„Was tragen Sie in Coachella?“ fragt mich die Überschrift eines H&M-Magazin-Artikels und ich muss gestehen, ich bin ziemlich ratlos. Denn um ehrlich zu sein, hatte ich mir keine Gedanken darüber gemacht, was ich für den unwahrscheinlichen Fall, dass ich auf das über 400 Euro teure Musikfestival in Kalifornien gehe, tragen würde. Anscheinend hat die sommerliche Festivalplanung aber inzwischen einen festen Platz im Leben junger Menschen eingenommen und Musikfestivals schießen wie Pilze aus dem Boden. Was mich an diesem Festival-Hype nervt und warum ich keinen Festival-Look trage, erfährst Du hier.
Seit wann geht eigentlich jeder Depp auf Festivals?
Ich kann mich noch gut an meine ersten Musikfestivals erinnern, die ich während meiner Schulzeit besucht habe. Damals war es ein ziemlicher Kampf, meine Eltern dazu zu überreden, mir den Festivalbesuch zu erlauben und schließlich mit meinen Freunden per Regionalbahn oder per Anhalter zum Ort des Geschehens zu kommen. Auf Musikfestivals gehen, das war etwas, was damals kaum einer meiner Klassenkameraden in Erwägung gezogen hätte. Stattdessen tat ich mich mit einer bunten Truppe aus gleichgesinnten Musikliebhabern zusammen, um neue Bands kennenzulernen und ein wenig alternative Subkultur zu schnuppern. Nagut, neben dem Interesse für Musikkultur machte auch das Besäufnis mit fragwürdiger Billig-Cola und Tütenwein-Mischungen auf dem Campingplatz einen Großteil des Reizes aus.
Mittlerweile staune ich aber darüber, wie sehr Festivals scheinbar zur normalen sommerlichen Freizeitgestaltung von jungen Menschen gehören und plötzlich auch die ehemaligen Oberspießer meines Abiturjahrganges Festivalfotos auf Facebook posten. Beim Anblick dieser Bilder und beim Lesen von Fashion-Artikeln zum aktuellen Festival-Look, stelle ich mir immer wieder die Frage, woher dieser Trend in den letzten Jahren so plötzlich aufgekommen ist. Inzwischen scheint jeder irgendwie eine Vorstellung davon zu haben, was auf einem Festival so vor sich geht und mindestens ein Festival im Sommer einzuplanen – egal, ob man im Rest des Jahres auf Konzerte geht oder eher zu der Sorte Menschen gehört, die angeblich „eigentlich alles“ hören.
Was soll dieser einheitliche Festival-Look?
Was mich am derzeitigen Festival-Hype am allermeisten nervt, ist der propagierte Einheitslook. Derzeit trudeln immer mehr Newsletter in meinem E-Mail-Postfach ein, die mir Festival-Mode für den Sommer andrehen wollen. Obwohl es eigentlich ja eine ganze Reihe sehr unterschiedlicher Musikfestivals mit genrespezifischen Styles von Gothic über Indierock bis hin zu Reggae gibt, scheint sich ein allgemeiner Dresscode herausgebildet zu haben: Ein hippieesker Einheitslook bestehend aus runden Sonnenbrillen, Fransen, Crop Tops, Hüten, Blumenhaarkränzen, Gummistiefeln und Glitzerstickern fürs Gesicht.
Es scheint ganz so, als wäre die Festival-Saison eine Art Karneval, zu der man sich wie zu einer Mottoparty kleidet, als wäre man ein moderner Besucher des legendären Woodstockfestivals. Dabei ist es völlig egal, ob auf dem Festival House und Indiepop statt Psychedelic Rock gespielt wird. Festivals – das haben doch damals die Hippies in den 70ern erfunden, daher soll man sich heute auch so kleiden und sich mit zahlreichen Accessoires behängt in typischer Fashion-Blogger-Manier auf Instagram präsentieren: #festivalstyle!
Inzwischen ist dieser seelenlose Festivalmodetrend so sehr kommerzialisiert worden, dass eine der Hauptsponsoren des Coachella-Festivals eine eigene Kollektion herausbringt. Die Teile aus der H&M Loves Coachella-Kollektion sollen laut Pressemitteilung den Gemütszustand einfangen, den das kalifornische Musikfestival versprüht: „Es geht darum, sich Gleichgesinnten anzuschließen, von der Route abzuweichen und das Leben zu genießen.“ Dass große Modeketten gerne den Stil von Subkulturen abkupfern und auch Band-Shirts von der Stange anbieten, ist nichts Neues. Trotzdem widert mich die Kommerzialisierung eines angeblichen alternativen, aber dann doch inhaltslosen, Lifestyles an dieser Stelle ziemlich an.
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Die Kommerzialisierung von Musikfestivals wird nicht nur durch das Propagieren einheitlicher Festival-Styles deutlich. Auch die Festivals an sich bekommen immer mehr den Charakter touristischer Events, auf denen man bei Bedarf abseits des Pöbels auf Premium-Zeltplätzen mit All-Inclusive-Verpflegung nächtigen kann. Bedenklicher finde ich jedoch die Rolle, die Sponsorenfirmen bei großen Musikfestivals einnehmen. Auf diesen wird man schon fast mehr mit Werbung zugeballert, als mit Musik: Die Logos prangen sowohl auf den Bändchen als auch auf Plakaten.
Viele Bühnen sind wie etwa auf dem Melt!-Festival nach Sponsoren benannt und tragen Namen wie „Converse Main Stage“. Zwischen den Bandpausen kann man sich dann in Werbezelten beim Wettdrehen von Zigaretten oder Kondom-Tombolas mit wenig subtiler Werbung berieseln lassen. Dass diese Marken Festivals sponsorn, ist nur allzu verständlich, schließlich lässt sich so ein alternatives cooles Image aufbauen, das mit der Realität oft wenig zu tun hat.
Klar, es gibt Schlimmeres, als dass immer mehr Menschen sich im Sommer auf Festivals vergnügen und die alte Leier, von wegen früher war alles besser, möchte auch niemand mehr hören. Ich würde mir jedoch wünschen, dass mit dem gesteigerten Interesse für Festivals auch ein gesteigertes Interesse für Musik abseits des derzeitigen Einheitsbreis einhergehen würde. Diejenigen, die diesen Sommer gerne auf Festivals zu Avicii und David Guetta tanzen wollen, sollen dies meinetwegen tun – aber lasst doch dann bitte die alberne Hippie-Verkleidung weg, danke.
Bildquellen: Getty Images/Kevin Winter, Getty Images/Frazer Harrison, Getty Images/Freier Fotograf