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Kommentar

Buchkritik: Werden Frauen beim Sex zu Opfern gemacht?

Slutever

In dem autobiografischen Buch „Slutever“* der Vogue-Kolumnistin Karley Sciortino geht es nicht nur um ihre eigenen sexuellen Erlebnisse als selbsternannte „Slut“, sondern auch darum, was Frauen heutzutage noch über Sex beigebracht wird. Sie behauptet nämlich, dass Frauen häufig in der Opferrolle verharren, weil sie in der ständigen Angst vor traumatischen sexuellen Erfahrungen leben. Diese gewagte These habe ich mir genauer ansehen und erkläre dir, warum ich sie im Hinblick auf die aktuelle #metoo-Debatte für förderlich halte.

Nicht nur irgendein Buch über Slut Shaming

Der erste Auszug aus „Slutever: Dispatches from a Sexually Autonomous Woman in a Post-Shame World“*, der vorab in der amerikanischen Vogue veröffentlicht wurde, hatte mich sofort neugierig gemacht. Karley Sciortino stellt darin die Frage: Warum reden wir, wenn es um Sex geht, immer so, als würden Männer dabei etwas bekommen und Frauen dafür etwas aufgeben? Das ist erst mal keine sonderlich neue Feststellung. Feministische Kritikerinnen beschäftigen sich schon seit Jahrzehnten damit, wie die weibliche Lust unterdrückt wird. Ein aktuelles Beispiel sind die sogenannten Slut Walks, bei denen leicht bekleidete Frauen auf die Straße gehen, um öffentlich zu ihrer Sexualität zu stehen. Schließlich werden auch heute noch Frauen als Schlampen bezeichnet, wenn sie Sex mit wechselnden Partnern haben, wohingegen das gleiche Verhalten bei Männern als erstrebenswert gilt.

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Ich persönlich konnte den Slut Walks allerdings nie viel abgewinnen. Dir Kritik vieler Feministinnen, die das Patriarchat als Unterdrücker der weiblichen Sexualität ausmachen, ist mir einfach zu verkürzt. Ich hatte daher zunächst angenommen, dass auch „Slutever“ ein solches Buch sein würde: Eine moderne aufgeklärte Frau schreibt offen über ihre Sexualität und haut noch ein paar feministische Parolen raus. Als ich jedoch die ersten Zeilen von Karley Sciortino las, wusste ich sofort, dass ihre Kritik in eine etwas andere Richtung geht.

Gibt es schlechten Sex für Männer gar nicht?

Um Karley Sciortino These über die Opferrolle der Frau beim Sex zu verstehen, müssen wir uns erst mal anschauen, was sie über negative sexuelle Erfahrungen schreibt. Laut ihr bekommen Männer beigebracht, dass es so etwas wie schlechten Sex gar nicht gäbe. Das Schlimmste, was einem Mann in Sachen Sex passieren könne, sei, von einer unattraktiven Frau überredet zu werden. Doch selbst diese Erfahrung werde in Filmen positiv dargestellt und sorge hinterher eher für Lacher als ein lebensveränderndes Trauma. Ganz anders sei dies jedoch bei Frauen. Sehen wir in Serien oder Filmen Frauen, die zum Sex überredet wurden, erlitten sie danach seelische Verletzungen.

Ich muss der Autorin bei dieser Beobachtung durchaus recht geben. Erst kürzlich musste ich nämlich im Zuge der #metoo-Debatte darüber nachdenken, als ich über die Vorwürfe an den Comedian Aziz Anzari las. Diesem wurde in einem Artikel von einer anonymen Frau im Magazin Babe.net vorgeworfen, ihr die schlimmste Nacht ihres Lebens bereitet zu haben. Anzari mag in der besagten Nacht durchaus ein ziemlicher Trampel in Sachen Sex gewesen sein, ich konnte jedoch nicht nachvollziehen, warum diese Frau die Begegnung als derart traumatisierend empfand. Mit diesem Gefühl bin ich übrigens nicht alleine. Auch die Journalistin Bari Weiss, die in den Vorwürfen an Anzari eine Verharmlosung tatsächlicher sexueller Gewalt sieht, hat in der New York Times hierzu ein sehr empfehlenswertes Meinungsstück geschrieben. Genau hier sehe ich interessante Anknüpfungspunkte der aktuellen #metoo-Debatte an die Beobachtungen über negative sexuelle Erfahrungen in „Slutever“.

Frauen müssen sich eine dickere Haut zulegen

Hier wird es nun meiner Meinung nach sehr interessant und auch brisant. Karley Sciortino kritisiert, dass die weibliche Sexualität von der Gesellschaft viel zu sehr als schützenswert betrachtet wird. Das heißt, dass Frauen schon von klein auf lernen, dass Sex etwas Bedrohliches ist. Sciortino sieht hierin ein großes Problem, da genau dies dazu führe, dass Frauen, wenn es um Sex geht, wie schützenswerte Kleinkinder behandelt würden. Es sei hingegen wichtiger, dass Frauen den Unterschied zwischen einem sexuellen Übergriff und einer unangenehmen Erfahrung lernen und selbst mehr Verantwortung für das übernehmen, was im Schlafzimmer passiert.

Ich bin mir sicher, dass sich diese Forderungen für viele Feministinnen nach Victim Blaming anhören, sie also den Opfern sexueller Gewalt die Schuld geben. Genau damit befasst sich Sciortino ebenfalls in „Slutever“*: Bei dieser Kritik gehe es ganz klar nicht um sexuelle Übergriffe, aber durchaus um die fließenden Übergänge zu schlechten Sex-Erfahrungen. Die Autorin ist eben der Meinung, dass sich moderne Frauen mit einer selbstbestimmten Sexualität eine dickere Haut zulegen müssen. Im Klartext bedeutet das also: sich als Frau beim Sex nicht als Opfer, sondern als eigenverantwortliches „Raubtier“ zu sehen.

Nina Everwin

Beschäftigen wir uns endlich mit der Opferrolle!

Ich persönlich bin sehr angetan von den Thesen aus „Slutever“. Das hat auch einen Grund, denn derzeit bekomme ich das Gefühl, dass die #metoo-Debatte dazu führt, ein nicht sonderlich lustvolles Bild von weiblicher Sexualität zu zeichnen. Bei all den Anschuldigungen und Diskussionen trat meiner Ansicht nach die sexuelle Lust von eigenverantwortlichen Frauen zu sehr in den Hintergrund. Ich denke, dass Karley Sciortinos mit ihrem neuen Buch hier eine längst fällige Debatte anstößt, dabei angenehmerweise aber nicht aus einem fragwürdigen politischen Lager stammt.

Karley Sciortinos scheint es hier als eine der wenigen geschafft zu haben, Kritik an der Debatte um sexuelle Belästigung zu leisten und gleichzeitig durch und durch feministisch zu bleiben. Zumindest hatte ich bei ihren Zeilen seit Langem endlich wieder das Gefühl: Das ist meine Art von Feminismus! Vielleicht siehst du das aber auch völlig anders und schlägst gerade die Hände über dem Kopf zusammen?

Nina Everwin
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Bildquelle: iStock/Getty Images Plus/nd3000
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