Die Frage, ob man selbst Kinder bekommen möchte oder nicht, stellt sich wohl jede Frau irgendwann mal in ihrem Leben. Während manche Frauen unfreiwillig keine Kinder bekommen können, hat sich die ehemalige Gymnasiallehrerin Dr. Verena Brunschweiger ganz bewusst dagegen entschieden. Mehr noch: Die Autorin von „Childfree Rebellion“ plädiert sogar dafür, dass Frauen, die keine leiblichen Kinder haben, eine staatliche Prämie bekommen sollten – schließlich käme diese Entscheidung vor allem dem Klima zugute. Wir haben mit Verena Brunschweiger über ihre radikalen feministischen Thesen im Interview gesprochen.
Dies ist die gekürzte Version des Interviews. Das vollständige Gespräch kannst du dir im aktuellen desired-Podcast anhören!
desired: Wenn man deine Buchtitel „Kinderfrei statt kinderlos“ und „Childfree Rebellion“ liest, denkt man erst mal, dass du ein großer Kinderfeind bist. Dabei hast du auch lange Zeit als Lehrerin gearbeitet. Wie kam es dazu, dass du beschlossen hast, selbst keine Kinder haben zu wollen?
Verena Brunschweiger: Das war ein längerer Prozess. Hier in Bayern – und eigentlich leider überall – bekommt man immer wieder die üblichen blöden Bemerkungen zu hören wie: ‚Wie wär's denn jetzt mal?’ oder ‚Hast du zugenommen oder ist es jetzt doch schon der dritte Monat?’, und das wohlgemerkt nicht nur privat, sondern auch von Nachbarn oder auf der Arbeit! Als Frau wird man in jedem gesellschaftlichen Bereich bedrängt, meinen Mann haben sie hingegen nie nach seinem Kinderwunsch gefragt. Irgendwann fragt man sich: Was soll das überhaupt? Hat mich jemals jemand gefragt, ob das überhaupt in meinem Sinn ist? Ich habe mich als Kind schon als eine rebellische Person begriffen und wollte nicht das machen, was alle machen. Ausschlaggebend war dann aber vor allem eine Grafik, die zeigte, was für einen Unterschied der Verzicht auf ein einzelnes Kind für die Umwelt macht.
Ich bin auch Vegetarierin und fliege aus Umweltgründen nicht, von daher kann ich nicht den wichtigsten Beitrag weglassen – oder ihn nicht mal ansprechen. Bei uns in Deutschland wird dieses Thema, mehr als in anderen Ländern, total unter den Tisch gekehrt. Bevölkerungsentwicklung ist hier nie ein Thema – höchstens bei den Nazis, die Afrikaner beschuldigen, zu viele Kinder zu bekommen. Es geht aber um den Ressourcenverbrauch, der in westlichen Ländern viel höher ist. Das wollen AfDler zum Beispiel nicht einsehen. Die kapieren nicht, dass eine gesamte afrikanische Schulklasse so viele Ressourcen verbraucht, wie ein einzelnes deutsches Kind. Wir brauchen eben nicht nur kleinere CO2-Fußabdrücke, sondern auch weniger Füße. Das ist die unpopuläre Wahrheit, für die ich gerne gebasht werde.
Warum „zu radikal“ gerade radikal genug ist, kannst du in Verena Brunschweigers „Die Childfree Rebellion“ erfahren. Das kontroverse Buch bekommst du für 16 Euro bei Amazon:
Im Vordergrund steht also das Klimaschutz-Argument?
Ja, aber ich fand auch immer die antinatalistische Philosophie interessant, in der es darum geht, Leid zu vermeiden – besonders bei den aktuellen Corona-Maßnahmen. Im Angesicht der vielen Einschränkungen, finde ich es grausam, ein Kind zu sein. Das würde ich keinem antun wollen. Jetzt ist die Welt noch viel hässlicher. Ich bin eben schon da, aber ich habe es in der Hand, ob ich das anderen antue oder nicht. Ich will mich entfalten und mich nicht um jemanden kümmern, der ständig die Windeln gewechselt bekommen muss. Ich möchte mich nicht so beschränken. Das ist das, was ich so unfeministisch finde. Ich bin doch kein Inkubator! Ich muss nicht zwei Kinder herausploppen, nur damit mir alle applaudieren! Das Krasse ist, dass man für diese Entscheidung gemobbt wird. Das war für mich der Grund, die zwei Bücher zu schreiben, weil ich es satt war, dafür gedisst zu werden. Frauen werden weltweit für ihre Entscheidung kinderfrei zu leben, immer mehr kritisiert als Männer, von daher ist es ein genuin feministischer Aspekt, den ich sehr wichtig finde.
Was genau bedeutet „antinatalistisch“?
Gestern habe ich erst zu jemandem gesagt: Life sucks when you die! Das fasst es eigentlich in einem Satz zusammen. Wie David Benatar, der Autor des großartigen Buchs „Better Never to Have Been“, sagt: Wenn ich Leid vermeiden will, darf ich auch niemanden in diese Welt schicken, weil jede Existenz prinzipiell einfach Leid beinhaltet: Krankheit, Trauer, man stirbt, es ist einem langweilig, es gibt tausend Sachen, die man lieber nicht täte. Die Glücksmomente sind schon sehr vereinzelt. Diese machen den Kohl für Antinatalisten nicht fett. Menschen, die das andersherum sehen, reden sich das eher schön, damit man es besser verträgt. Das ist eine uralte Geschichte, die uns schon im Buddhismus und diversen antiken Philosophien begegnet.
Klimaschutz ist ein Argument. Du sprichst aber auch den Feminismus-Aspekt an. Kann man als Mutter etwa keine Feministin sein?
Doch, natürlich schon. Man kann sich trotzdem gegen Prostitution oder andere wichtige Belange engagieren. Aber natürlich ist Gebären immer der patriarchale Imperativ. Man ist dann eben keine Radikalfeministin – es gibt ja noch tausend andere Feminismen. Für mich persönlich würde es eben nicht zusammengehen.
Was ist patriarchal daran, wenn eine alleinerziehende Mutter ohne Mann ihre Kinder großzieht?
Ob da ein Mann im Hintergrund ist, spielt ja keine Rolle. Es hat etwas mit dem Patriarchat als Institution zu tun, die den Frauen vorschreibt: ‚Schenk dem Staat ein Kind, sonst bist du keine Frau‘. Das ist ein Imperativ, den ich doch nicht erfüllen kann! Da dreht es mir wirklich den Magen um, insbesondere, wenn ich mir die rechten Parteien anschaue. Die AfD will viele „arische“ Kinder, genauso wie rechtspopulistische Parteien in anderen europäischen Ländern. Alle wollen möglichst viele „einheimische“ Kinder, damit die Frauen auch gleich ihren Platz gefunden haben und schön brav sind.
Jede Frau sollte ja aber auch in ihrer Entscheidung frei sein. Ebenfalls sollte man die Entscheidung für oder gegen Kinder nicht werten. Nach deiner Einschätzung ist es ja aber schon ein stückweit unfeministisch, ein Kind zu bekommen. So bekommen Frauen ja auch wieder von außen Druck ...
Das ist fast nur meine Einschätzung, nahezu alle anderen sehen das anders. (lacht) Viele finden das altmodisch, aber ich mag diesen klassischen 70er-Jahre-Radikalfeminismus mit Janice Raymond zum Beispiel, die gegen Zwangsmutterschaft protestiert hat. Das ist natürlich total out, das ist mir schon bewusst. Umso wichtiger ist es mir, das am Leben zu halten.
Im vollständigen Podcast-Interview haben wir mit Verena Brunschweiger außerdem darüber diskutiert, ob Kinderlosigkeit eine egoistische Entscheidung ist und warum Adoption für viele nicht infrage kommt:
Vielen Dank für das Interview, Verena!
Hast du noch keine Kinder und fragst dich, ob in deinem Leben überhaupt Platz dafür wäre? Unser Test kann dir weiterhelfen:
Bildquelle: Verena Brunschweiger/Juliane Zitzlsperger