Von einer geliebten Person betrogen zu werden, gehört wohl zu den schmerzhaftesten Erfahrungen, die man im Leben erleiden muss. Der Boden wird einem unter den Füßen weggerissen, die Luft bleibt weg, die Gedanken überschlagen sich und es steht eine schwere Zeit voller Fragen nach dem „warum“ und ob man die Beziehung retten kann an.
Aber wieso gehen überhaupt so viele Menschen fremd? In unserer neuesten Podcastfolge lernen wir: Weil der Mensch seine Bedürfnisse nur schwer unterdrücken kann. Die Paarcoachin, Therapeutin, Autorin und Expertin auf dem Gebiet „Untreue“, Aino Simon, erklärt die Wichtigkeit und Daseinsberechtigung von Bedürfnissen. Wie können wir lernen damit umzugehen? Bedeutet ein Seitensprung dann auch automatisch, dass ich kein Bedürfnis meines Partners oder meiner Partnerin mehr bin? Spannende Fragen – äußerst spannende Antworten, die das Thema Untreue auf ein ganz neues Level bringen.
Dies ist eine gekürzte Version des Interviews. Das vollständige Interview kannst du dir in unserer Podcast-Folge anhören.
Desired: Aino, das ist bei dem Thema wahrscheinlich nicht ganz einfach zu sagen, aber kannst du Zahlen oder Studien nennen, die zeigen, wie viele Menschen tatsächlich schonmal fremdgegangen sind?
Aino Simon: Die Zahlen genau zu bestimmen, ist tatsächlich schwierig. Viele Menschen wollen das Thema geheim halten und nicht so gerne drüber reden. Deshalb kommen Studien aus unterschiedlichen Bereichen auch zu unterschiedlichen Ergebnissen. Man kann aber allgemein sagen, dass Untreue als Phänomen in allen Kulturen und auch zu allen Zeiten, so wie man das erforschen kann, vorkommt – und zwar sehr viel. Man kann schon davon ausgehen, dass jede zweite, dritte Beziehung im Laufe ihres Lebens Untreue erlebt. Das zeigt, dass das Phänomen zur Monogamie und zum Menschsein dazugehört. Doch statt die Person als „Arschloch“ abzustempeln, müssen wir fragen, warum Menschen das tun.
Und warum gehen Menschen fremd? Die Gründe sind vermutlich auch wie eine Art Spiegel der aktuellen Probleme in einer Beziehung?
Nicht unbedingt, das denkt man immer. Aber Untreue und Seitensprünge kommen auch in total guten, intakten Beziehung vor. Ich glaube, das Hauptprinzip, das wir erstmal verstehen müssen, ist folgendes: Wir haben in unserer Gesellschaft die Vorstellung, dass Liebe und Sex zusammengehören. Wenn ich liebe, dann habe ich Sex, wenn ich Sex habe, dann liebe ich – das gehört vor allem zu der Vorstellung von Monogamie. Jetzt haben wir aber eine menschliche Biologie, von der wir einfach sagen müssen, dass stimmt so nicht. Es sind zwei unterschiedliche Bereiche. Da wir das aber verknüpft haben, muss ich automatisch denken: „Wenn du Sex mit jemand anderem willst, heißt das, du liebst mich nicht mehr.“ Und genau diese Verknüpfung ist eine wichtige Ursache dafür, warum Fremdgehen so wehtut.
Der Sicherheitsaspekt und das Vertrauen, dass bei einem Seitensprung verloren geht, ist wahrscheinlich auch schwer zu ertragen?
Ja, weil wenn du da jemanden hast, mit dem ganz viel passt, mit dem du tief verbunden bist, dann ist ein ganz tiefes menschliches Bedürfnis befriedigt, nämlich das nach Sicherheit. Es gibt ganz viele Bedürfnisse, die die Monogamie super befriedigt. Jetzt haben wir nur ein Problem: Die Palette menschlicher Bedürfnisse ist sehr groß. Und es gibt menschliche Bedürfnisse, die sich eben im Rahmen der Monogamie nicht befriedigen lassen. Zum Beispiel das Bedürfnis nach Abenteuer, also gelegentlich den Kitzel nach Neuem zu erleben. Und es ist ganz wichtig zu betonen: Alle Bedürfnisse des Menschen sind wichtig.
Auch psychische Verletzungen, die nicht ernstgenommen, verstanden und gesehen worden sind, begleiten dich im Prinzip dein Leben lang.
Manche sagen jetzt, dass das Bedürfnis nach Sicherheit und Heimat sei viel wichtiger, als das nach Abenteuer, deswegen muss man es hintenanstellen. Manche Menschen können gewisse Bedürfnisse auch tatsächlich gut unterdrücken, andere können das nicht. Und was passiert mit unterdrückten Bedürfnissen? Es rutscht ins Heimliche, es sucht sich seinen Weg. Und sei es über dein Unterbewusstsein: Das verdrängte Bedürfnis sucht sich seinen Weg nach Befriedigung.
Also ist auch hier wieder die Kommunikation der Schlüssel für ein glückliches Miteinander. Wie aber teile ich meinem Partner oder meiner Partnerin am besten mit, wie mein Bedürfnis aussieht?
Am besten wäre es natürlich in der Phase der Verliebtheit, also ganz am Anfang. Man sollte direkt beginnen, ehrlich miteinander zu sein und neben Bedürfnissen auch über seine Ängste zu sprechen. Denn du hast wahrscheinlich schon Bindungserfahrungen gemacht und da hast du vielleicht auch blöde Sachen erlebt, die dich geprägt haben. Daher ist es total nützlich, mit dem neuen Partner oder der Partnerin darüber zu sprechen, wie man geprägt ist. Aber auch die Frage: „Was macht dich eigentlich glücklich?“ ist wichtig. Oder: „Was sind die Punkte, die du erleben willst in deiner Beziehung?“ Was ist die Liebessprache des anderen? Wenn man lernt, über die kleinen Dinge zu reden, dann wird es auch leichter über die großen Dinge zu sprechen.
Das Bedürfnis nach neuen Abenteuern kann auch in der eigenen Beziehung erfüllt werden, etwa wenn ihr euch neue Orte für Sex überlegt. Im Video gibt es etwas Inspiration:
Kann es auch sein, dass die Bedürfnisse zweier Menschen einfach nicht konform sein können?
Man wird sich sicherlich überlegen müssen, wie man denn jetzt mit diesen Bedürfnissen umgeht, die zum Betrug geführt haben. Weil für manche Menschen sind die Bedürfnisse nach, zum Beispiel, Fremdsex so groß, die können sie nicht auf Dauer unterdrücken. Es gibt wirklich Menschen, die das immer wieder suchen. Und das lässt sich auch nicht wegtherapieren.
Also stimmt das Klischee „einmal fremdgehen, immer fremdgehen“?
Nein, das würde ich nicht sagen, weil man sich im Einzelnen angucken muss, welches Bedürfnis dahintersteckt und ob es sich auch anders befriedigen lässt. Manchmal stimmt es aber schon, dass es für einen Menschen so zentral und wichtig ist, dass es auch dabeibleibt. Dann müssen wir aber nicht darüber reden, ob es falsch oder richtig ist, sondern darüber, ob diese beiden Menschen zusammenpassen. Oder haben wir hier in einem Bereich eine ganz schlechte Passung und müssen dann darüber reden, ob es für beide der richtige Weg ist, zusammen zu sein.
Hast du einen guten Rat für gebrochene Herzen?
Ich kann dir sagen: Es dauert in der Regel ein Jahr, bis diese Wunden geheilt sind – also, bis sie wirklich geheilt sind. Das geht nicht von heute auf morgen, Heilung ist immer ein Prozess. Ansonsten kann ich nur raten: Nimm dich ernst! Eine Verletzung, die in der Vergangenheit nicht gut versorgt worden ist, ist wie eine körperliche Verletzung: Sie kann nicht gut heilen. Auch psychische Verletzungen, die nicht ernstgenommen, verstanden und gesehen worden sind, begleiten dich im Prinzip dein Leben lang. Sie sind ein unerledigtes Geschäft. Es geht nicht darum, sich in Selbstmitleid zu suhlen, sondern sich Ernst zunehmen und sich Hilfe zu suchen. Die findest du bei mir, oder auch in einer Therapie. Das ist ja kein Mangel, das ist eher eine Stärke! Also: Nimm dich ernst und such dir einen Raum, in dem du DU sein kannst und näher an dein echtes inneres Erlebtes ran rücken kannst.
Weitere spannende Fakten rund ums Thema Liebe, Beziehungen und Monogamie liest du in Aino Simons' neuestem Buch „Liebe lieber einzigartig“. Den Ratgeber findest du bei Thalia.
Dies ist eine gekürzte Form des Interviews. Hier kannst du dir das komplette Interview im Podcast anhören:
In diesen Erfahrungsberichten waren Männer ganz offen und ehrlich und erzählen, warum sie schon einmal fremdgegangen sind und wie es ihnen damit erging.
Bildquelle: Matthias Erfurt