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Warum die Corona-Krise uns nicht nachhaltig entschleunigte

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Corona. Eine Krise, die uns innerhalb kürzester Zeit zur Entschleunigung gezwungen hat. Doch was ist daraus geworden? Gehen wir unser Leben nun wirklich langsamer an? Leider nein! Es scheint, als hätten wir nichts aus den vergangenen – verlangsamten – Monaten gelernt. Auch ich nicht.

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Mit abnehmender Anzahl neuer Corona-Fälle, scheint sich auch die Anzahl derer zu reduzieren, die während der letzten Monate ihr Leben schlagartig entschleunigt haben. Ich frage mich, wo der Grund dafür liegt, dass unser Alltag wieder derartig Fahrt aufnehmen muss?

Wenn Entschleunigung zur Langeweile wird

Seit Jahren reden (oder predigen) wir darüber, dass unser Leben an uns vorbeizieht, uns keine Zeit mehr für die wirklich wichtigen Dinge bleibt. Morgendliche grüne Smoothies, wöchentliche Yoga-Kurse und ein 3-wöchiger Detox-Urlaub auf Bali sollen all das richten, was über das gesamte Jahr verteilt, fast zum Burnout führte – oder bei vielen tatsächlich schon darin endete. Berufliche und private Belastungen münden nicht selten in chronischer Überforderung und dem Gefühl, ausgebrannt zu sein. In den letzten Monaten bekamen wir – trotz einer weltweiten Krise – die Chance, wieder zu uns zu finden, uns und unser Leben zu verlangsamen, uns zu fühlen. Die starken Einschränkungen durch den Corona-Lockdown und das Social-Distancing haben uns förmlich dazu gezwungen, runterzukommen.

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Millenials haben das Nichtstun verlernt

Keine Überstunden bei der Arbeit, kein voller Terminkalender am Wochenende, kein Druck, ständig perfekt auszusehen. Was traumhaft klingt, sieht in der Realität anders aus.  Denn es dauerte nicht lang und die Langeweile wurde groß. Sehr groß sogar. Sollte das Gefühl, einfach mal nichts tun zu müssen, uns eigentlich total entspannen, so steigt in uns stattdessen die Angst am Boreout-Syndrom zu leiden und wir fangen schneller als gedacht damit an, nach Beschäftigungen zu suchen.

Wir Millenials sind dafür bekannt, stets zu versuchen, unser Leben zu perfektionieren. Die Suche nach etwas – egal ob beruflich oder privat – zieht sich durch unser ganzes Leben. Nicht umsonst nennt man uns auch die „Generation Y“ (ausgesprochen wie das englische Wort „why“). So auch in der Entschleunigung, wenn wir eigentlich mal unseren Kopf ausschalten sollen. Selbst dann fragen wir uns: „Was können wir als nächstes tun?“.

„Dolce far niente“ - Wenn das süße Nichtstun bitter wird

Schnell wird die Corona-Quarantäne zum neuen Vollzeit-Projekt, das möglichst perfekt wirken soll: 20-Yoga-Work-Outs bei YouTube, 7 Mal die Woche Joggen, sich selbst die Haare schneiden, färben und danach Locken mit Socken frisieren mit TikTok-Tutorials, Bananenbrot backen, Pancake Cereal essen und Dalogna Kaffee trinken dank neuester Instagram-Trends und das alles im ständigen Wechsel. Am Abend ein bis drei Flaschen Wein bei einem eigentlich ziemlich langweiligen Zoom-Meeting mit Freunden, das sich über Stunden zieht, obwohl niemand etwas zu erzählen hat – denn keiner der Teilnehmer hat etwas erlebt. Niemand. Doch man starrt mit Sehnsucht auf den Bildschirm, denn für viele wird der fehlende physische Kontakt zu Freunden oder der Familie immer mehr zur einem psychischen Problem. Die Sehnsucht danach, etwas gegen das Ausgelangweilt-Sein zu tun, wird immer größer. „Dolce far niente“, das süße Nichtstun, wie es die Italiener klangvoll nennen, schmeckt in der Realität eher bitter und macht das Untätigsein schwer erträglich.

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Entschleunigung: „Dolce vita“ oder Teufelskreis?

Wollten wir vor Monaten noch wie von einem überfüllten und zu lauten Konzert einfach heimlich durch die Seitentür aus unserem Leben verschwinden, stehen wir heute alle gemeinsam Schlange (mit Mindestabstand) vor dem Haupteingang und warten darauf, noch ein Ticket zu bekommen, um das Leben wie den dröhnenden Bass der Musik zu spüren. Alle wollen so schnell wie möglich wieder zurück in ihren Alltag aus Überstunden und Terminstress. Geld für neue Fast-Fashion-Modetrends ausgeben und feiern gehen, um uns wieder für die viele Arbeit zu belohnen. Nach Monaten des Spazierengehens endlich wieder Urlaub in der Ferne buchen, um sich vom Nichtstun zu erholen. Ist das unser „la dolce vita“? Oder eher ein Teufelskreis, der keineswegs nach Langsamkeit klingt?

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Stefan Uhr

Wahre Entschleunigung gelingt nur ohne Zwang

Um ein erfülltes und entschleunigtes Leben zu leben, genügt es nicht, einen Berg zu erklimmen und oben angekommen einmal tief durchzuatmen. Den Ausblick, den wir dort oben genießen, die Weite, in die wir blicken, brauchen wir auch in unserem Alltag. Wir müssen lernen, wieder richtig zu atmen. Das tägliche Leben zu verlangsamen bedeutet, Platz zu schaffen. Platz für all das, was uns wirklich glücklich macht. Was das ist, haben wir vielleicht in den letzten Monaten herausfinden können. Weil es uns schlagartig genommen wurde. Entschleunigung passiert nicht auf Knopfdruck und nicht, wenn wir von einer Krise dazu gezwungen werden. Nichtstun kann so schön sein, wenn man es nicht muss.

Stefan Uhr

Bildquelle: Unsplash / Milan Popovic