Die Hauptdarstellerin in einem Action-Film? Starke Frau! Die Geschäftsführerin eines Aktienunternehmens? Starke Frau! Nicht nur zum Weltfrauentag werden in den Medien „starke Frauen“ gefeiert. Das mag zwar gut gemeint sein, bestätigt aber sexistische Rollenbilder: Indem wir einzelne „starke Frauen“ bejubeln, erschaffen wir unbewusst eine neue Kategorie – die „schwachen Frauen“.
Sie sind überall!
Ob „starke Frauen“ im Deutschen oder „strong women“ im Englischen, die Bezeichnung begegnet mir seit einigen Jahren gefühlt überall. Christina Aguilera kreierte zuletzt ein Parfüm für „starke Frauen“, das Label Oh April stellt Mode für „starke Frauen“ her, die Hörbuch-Plattform Audible hat eine eigene Kategorie für „starke Frauen“, Netflix hat mehrere Unterkategorien für „starke weibliche Hauptrollen“ und bei Josea Surfwear findet man Bikinis für „starke Frauen“. Wenn ein Begriff derart häufig verwendet wird, sollte eigentlich jedem klar sein, was damit gemeint ist. Doch um ehrlich zu sein, bin ich mir da nicht ganz sicher.
Was ist das eigentlich eine „starke Frau“?
Sucht man bei Instagram nach den Hashtags #starkefrauen oder #strongwomen, merkt man: Hier wird die Bezeichnung meist wortwörtlich genommen. Neben kitschigen Kalendersprüchen, Motivationscoaches und Mami-Bloggerinnen sehe ich Tausende Selfies von muskelbepackten Frauen im Fitnessstudio.
In einer Spezial-Sendung von Spiegel-TV über „Starke Frauen“ hingegen werden nicht nur Damen mit Muckis porträtiert, sondern unter anderem die Unternehmerin Judith Williams sowie eine Fußballkommentatorin des ZDF, Claudia Neumann. In einem Artikel des Online-Magazins Ideapod über Dinge, die starke Frauen auszeichnen, lerne ich außerdem: Starke Frauen sind glücklich, Single zu sein. Das Lifestyle-Magazin Power of Positivity ist sich wiederum sicher, dass man eine starke Frau sofort als solche erkennt:
Wenn du auf eine starke Frau triffst, wirst du das in dem Moment merken, in dem sie den Raum betritt. Sie versprüht ein Selbstbewusstsein, das jeder von einer Meile entfernt erkennen kann, und stellt sich furchtlos jeder Situation.
Definition einer „starken Frau“ von Power of Positivity
Fassen wir also mal zusammen: „Starke Frauen“ zeichnen sich wahlweise durch ihre Muskelkraft, beruflichen Erfolg, ein eigentlich typisches „Männer-Hobby“ wie Fußball, Single-Status und ein außergewöhnliches Selbstbewusstsein aus. An all diesen Eigenschaften gibt es zwar nichts auszusetzen, aber hieran wird schon erkennbar, was an dieser Kategorisierung so falsch ist.
Dann bin ich wohl eine „schwache Frau“
Im Umkehrschluss müssten Frauen wie ich nämlich das komplette Gegenteil einer „starken Frau“ sein: Als Sportmuffel habe ich ziemliche Puddingärmchen, es gibt viele Dinge, die mir wichtiger sind als meine Karriere, mit Fußball kann ich nichts anfangen, ich bin nicht gerne Single und strahle als ziemlich introvertierte Person auf den ersten Blick bestimmt kein großes Selbstbewusstsein aus. Indem wir bestimmte Eigenschaften „starken Frauen“ zuschreiben, sagen wir gleichzeitig, dass es neben diesen leuchtenden Vorbildern auch andere gibt. Frauen, die vermeintlich nicht „stark“, sondern dann anscheinend „schwach“ sind.
Glücklicherweise bin ich nicht die Einzige, die das so sieht. Immer mehr Schauspielerinnen, die ständig auf ihre Verkörperung von „starken Frauen“ angesprochen werden, haben die Bezeichnung ebenfalls satt. In der amerikanischen Ausgabe der Elle echauffiert sich die Daenerys Targaryen-Darstellerin Emilia Clarke gegenüber ihrer Interviewerin: „Wie es sich anfühlt, eine starke Frau zu spielen? Ich werde dir sagen, wie es sich anfühlt, eine Frau zu spielen, Ende. Finde ein anderes Adjektiv, verdammt! Ich spiele einfach nur Frauen. Wenn sie nicht stark ist, was ist sie dann? Sagst du mir, dass es eine schwache Option gibt? (...) Also genug jetzt mit diesen „starken Frauen“, bitte.“
Ähnlich sieht das ihre Schauspiel-Kollegin Carey Mulligan in einem Interview mit Elle:
Zu Männern sagt man nicht: ‚Du hast wieder einen starken Mann gespielt.‘ Der Gedanke, dass Frauen von Natur aus schwach sind – und wir einige wenige Starke ausgewählt haben, über die wir Geschichten erzählen – ist verrückt.
Carey Mulligan
Damit sprechen mir die beiden aus der Seele. „Starke Frauen“ ist zu einem Synonym für Ausnahme-Frauen geworden, die nicht das verkörpern, was wir als typisch weiblich empfinden. Stattdessen sind sie attraktive Superheldinnen, „die einfach nicht so sind wie die anderen Frauen“ oder alleinerziehende Super-Mamas, die nicht nur eine Familie, sondern auch ein Unternehmen gegründet haben. Chapeau! Ich fühle mich durch das Abfeiern dieser „starken Frauen“ aber eher entfremdet, anstatt empowert.
Charlize Theron sieht das übrigens ganz anders. Im desired-Interview erklärt sie, warum:
Der Begriff „starke Frauen“ spaltet Frauen in zwei Lager
Der Begriff „starke Frauen“ verfehlt genau das, was er erreichen will: Dass sich Frauen damit identifizieren können. Stattdessen wird eine unerreichbare Parallelwelt geschaffen, die nichts mit der Lebensrealität „normaler Frauen“ zu tun hat. Keine Frage, ich habe großen Respekt vor Unternehmerinnen, die sich in einer Männerdomäne durchgesetzt haben, oder Kampfsportlerinnen, die sich zur Wehr setzen können. Trotzdem erzeugt das ständige Hervorheben dieser leuchtenden Vorbilder meiner Meinung nach eher Perfektionismusdruck – etwas, von dem Frauen eigentlich echt schon genug haben.
Ich habe nicht vor, ein Start-up zu gründen und die Vorstellung, neben meinem Vollzeit-Job alleine Kinder großzuziehen, klingt für mich nach einem echten Albtraum. Bin ich deshalb also keine „starke Frau“? Als Feministin finde ich es viel wichtiger, jede Frau zu bestärken, auch wenn sie keine Superheldin, perfekte Mutter oder Vorstandschefin ist. Und wenn es unbedingt sein muss, lasst uns doch stattdessen die Dinge klarer benennen. Es gibt so viele schöne Adjektive, die viel aussagekräftiger sind: ambitioniert, ehrgeizig, selbstbewusst, aktivistisch, erfolgreich, mutig, furchtlos, durchsetzungsfähig ...
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