirst, weil du einfach keinen Betreuungsplatz bekommst? 2018 sollten wir schließlich schon so weit sein, dass Mütter arbeiten gehen können.
Mein Sohn ist in Amerika geboren, wo ich nach acht Wochen schon wieder arbeiten musste. Da kennt man das gar nicht so, dass Kind und Mutter erst mal viel Zeit zusammen verbringen müssen. In Deutschland fand ich das eigentlich toll, dass man diese Regelungen hat, dass auch der Vater länger beim Kind bleiben kann.
Trotzdem ist es immer noch selbstverständlich, dass die Mutter beim Kind zu Hause bleibt. Was macht man, wenn man alleinerziehend ist? Welche Rolle spielt man dann: Geldverdiener oder Mutter? Ich muss beides machen.
Anna Düe
Da bekommt man schon das Gefühl vermittelt, dass man einen Mann als zusätzliche Einnahmequelle braucht.
Ja, oder eine zweite Mutter! (lacht) Die Lage von Alleinerziehenden wurde wirklich nicht durchdacht.
Das klingt alles unheimlich stressig. Du arbeitest und musst all den bürokratischen Kram mit den Kitas zusätzlich erledigen. Und du willst Zeit mit deinem Sohn verbringen. Was hat das in den letzten Monaten mit dir gemacht? Das muss doch eine unheimliche psychische Belastung sein.
Klar. Auch körperlich. Ich habe Schmerzen unter meinen Rippen, weil ich ihn die ganze Zeit halte und herumtrage. Mit einer Hand macht man dann die Wäsche, den Abwasch und das Essen. Es gab Momente, wo ich einfach nur zu Hause gesessen und geweint habe, weil ich nicht mehr konnte. Man will ja auch eine tolle Mutter sein. Jetzt finde ich mich in dieser Situation, wo ich einfach nicht immer Zeit habe, Geduld für meinen Sohn aufzubringen.
Ich merke, wie frustriert und verletzt ich bin, dass ich nicht die beste Mutter sein kann, die ich für ihn sein möchte. Ich bin einfach kaputt. Ich für mich selbst existiere gerade nicht, weil ich einfach funktionieren muss. Ich habe keine Freizeit. Dann noch die Kraft zu finden, Kitas zu suchen... Kann ich jemanden einstellen? (lacht)
Ich sollte wirklich einen Headhunter für Kitas einstellen. Vielleicht wäre das mal eine Idee!
Es ist dennoch bewundernswert, wie du das alles überhaupt schaffst. Gibt es irgendetwas, was dir hilft, optimistisch zu bleiben?
Mein Sohn! Einerseits ist es eine Scheißsituation, andererseits bin ich unheimlich dankbar dafür, dass ich so viel Zeit mit ihm verbringen kann. Dadurch kann ich miterleben, wie er zu Laufen anfängt und zu sprechen. Das gibt mir dann wieder Kraft. Das ist ein Lichtblick.
Hast du denn ein Ultimatum, bis wann du einen Betreuungsplatz haben musst?
Das war mal Januar. (lacht) Das Ultimatum verschiebt sich immer weiter. Jetzt denke ich mir: Bis spätestens August. Ich weiß es nicht. Es ist ein ganz komisches Gefühl, nicht zu wissen, wie deine Zukunft aussieht. Es liegt einfach nicht in meiner Hand. Ich kann nur hoffen, dass es eine Kita-Leiterin oder eine Tagesmutter gibt, die das hier liest und sagt: Komm, ich nehm ihn!
Wir wünschen dir viel Glück bei der Suche und danken dir für das interessante Interview!
Kennst du Mütter, die bereits in einer ähnlichen Lage waren oder hast du diese Erfahrungen vielleicht sogar selbst machen müssen? Diskutiere mit uns in den Kommentaren, wie sich das Betreuungsproblem lösen könnte!
Bildquelle: Anna Düe, iStock/santypan