Sich in der deutschen Rap-Szene als Frau durchzusetzen, stellt man sich ziemlich schwierig vor. Visa Vie hat es aber trotzdem längst geschafft und musste dabei so einiges einstecken. Heute gilt die 32-Jährige als Vorreiterin für weibliche Rap-Künstler in der Branche und gibt in ihrem Crime-Podcast "Das allerletzte Interview" einen mörderischen Einblick in die Welt des Deutschraps.
desired: Du bist Rapperin, Musikjournalistin, Moderatorin und Autorin in einer Szene, die man durchaus als männerdominiert bezeichnen kann. Mit welchen Hürden hattest oder hast du als erfolgreiche Frau in der Rap-Szene zu kämpfen?
Visa Vie: Ich hatte auf jeden Fall von Anfang an sehr viel zu kämpfen. In den ersten Jahren hatte ich extreme Probleme damit, ernstgenommen zu werden: Ich wurde wirklich nur auf mein Aussehen reduziert, mir wurde nach jedem Interview unterstellt, ich hätte irgendwas mit den Rappern gehabt, die ich interviewt habe. Das war jahrelang ein Kampf gegen Windmühlen, weil ich als Moderatorin in dieser Welt relativ allein auf weiter Flur war. Aber das hat sich alles extrem gewandelt. Ich habe das Gefühl, dass die Menschen, die sich mit Rap beschäftigen, viel reflektierter geworden sind. Auch dadurch, dass immer mehr Frauen Rap-Fans sind. Wenn man früher auf einem Rap-Konzert war, waren 90 Prozent auf jeden Fall Typen, 10 Prozent Frauen – das wird aber immer mehr.
Es sind auch so viele neue Akteurinnen in die Welt reingekommen, die sich engagieren. Es wird viel mehr gesprochen über Sexismus im Rap, es wird viel mehr hinterfragt, was richtig ist, was man machen kann und was nicht. Es gibt natürlich immer noch ganz viel Ungleichgewicht, aber ich habe das Gefühl, dass das alles gerade in einem guten Wandel ist und ich fühle mich mittlerweile extrem ernstgenommen und respektiert.
Zu diesem Wandel hast du doch sicher auch einen Teil beigetragen, oder?
Es ist irgendwie unbescheiden, das so zu sagen. Ich hatte das Glück, zur richtigen Zeit da zu sein. Und vielleicht habe ich mir mit meinem subtilen Feminismus meinen Weg gebahnt. Aber ich habe das natürlich nicht so offensiv gemacht, wie das andere gemacht haben. Ich habe das eher auf meine Art gemacht – vielleicht habe ich da meinen Teil zu beigetragen, aber ganz viele andere dann später auch.
Die Hip-Hop-Krimiserie "" von und mit Visa Vie handelt von Clara, die sich als Moderatorin in die Rap-Szene einschleust, um einen mörderischen Plan umzusetzen: den erfolgreichsten Rapper Deutschlands zum allerletzten Interview zu treffen, um ihn bloßstellen und ihn direkt im Anschluss töten zu können. Nach zwei erfolgreichen Staffeln kannst du dir die finale, dritte Staffel anhören.
Dein Podcast „Das allerletzte Interview“ handelt auch von einer Frau, die sich in der Rap-Szene behauptet – wenn auch mit mörderischen Hintergedanken. Inwiefern hast du selbst Erlebtes in deinen Crime-Story-Podcast einfließen lassen?
Ehrlich gesagt sehr, sehr viel. Ich konnte mir das nicht alles einfach nur ausdenken und aus den Fingern saugen. Ich muss aber natürlich auch immer aufpassen, was ich dazu sage. Ich habe bewusst immer damit gespielt, dass man teilweise eben denken könnte, dass ich Clara bin und umgekehrt. Ich hätte auch einfach ein Buch schreiben können: „Visa Vie – das große Deutschrap-Enthüllungsbuch“ – aber das wäre mir zu langweilig gewesen. Und deswegen habe ich diesen Weg gewählt, und kann eben sagen: Manche Dinge sind tatsächlich eins zu eins so passiert. Da steckt also schon sehr viel von mir, von meinen Erfahrungen oder Erfahrungen von anderen Menschen aus dieser Welt mit drin.
Die Hauptprotagonistin Clara hat mit ziemlich viel Oberflächlichkeit und vor allem Sexismus in der Rap-Szene zu kämpfen. Entspricht das deiner Erfahrung nach auch heute noch der Realität?
Am Anfang war es wirklich so, dass ich das Gefühl hatte, ich konnte das tollste, investigativste Interview der Welt führen – es ging nur darum, wie kurz die Hose war, die ich anhatte oder, ob ich geil bin, ob ich tauglich zum Geschlechtsverkehr bin oder nicht. Das war dann der Haupttenor unter den Interviews und deswegen standen Oberflächlichkeit und Sexismus definitiv auf der Tagesordnung für mich. Aber es ist viel besser geworden. Ich weiß nicht, ob es daran, liegt, dass die Welt besser geworden ist. Aber ich sehe das ja auch auf Instagram: Spätestens durch den Podcast nehmen die Leute mich gefühlt wirklich anders wahr und auch die Dinge, die ich tue, werden ganz anders bewertet und es geht nicht mehr nur darum, ob ich geil bin oder nicht.
Glaubst du, dass die Besserung daher kommen könnte, dass du weniger zu sehen, sondern mehr zu hören bist?
Ja, vielleicht habe ich mich auch deswegen so ein bisschen in diese Nischen zurückgezogen, in denen ich mehr mit dem Inhaltlichen glänzen kann. Weil dieses Video- Interview-Format ist auch für mich gerade ein bisschen überholt – ich selbst konsumiere das zum Beispiel gar nicht mehr, ich höre wirklich nur noch Podcasts. Das kann also schon sein, dass das damit zusammenhängt. Aber damals hat es auch keinen Aufschrei gegeben, wenn Rapper oder Rap-Fans irgendwelche obszönen Kommentare hinterlassen haben, das war einfach so, dann stand das da und es war für alle in Ordnung. Und dann hatte so ein Kommentar auch mal 3000 Likes. Und heute gibt es so viele engagierte Menschen, die dagegenhalten. Deswegen glaube ich schon, dass die Dynamik sich auch geändert hat. Ein Stück weit bin ich aber auch davor geflüchtet, weil es mich einfach gelangweilt hat. Ich bin jetzt in einem Alter, in dem ich mich nicht mehr von irgendwelchen 18-Jährigen nach meinen optischen Attributen beurteilen lassen muss.
Gerade in den sozialen Medien gehören Hate Speech und sexistische Kommentare bedauerlicherweise fast schon zum Alltag – erfährst du das auch heute noch auf deinen Kanälen?
Es spielt immer noch eine Rolle, aber es ist nicht im Ansatz so schlimm wie früher. Ich habe wirklich das Gefühl, dass Instagram eine halbwegs humane Plattform ist. Ich bekomme gerade eher Ärger, wenn man zum Beispiel in einer Insta-Story eine Plastikflasche sieht – dann flippen alle aus. Was ja schön ist, denn lieber bekomme ich Hass wegen Dingen, die man wirklich besser machen könnte. Ich find‘s gut, dass Leute da sensibel sind, aber ich finde das auch teilweise ein bisschen anstrengend gerade. Ansonsten hatte ich dieses Jahr einen kleinen Shitstorm, der hatte etwas mit einer Preisverleihung zu tun, die ich moderiert habe. Das war aber auch das Schlimmste, was ich dieses Jahr an Hate Speech ertragen musste.
Wie gehst du dann in so einem Fall mit Hasskommentaren um?
Ich habe festgestellt, dass wenn man das Handy weglegt und den Computer zumacht, es dann wirklich einfach nicht mehr so richtig da ist. So einfach das klingt, aber ich habe wirklich das Gefühl, dass man ins echte Leben zurückkehren und sich sagen kann: Am Ende des Tages ist das halt einfach eine virtuelle Welt. Und solange man nicht noch auf der Straße hört, was man dort lesen muss, ist das alles noch ganz gut zu händeln.
Verändern sexistische und hässliche Kommentare trotzdem das Selbstbild und die Art, wie man sich selbst wahr- und annimmt?
Da muss ich echt sagen: Ich bin da abgestumpfter als die anderen. Ich habe Sachen gelesen – da muss man erst mal wieder rankommen. Ich sehe das auch bei jüngeren Kolleginnen, die teilweise extrem wütend auf Sachen reagieren, wo ich mir denke: ‚Das ist mir komplett egal‘. Und damit will ich nicht sagen, dass ich damit cooler umgehe, ich bin einfach nur abgestumpft. Ich habe Vergewaltigungsfantasien über mich gelesen, und das wirklich regelmäßig, sowohl von Rappern als auch von Rap-Fans. Und deswegen kann mich da vieles nicht mehr schocken. Ich kann auch wirklich über vieles lachen.
Hast du dich je durch deine Branche eingeschränkt oder hypersensibilisiert gefühlt, was deine Kleidung und dein Äußeres in der Öffentlichkeit angeht?
Ja, schon. Ich glaube, dass ich eine Zeit lang einen relativ unnormalen Umgang mit einer Kleidung und meiner eigenen optischen Wahrnehmung hatte. Das hat schon auf jeden Fall Komplexe in mir ausgelöst. Aber auch da bin ich mittlerweile echt entspannt. Damals habe ich total drauf geachtet, wie ich mich kleide, also dass ich nicht zu viel Haut zeige und so – das ist mir heute alles scheißegal. Es gab, glaube ich, sechs Jahre lang keine Interviews, wo man auch nur im Ansatz mein Dekolleté sehen konnte. Und heute denke ich mir: Das gehört zu meinem Körper und wenn ich mal Lust habe, ein bisschen Ausschnitt zu zeigen, dann mache ich das einfach. Also aus dieser Komplex-behafteten Phase bin ich raus.
Wir dürfen also gespannt sein, in welcher Form wir mehr von Visa Vie als Autorin hören dürfen. Wir freuen uns auf jeden Fall schon sehr drauf und danken Visa Vie für das (hoffentlich nicht allerletzte) Interview! Noch mehr spannende Interviews mit inspirierenden Frauen findest du übrigens in unserer Themenreihe „EmpowHER".
Bildquelle: Markus Nass