Eine kleine Notlüge hier, eine ausweichende Antwort da – obwohl wir Ehrlichkeit als Wert sehr schätzen, fällt es uns im Alltag oft schwer, wirklich aufrichtig zu sein. Was steckt hinter dieser Diskrepanz? Und wie können wir lernen, authentischer zu kommunizieren?
Denn, jetzt mal Hands aufs Herz, wer kennt es nicht: Die Freundin fragt nach unserer Meinung zu ihrem neuen Haarschnitt, der Partner möchte wissen, ob uns seine Familie nervt, oder die Kolleg*innen erwarten Feedback zu ihrer Projektidee. In solchen Momenten fühlen wir uns oft hin- und hergerissen zwischen absoluter Ehrlichkeit und dem Wunsch, niemanden zu verletzen. Doch woher kommt diese innere Spannung? Gründe dafür und wie wir lernen, aufrichtiger zu sein, ohne dabei rücksichtslos zu werden, liest du jetzt.
#1
Der Konflikt zwischen Harmoniebedürfnis und Authentizität
Viele von uns haben schon früh gelernt, dass soziale Harmonie wichtig ist. „Sei nett zu anderen“ ist eine der ersten Verhaltensregeln, die wir als Kinder verinnerlichen. Dieses tief verwurzelte Bedürfnis nach Harmonie kann später mit unserem Wunsch nach Authentizität in Konflikt geraten. Wir befürchten, durch zu große Aufrichtigkeit Beziehungen zu gefährden oder andere zu verletzen. Doch paradoxerweise kann genau diese Vermeidungsstrategie langfristig zu einer Schwächung unserer Beziehungen führen, wenn sich Unausgesprochenes anhäuft.
#2
Die Angst vor negativen Konsequenzen
Ein weiterer Grund, der uns von Aufrichtigkeit abhält, ist die Furcht vor den Folgen. Werden andere uns ablehnen? Könnten wir berufliche Nachteile erleiden? Verlieren wir wichtige Beziehungen? Diese Ängste sind nicht unbegründet – tatsächlich kann vollkommene Aufrichtigkeit in manchen Situationen kontraproduktiv sein. Dennoch überschätzen wir oft die negativen Konsequenzen und unterschätzen, wie sehr andere Menschen Ehrlichkeit – wenn sie respektvoll kommuniziert wird – schätzen und respektieren.
#3
Der schmale Grat zwischen Ehrlichkeit und Taktgefühl
Aufrichtigkeit bedeutet nicht, ungefiltert alles auszusprechen, was uns durch den Kopf geht. Vielmehr geht es darum, einen Weg zu finden, unsere Wahrheit auf eine Art und Weise zu kommunizieren, die sowohl authentisch als auch respektvoll ist. Das erfordert oft mehr Nachdenken und Formulierungsgeschick als eine schnelle Notlüge. Doch genau diese Mühe macht den Unterschied zwischen verletzender Direktheit und wertschätzender Aufrichtigkeit aus.
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#4
Die Rolle von Selbstreflexion und innerer Ehrlichkeit
Aufrichtige Kommunikation beginnt bei uns selbst. Oft sagen wir nicht die Wahrheit, weil wir selbst unsere wahren Gefühle und Bedürfnisse nicht kennen oder nicht wahrhaben wollen. Vielleicht fürchten wir uns davor, als schwach oder bedürftig wahrgenommen zu werden. Oder wir haben uns so sehr an kleine Unaufrichtigkeiten gewöhnt, dass wir den Zugang zu unserer authentischen Wahrnehmung teilweise verloren haben. Der erste Schritt zu mehr Aufrichtigkeit ist deshalb oft die ehrliche Selbstreflexion.
#5
Der Weg zu mehr Aufrichtigkeit im Alltag
Aufrichtigkeit ist wie ein Muskel, den wir trainieren können. Das bedeutet nicht, von heute auf morgen in allen Situationen die ungeschminkte Wahrheit zu sagen. Vielmehr geht es darum, schrittweise authentischer zu werden und dabei sowohl uns selbst als auch anderen gegenüber achtsam zu bleiben. Wir können mit kleinen, sicheren Situationen beginnen und uns dann Schritt für Schritt an herausforderndere Gespräche heranwagen.
Denk dran:
Beginne damit, in deinem Alltag bewusst wahrzunehmen, wann und warum du unaufrichtig bist. Oft liegen dahinter wichtige Bedürfnisse, wie der Wunsch nach Sicherheit oder Zugehörigkeit. Diese Bedürfnisse sind legitim – vielleicht findest du aber neue Wege, sie zu erfüllen, ohne dich zu verstellen. Übe dich darin, deine Wahrheit wertschätzend zu formulieren. Statt „Dein Haarschnitt gefällt mir nicht“ könntest du zum Beispiel sagen: „Ich mochte deine vorherige Frisur besonders gerne, weil sie deine Augen so schön betont hat.“ So bleibst du authentisch und berücksichtigst gleichzeitig die Gefühle deines Gegenübers. Denk daran: Aufrichtigkeit ist ein Geschenk – sowohl an dich selbst als auch an deine Mitmenschen.