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Kommentar

Der Entschluss der Essener Tafel ist falsch

In der Essener Tafel ist es wegen Überfüllung offenbar zu Zwischenfällen unter den Bedürftigen gekommen. Die Reaktion der Einrichtung lautete daraufhin provokant: Hier dürfen nur noch Deutsche essen. Eine Entscheidung, die natürlich für Diskussionen sorgte und auch die Politik zu einer Reaktion zwang. Doch bei allem Respekt für die Arbeit der Freiwilligen, verstehe ich nicht, warum wir davon ausgehen, dass die Herkunft das Problem ist? Hier werden Menschen gegeneinander aufgehetzt, die sich in derselben Situation befinden. Vom eigentlichen Problem, der Armut, wird abgelenkt.

Die Essener Tafel hatte vergangene Woche beschlossen, vorerst nur noch Deutsche bei der Essensausgabe zu begrüßen. Gründe dafür waren, dass sich einige Frauen, vor allem ältere Kundinnen, sich vor den fremdsprachigen jungen Männern abgeschreckt gefühlt hätten. Gegenüber der WAZ sagte der Vereinsvorsitzende Jörg Sator: „Wir wollen, dass auch die deutsche Oma weiter zu uns kommt.“ Er habe einen mangelnden Respekt gegenüber Frauen beobachtet. Auf der Homepage des Vereins ist die offizielle Erklärung zu lesen:

„Da aufgrund der Flüchtlingszunahme in den letzten Jahren, der Anteil ausländischer Mitbürger bei unseren Kunden auf 75 % angestiegen ist, sehen wir uns gezwungen um eine vernünftige Integration zu gewährleisten, zurzeit nur Kunden mit deutschem Personalausweis aufzunehmen.“
Tafel Essen
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Geflüchtete, Hartz-IV-Empfänger und ein schlechter Witz

Es gibt einen traurigen Witz, an den ich während dieser Diskussion immer denken musste: Ein Bänker, ein Flüchtling und Hartz-IV-Empfänger sitzen am Tisch. Vor ihnen steht ein Kuchen, der in zwölf Stücke geteilt ist. Der Bänker nimmt sich elf Stücke, dreht sich zum Hartz-IV-Empfänger um und sagt: Pass auf, dass der Flüchtling dir nicht dein Stück Kuchen stiehlt!“

Seien wir mal ehrlich: Hunger kennt keine Nationalität.

Die Armut in Deutschland betrifft so viele Menschen. Laut dem EU-Statistikamt Eurostat birgt Deutschland in der gesamten Europäischen Union sogar die höchste Gefahr auf Armut bei Arbeitslosigkeit. Und auch, wer einen Job hat, kann nicht immer davon leben. Besonders Frauen sind übrigens von der Altersarmut betroffen, wie eine Studie der Bertelsmann-Stiftung belegt. Und da kommen wir wieder zurück zu meinen Kuchenstücken: Die deutsche Armut wurde nicht von Ausländern erzeugt, sondern durch inländische Politik. Jedoch betrifft sie in unserem multikulturellen Land natürlich auch Menschen, die keine deutsche Staatsangehörigkeit haben.

Ich bin fassungslos darüber, dass ihnen nun auch der Zugang zu einer wohltätigen Armenspeisung, zu einem winzigen Stück vom großen Kuchen, versagt wird. Diese Einteilung hat nichts mit der Bedürftigkeit der Menschen zu tun. Nicht einmal damit, wie sich individuelle Menschen verhalten haben. Anstatt einzelnen Personen, die sich unangemessen verhalten, Hausverbot zu erteilen, wird eine riesige Menschengruppe nach dem Prinzip der Sippenhaft bestraft. Ich fände es besser, wenn versucht werden würde, die Annäherung von allen Bedürftigen zu unterstützen. Sie vielleicht an einen Tisch zu setzen, damit sie das Gespräch suchen, sich über ihre Lebenserfahrungen austauschen und die Angst voreinander zu verlieren. Vielleicht würden sich die Menschen dann annähern, wie in diesem Video von Deutschland3000:

Stattdessen werden sie gegeneinander ausgespielt. Menschen aufgrund nicht veränderbarer Eigenschaften wie Hautfarbe, Geburtsland und ethnische Zugehörigkeit zu beurteilen, ist ein Relikt und sollte in unserer heutigen Realität nichts zu suchen haben.

Das Vorgehen der Verantwortlichen ist rassistisch

Ich glaube den Verantwortlichen, dass sie, von der Politik im Stich gelassen, nach einer „einfachen“ Lösung gesucht haben. Aber ihre Lösung ist meinem Empfinden nach rassistisch und verstößt sogar gegen das Grundgesetz. Nur die rechtsextreme NPD wirbt heute noch mit dem Satz „Sozial geht nur national“. Wer sich diesen Vergleich nicht gefallen lassen will, darf nicht danach handeln. Die Tafeln müssen ihre Probleme publik machen und mehr Geld für ihre Projekte aus den Steuereinnahmen fordern. 2017 erzielte die Bundesrepublik Deutschland wieder Rekordsteuereinnahmen, wie das Finanzministerium mitteilte. Bis 2021 kann der Gesamtstaat demnach mit 54 Milliarden Euro an zusätzlichen Steuereinnahmen rechnen. Es ist ein großer Kuchen, der so leicht für alle zu zerteilen wäre. Dieses Geld wird jedoch nicht in den Abbau sozialer Ungerechtigkeit gesteckt.

Belehrende, aber nutzlose Reaktion der Politik

Die Reaktion der Politik ist ebenfalls als schlechter Witz zu betrachten. Angela Merkel kritisierte die Entscheidung der Tafel, in „deutsch“ und „nicht deutsch“ zu denken. „Da sollte man nicht solche Kategorisierungen vornehmen. Das ist nicht gut“, sagte sie gegenüber RTL. Nordrhein-Westfalens Sozialminister Karl-Josef Laumann (CDU) sagte laut Welt, dass bei großem Andrang Kriterien gefunden werden müssten, wie begrenzte Mittel verteilt werden könnten. Er zweifle aber daran, dass die Staatsangehörigkeit dafür das richtige Mittel sei. Die Essener Tafel hält nach einer Krisensitzung übrigens an ihrem neuen Konzept fest. Die Kritik der Bundeskanzlerin weist sie zurück.

Rassismus ist keine Lösung

Es ist keine leichte Situation, in der sich die Essener Tafel befindet. Die Politik müsste etwas daran ändern, hebt aber nur den mahnenden Zeigefinger. Das verursacht Trotz und Verdruss bei der Tafel. Und Verzweiflung bei mir. Was ist das für ein Land, in dem wir Menschen dabei zu sehen, wie sie um Essen kämpfen? Ich plädiere für eine offene Auseinandersetzung mit den existierenden Problemen und für eine Politik, die endlich Verantwortung für uns alle übernimmt. Was denkst du über die Entscheidung der Essener Tafel? Hältst du es für eine vertretbare Lösung?

Helena Serbent

Bildquelle: iStock/Getty Images Plus/danefromspain, iStock/Getty Images Plus/AnaBGD, iStock/Getty Images Plus/DimaBerkut, Tafel Essen