Wer kennt ihn nicht aus seiner Kindheit: Diesen rosafarbenen Buntstift mit der Bezeichnung „hautfarben“? Dass sich hiermit unmöglich unsere vielfältige Gesellschaft in Deutschland abbilden lässt, hat die Organisation GoVolunteer erkannt: Ein Set mit 12 Buntstiften soll Kindern jeglicher Herkunft ermöglichen, sich und ihre Familie malen zu können. Dass es bei der Initiative jedoch um sehr viel mehr als nur Hautfarben-Stifte geht und warum sich manche Menschen darüber aufregen, hat mir GoVolunteer-Gründer Malte Bedürftig im Interview erklärt.
desired: Wie kam es zu der Idee mit den Buntstiften? Wer hat die Initiative ergriffen?
Malte Bedürftig: Die Idee ist mir zusammen mit einem Freund gekommen. Wir saßen in einer Kneipe bei einem Bier. Wir hatten uns schon immer viel mit Integration und Vielfalt beschäftigt. Zudem experimentieren wir beide gerne mit der deutschen Sprache. Da ist uns irgendwie das Wort „hautfarben“ in den Sinn gekommen. Das kam uns total absurd vor. Warum bezeichnet man damit immer diese eine Hautfarbe, dieses Europäer-Rosa, Schweine-Pink oder wie auch immer man das nennen soll? (lacht) Dabei gibt es eigentlich ein riesiges Spektrum an Hautfarben in unserer Gesellschaft. Es gibt kaum zwei Menschen, die die gleiche Hautfarbe haben.
Wir haben uns außerdem an unsere eigene Erfahrung als Kinder erinnert. Uns wurde dieses Rosa als „hautfarbener“ Buntstift in die Hand gedrückt. Wir dachten uns, dass es komisch ist, so seine Kinder zu erziehen. Mein Freund hat sich dann noch mal mit seiner Frau darüber unterhalten. Das war die Initialzündung: Sie ist Grundschulrektorin und hat uns erzählt, dass sich viele Schüler tatsächlich bei ihr im Kunstunterricht beschwert haben, dass sie die Menschen nicht so malen können, wie sie sie eigentlich malen wollen, weil dieser eine Stift dafür nicht reicht. Kinder malen Menschen eben gerne so, wie sie wirklich aussehen, ohne darüber nachzudenken, was es dahinter für Kategorisierungen gibt.
Ich habe mich dann gefragt, ob man daraus mehr machen kann, als nur so eine Idee beim Bier. Am nächsten Tag habe ich versucht, Stifte-Hersteller zu finden. Danach habe ich ein Set zusammengestellt und eine befreundete Designerin gefunden, die schöne Verpackungen dazu gemacht hat, mit der die Botschaft auch wirklich rüberkommt: Guckt mal, wir sind eigentlich schon sehr bunt und vielfältig in unserer Gesellschaft.
Das folgende Video von „GoVolunteer“ verdeutlicht, warum wir mehr als nur einen hautfarbenen Stift brauchen. Außerdem erklärt Malte, wie du das Projekt unterstützen kannst:
Bei meiner Recherche habe ich gesehen, dass es ähnliche Stifte-Sets in den USA schon seit längerer Zeit gibt, auch von namhaften Herstellern wie „Crayola“. In Deutschland gab es so etwas bisher jedoch noch nicht. Glaubst du, dass wir hierzulande kein Bewusstsein für Vielfalt und Multikulturalität haben?
Natürlich ist das Thema in den USA präsenter, weil es da zwischen Schwarzen und Weißen eine stärkere und länger währende Spaltung in der Gesellschaft gibt. Das heißt nicht, dass die Situation dort jetzt schon perfekt ist, aber es gibt durchaus ein größeres Bewusstsein für die Problematik. Und die gibt es auch in Deutschland. Naja, eigentlich ist Vielfalt und Multikulturalität keine Problematik, sondern eine Realität. Aber das Bewusstsein, dass das zu unserer Gesellschaft gehört, ist auch bei uns noch nicht überall selbstverständlich. Das haben wir auch beim Verkauf und beim Verteilen der Buntstifte gemerkt, weil wir dafür viel Öffentlichkeitsarbeit über unsere Social-Media-Kanäle gemacht haben. Auf der einen Seite haben wir sehr viele dankbare Geschichten gehört, besonders von Eltern, die sich selbst als Mixed Couples bezeichnen, also Paare mit zwei unterschiedlichen Hautfarben. Es kamen aber auch viele negative Kommentare. Das hat uns darin bestätigt, explizit darüber zu sprechen.
Ist das nur ein Zufall, dass ihr eure Kampagne gerade jetzt gestartet habt? Wird den Menschen hierzulande durch die Flüchtlingssituation der letzten Jahre mehr bewusst, dass Deutschland bunter wird?
Für uns ist es kein Zufall. Natürlich gab es dieses Thema schon länger, aber das Bewusstsein dafür hat sich schon verändert. Bei der Gründung von GoVolunteer war ich von der Flüchtlingssituation beeinflusst. Da gibt es auf jeden Fall einen Zusammenhang mit den Buntstiften: Es geht uns nicht darum zu sagen, dass wir die Stifte in den Klassenzimmern ändern müssen. Es ist aber ein kleines Symbol dafür, dass es noch eine Menge solcher noch verborgenen Schubladen in den Köpfen gibt, über die man im ersten Schritt reflektieren und im zweiten Schritt sein Handeln und Reden anpassen muss. Das ist eine wichtige Voraussetzung dafür, dass sich keine Fronten bilden, sondern dass wir reflektieren, was wir alle davon haben, wenn wir friedlich und interessiert aneinander zusammenleben.
Du hast ja gerade erzählt, dass ihr viel positives Feedback bekommt. Bekommt ihr auch Zusendungen von Bildern oder erzählen die Eltern, wie ihre Kinder auf die Stifte reagieren?
Ja, wir haben schon ein paar Mal-Workshops mit Kindern und Eltern veranstaltet. Da haben wir nicht nur mit den Stiften gemalt, sondern auch mit den Eltern und Kindern geredet. Dort haben wir Familien aus ganz unterschiedlichen Herkunftsländern kennengelernt, zum Beispiel eine Mutter aus Syrien, die uns erzählt hat, dass im Arabischen das Wort „Hautfarbe“ auch für einen hellen Hautton steht, den eigentlich keiner dort in der Gesellschaft hat. Sie fand das deswegen auch total wichtig und meinte, dass sie das in Syrien eigentlich auch bräuchten. Ansonsten haben wir auch viele Bilder zugeschickt bekommen. Auch kleine Anekdoten, wie zum Beispiel die einer Mutter, die ihr Kind nach dem hautfarbenen Stift fragte und die Tochter dann entgegnete: „Welchen?“ (lacht.) Da merkt man, dass diese Offenheit in den Kindern eigentlich schon drin ist und Erwachsene sich daran ein Beispiel nehmen können.
In Südafrika hat eine Studie gezeigt, dass schwarze Kinder sich selbst mit dieser hellen Farbe porträtiert haben, weil ihnen beigebracht wurde, dass das eben „hautfarben“ ist. Wenn es bei dieser Bezeichnung bleibt, setzt sich das wohl so fort…
Ja, in vielen Bereichen wird dieser mitteleuropäische Standard gesetzt. Wir haben uns auch in anderen Bereichen umgeguckt und sind auf „hautfarbene“ Pflaster gestoßen. Da haben wir uns gefragt: Warum sollen Leute mit einer dunkleren Hautfarbe weiße Flecken auf ihrer Haut tragen, wenn sie mal eine Schürfwunde haben? Das machen wir ja andersrum auch nicht. Ich habe von Freundinnen erzählt bekommen, dass es bei Strumpfhosen oder Make-up auch die gleichen Probleme gibt. Damit kenne ich mich persönlich jetzt nicht so aus (lacht) aber anscheinend ist es so.
Neben den Pflastern und Buntstiften habt ihr auch das „Malbuch für Vielfalt“ gestaltet. Darin geht es nicht nur um verschiedene Hautfarben und Kulturen, sondern zum Beispiel auch um homosexuelle oder bisexuelle Paare. Wie waren die Reaktionen darauf?
Genau, die Buntstifte waren nur die erste Idee, aber unser Ziel war es nicht, ein großer Buntstifte-Produzent zu werden. Die Stifte wurden uns förmlich aus den Händen gerissen. Also haben wir eine ganze Kampagne mit dem Titel „So bunt ist Deutschland“ drum herum gestaltet, wo es um Vielfalt und Engagement geht. Zusammen mit einer befreundeten Illustratorin haben wir uns schöne Motive für die Buntstifte ausgedacht. Mit dem Malbuch wollten wir Vielfalt darstellen, unter anderem auch unterschiedliche Arten von Liebe. Dazu haben wir viel positives Feedback von gleichgeschlechtlichen Eltern bekommen, von Familien mit zwei Vätern oder zwei Müttern. Aber nicht nur von denen, auch von anderen, denen daran gelegen ist, dass man nicht nur eine Norm setzt, sondern alles hinterfragt, was tradiert ist.
Allerdings will ich nicht verschweigen, dass es gerade über Facebook auch negative Reaktionen gab. Gerade bei dem Malbuch haben sich Leute aufgeregt, obwohl ich mir vorher dachte, dass es das Harmloseste ist, was man machen kann: ein Malbuch, das Kinder bunt anmalen! Beim Wort „Vielfalt“ verstehen viele Menschen einfach nur „Islam“ und „Indoktrination“. (lacht) Die schreiben dann, dass wir ihre Kinder konvertieren wollen, wir links-grün-versifft und im Multikulti-Rausch seien. Ich finde das aber gar nicht schlecht, dass wir dafür sorgen, dass Leute, die so etwas mit sich herumtragen, das auch mal artikulieren. Leider kommt nicht immer eine produktive Diskussion dabei raus. Gerade auf Social Media ist das manchmal schwierig. Auf der anderen Seite aktiviert es wiederum auch andere Menschen, die dadurch erst sehen: Vieles, was für mich selbstverständlich ist, ist eben leider noch gar nicht selbstverständlich in unserer Gesellschaft. Insofern lohnt es sich auch, das Maul aufzumachen und in den Dialog mit solchen Leuten zu treten.
Glaubst du, es bringt überhaupt etwas mit Leuten zu diskutieren, die sich über Buntstifte und ein Malbuch aufregen?
Das wurde ich auch schon oft in Bezug auf GoVolunteer gefragt. Kann man dagegen, dass sich immer mehr Menschen rechten Parteien zuwenden, vorgehen, indem man sich für die Integrationsarbeit engagiert? Oder erreichen die Buntstifte nicht nur die, die sowieso schon überzeugt sind? Meine Antwort darauf lautet: Ich würde weder einen überzeugten AfD-Wähler oder einen rechten Aktivisten bei uns in der Flüchtlingshilfe einsetzen. Aber mein Ziel wäre es, dass dieser AfD-Mensch irgendwann einen Kumpel, Cousin oder anderen Bekannten hat, der ihm erzählt: Hey, letzte Woche habe ich einen getroffen, der kam zwar von woanders her, aber eigentlich wollte er das Gleiche, was wir wollen, und zwar: ein glückliches Leben, einen Job haben und das Beste für seine Familie.
Wenn man diese Message Schritt für Schritt näher an diese Menschen bringen kann, kann man dadurch schon viel verändern. Für mich ist klar, dass das Erstarken der AfD mit Ängsten, Unsicherheiten und Unwissen zu tun hat. Wir müssen es schaffen, das auf eine persönliche Ebene runterzubrechen und zeigen, dass es um die Menschen hier nebenan geht. Es geht um Leute wie dich und mich. Hass wird niemandem angeboren. Das entwickelt sich durch unpersönliche Stigmatisierung und Feindbilder, die durch Medienberichterstattung und Hetzgruppen gestärkt werden. Die kann man nur mit Liebe, Austausch und persönlichem Kennenlernen bekämpfen. Das ist unser Ziel, dass wir möglichst viele Gespräche und persönliche Geschichten an die Menschen ranbringen.
Das Kampagnenvideo zu „So bunt ist Deutschland“ richtet sich gegen rechte Parolen:
Eure eigentliche Arbeit ist es, Freiwillige an Projekte zu vermitteln. Wenn ich mich gern engagieren würde, aber noch nie ehrenamtlich oder in der Flüchtlingshilfe gearbeitet habe, was muss ich dann machen und wie finde ich das passende Projekt?
Viele Leute wollen etwas machen, sind aber etwas verloren. Deswegen war die Idee, online einen ganz einfachen Anlaufpunkt zu schaffen. Wenn Leute heutzutage nicht genau wissen, wie sie etwas machen sollen, tippen sie es erst mal bei Google ein. Dann kommst du auf unsere Webseite govolunteer.com und kannst da erst mal rumstöbern und entdecken, was es alles für Möglichkeiten gibt, dich zu engagieren. Wir unterstützen inzwischen nicht nur Integrationsarbeit, sondern alle Arten von sozialem Engagement wie Umweltschutz, Arbeit mit älteren Menschen, Kinderbetreuung, Tierschutz. Da kannst du schauen, wie du deine Interessen und Fähigkeiten gut mit einbringen kannst. Dann kannst du dich für den ersten Einsatz verabreden. Zusätzlich organisieren wir auch Events, wo du hierher kommen und unterschiedliche Projekte kennenlernen kannst. Wir beraten aber auch persönlich, damit du den richtigen Platz für dich findest, in einem Umfang, der in dein tägliches Leben reinpasst. Man muss sich ja nicht gleich 20 Stunden die Woche engagieren. Es können auch ein oder zwei Stunden wöchentlich sein oder etwas am Wochenende. Also wenn du etwas suchst, fang am besten auf govolunteer.com an.
Finde ich da nur Projekte in Berlin?
Nein, „GoVolunteer“ gibt es deutschlandweit. Wir sind in 100 Städten mit etwa 3.000 Projekten, wachsen kontinuierlich und bemühen uns, immer mehr neue Bereiche zu integrieren, sodass jeder das findet, was den eigenen Interessen am besten entspricht.
Vielen Dank für das interessante Interview, Malte!
Bildquelle: istock/monkeybusinessimages/GoVolunteer