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Psycho-Phänomen

Wie dein Gehirn dich täglich austrickst: Der Ankereffekt im Alltag

Ankereffekt
© Getty Images/lechatnoir

Ob beim Shopping, in Gehaltsverhandlungen oder bei großen und kleinen Entscheidungen – der Ankereffekt beeinflusst täglich unsere Entscheidungen, ohne dass wir es merken. Was steckt hinter diesem psychologischen Phänomen und wie können wir uns davor schützen?

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Jeden Tag treffen wir unzählige Entscheidungen. Dabei orientieren wir uns oft unbewusst an bestimmten Ausgangswerten – den sogenannten „Ankern“. Diese erste Information prägt unsere weiteren Überlegungen so stark, dass wir uns nur schwer davon lösen können. Doch wie genau funktioniert dieser psychologische Trick?

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Was ist der Ankereffekt?

Der Ankereffekt ist einer der robustesten kognitiven (mentalen) Verzerrungen, die die Psychologie kennt. Er beschreibt, wie erste Informationen – die „Anker“ – unsere späteren Urteile prägen. Das Besondere: Der Anker muss weder relevant noch realistisch sein, um zu wirken. Ein zufälliger Preis, eine Hausnummer oder sogar die letzten Ziffern unserer Telefonnummer können als Anker fungieren.

Beispiele, auf die du vielleicht auch schon mal „reingefallen“ bist, sind vor allem beim Shopping und vermeintlichen Rabatten präsent. Das „ab 299 Euro“ beim Smartphone schafft einen niedrigen Anker, auch wenn das gewünschte Modell später 799 Euro kostet. Restaurants platzieren bewusst ein besonders teures Gericht auf der Karte – nicht um es zu verkaufen, sondern um die anderen Preise günstiger erscheinen zu lassen. Auch die „3 für 2“-Aktion schafft mit der größeren Menge einen Anker, der uns zum Mehrkauf verführt.

Warum unser Gehirn den Ankereffekt liebt

Besonders spannend: Neuropsychologische Studien der Universität Bamberg zeigen: Sobald wir einen Anker wahrnehmen, wird der Bereich unseres Gehirns, der für Entscheidungsfindung zuständig ist, aktiviert. Gleichzeitig reduziert sich die Aktivität in Arealen, die für kritisches Denken verantwortlich sind. Der Anker wird quasi zur mentalen Startlinie, von der aus wir unsere Einschätzungen vornehmen.

Grob zusammengefasst kann man sagen: Unser Gehirn liebt Abkürzungen – besonders wenn es um komplexe Entscheidungen geht. Der Ankereffekt ist eine solche mentale Abkürzung: Wir orientieren uns an einem ersten Referenzwert und passen unsere Einschätzung daran an. Das kann durchaus seine Vorteile haben – die Nachteile sind jedoch nicht zu unterschätzen, wie wir dir später noch erklären.

So manipuliert der Ankereffekt dein Gehirn

Zwei zentrale Mechanismen machen den Ankereffekt so wirkungsvoll: Zunächst die „selektive Aktivierung“ – unser Gehirn sucht automatisch nach Informationen, die den Anker bestätigen. Sehen wir etwa einen Gebrauchtwagen für 15.000 Euro, fallen uns sofort ähnliche Autos in dieser Preisklasse ein. Alternative Preisvorstellungen werden systematisch ausgeblendet.

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Der zweite Mechanismus ist die „unzureichende Anpassung“. Selbst wenn wir den Anker als unangemessen erkennen, entfernen wir uns nicht weit genug von ihm. Wir bleiben mental in seiner „Umlaufbahn“. Die Studien aus Bamberg zeigen: Je komplexer eine Entscheidung, desto stärker klammern wir uns an den Anker. Unter Zeitdruck verstärkt sich dieser Effekt zusätzlich um bis zu 50 Prozent.

Ankereffekt in der Psychologie: Faszinierende Experimente

Das „Richter-Experiment“ von den Psycholog*innen Birte Englich und Thomas Mussweiler aus dem Jahr 2012 zeigt die erschreckende Macht des Ankereffekts: Erfahrene Strafrichter*innen würfelten vor einer Urteilsfindung. Die Würfel waren manipuliert – eine Gruppe würfelte immer eine 3, die andere eine 9. Anschließend sollten sie das Strafmaß für einen Ladendiebstahl festlegen. Das Ergebnis: Die „9er-Gruppe“ verhängte durchschnittlich 8 Monate Haft, die „3er-Gruppe“ nur 5 Monate – ein Unterschied von 60 Prozent.

Ein weiteres spannendes Experiment führten Forscher*innen in einem Supermarkt durch: Sie limitierten die maximale Anzahl an Dosenprodukten pro Kundin und Kunde – entweder auf 12 oder auf 4 Dosen. Die „12er-Gruppe“ kaufte durchschnittlich 7 Dosen, die „4er-Gruppe“ nur 3. Der bloße Anker der Maximalzahl erhöhte die Kaufmenge um mehr als das Doppelte.

Wie Journaling (oder auch das gute, alte Tagebuchschreiben) dir dabei helfen kann, einen klaren Kopf zu behalten und warum es der Psycho so guttut, erklären wir dir im Video:

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Der Ankereffekt im Shopping-Alltag

Besonders geschickt nutzen Händler*innen den Ankereffekt in der Preisgestaltung. Das durchgestrichene „Vorher“-Preisschild von 99,99 Euro wirkt als Anker, der den „Aktionspreis“ von 49,99 Euro besonders attraktiv erscheinen lässt. Auch die klassische „Das-gebe-ich-dir-für-300-Euro“-Ansage beim Gebrauchtwagenkauf setzt einen Anker. Selbst wenn wir nur 250 Euro zahlen, orientieren wir uns unbewusst an der ersten Zahl. Sogar die Produktplatzierung im Supermarkt nutzt den Effekt: Das teure Markenprodukt im Regal macht die günstigere Alternative daneben attraktiver.

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Gehaltsverhandlungen: Wer zuerst zahlt, gewinnt

In Gehaltsverhandlungen zeigt sich die Macht des ersten Ankers besonders deutlich. Wer zuerst eine Zahl nennt, setzt den Anker für die weitere Verhandlung. Nennt eine Bewerberin beispielsweise 65.000 Euro als Gehaltswunsch, wird sich das finale Gehalt eher in diesem Bereich bewegen. Hätte sie 75.000 Euro genannt, wäre wahrscheinlich auch das Endergebnis höher ausgefallen. Expert*innen raten daher: Informiere dich gut über branchenübliche Gehälter und setze den ersten Anker selbstbewusst etwas höher an.

Vorteile clever nutzen – Nachteile kennen

Der Ankereffekt hat durchaus seine Vorteile: Er hilft uns, schnelle Entscheidungen zu treffen und komplexe Informationen zu verarbeiten. In Verhandlungssituationen können wir ihn gezielt einsetzen: Wer den ersten Anker setzt, steuert oft den weiteren Verlauf. Auch beim Verkauf eigener Produkte oder in der Selbstpräsentation, beispielsweise bei einem Vorstellungsgespräch, kann ein geschickt gesetzter Anker positive Wirkung entfalten.

Die Nachteile wiegen jedoch schwer: Wir treffen vorschnelle, irrationale Entscheidungen. Der Anker verhindert oft, dass wir Alternativen objektiv prüfen. Besonders bei wichtigen finanziellen Entscheidungen kann das teuer werden. Auch in der Medizin kann der Ankereffekt gefährlich sein: Ärzt*innen orientieren sich manchmal zu stark an einer ersten Diagnose und übersehen alternative Erklärungen.

Strategien gegen die Anker-Macht

Der erste Schritt zur „Anker-Abwehr“ ist das Bewusstsein für den Effekt. Hinterfrage erste Zahlenwerte kritisch: Woher kommen sie? Sind sie realistisch? Sammle verschiedene Vergleichswerte, bevor du eine Entscheidung triffst. Bei Verhandlungen: Bereite dich gut vor und lass dich nicht vom ersten Angebot einschüchtern. Beim Shopping hilft es, vorher ein Budget festzulegen und sich nicht von „Schnäppchen“-Ankern verführen zu lassen.

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Weitere bewährte Taktiken:

  • Sammle mindestens drei unabhängige Referenzwerte vor wichtigen Entscheidungen
  • Nutze die „Zeit-Regel“: Warte bei größeren Entscheidungen mindestens 24 Stunden
  • Setze dir vor Verhandlungen ein fixes Limit
  • Hole dir eine zweite, unabhängige Meinung ein
  • Berechne Alternativen selbst, statt vorgegebene Zahlen zu übernehmen

So nutzt du Anker richtig

Der Ankereffekt ist ein mächtiges psychologisches Werkzeug, das uns täglich beeinflusst. Statt ihn komplett auszuschalten – was kaum möglich ist – sollten wir lernen, ihn zu erkennen und bewusst damit umzugehen. Das bedeutet: Mehrere Optionen vergleichen, eigene Anker setzen und bei wichtigen Entscheidungen eine Nacht darüber schlafen. Und manchmal hilft es auch, sich selbst einzugestehen: Ja, auch ich lasse mich von Ankern beeinflussen – aber ich kann lernen, besser damit umzugehen.

Was außerdem dahinterstecken kann, wenn es dir irre schwerfällt, eine Entscheidung zu treffen: das sogenannte Decision Fatigue. Mehr darüber erfährst du hier:

Decision Fatigue: Das steckt laut Psychologie dahinter, wenn dir Entscheidungen schwerfallen

Decision Fatigue: Das steckt laut Psychologie dahinter, wenn dir Entscheidungen schwerfallen
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