Im besten Fall kann jeder Mensch selbst über seinen Körper entscheiden. Doch bei einem bestimmten Thema scheint das (Grund)gesetz ausgehebelt zu sein: Frauen und Schwangerschaft. Eher noch bei Frauen, die keine Kinder haben möchten und offen darüber sprechen. So ergeht es auch Sarah, die sich mit 26 Jahren sterilisieren lassen hat. Im Podcast-Interview spricht sie über ihre Erfahrungen, Hürden und Aufklärungsarbeit zum Tabu-Thema Sterilisation bei jungen Frauen.
Sarah muss sich in ihrem Leben viele Fragen, Zweifel und ungefragte Kommentare an den Kopf werfen lassen. Denn die heute 27-Jährige ist sterilisiert, bei dem Eingriff war sie 26 Jahre alt. Ein Akt der Selbstbestimmung, für den man eigentlich nicht diskriminiert werden sollte – in der Realität herrscht aber ein anderes Bild. Deswegen kehrt Sarah ihr Innerstes nach außen: Sie spricht offen und ehrlich in ihrem Podcast und auf Social Media über das Tabuthema und hat inzwischen eine große Community aufgebaut. Wir haben Sarah zum Podcast-Interview getroffen.
Dies ist eine verkürzte, schriftliche Form unseres Podcasts. Die gesamte Folge kannst du hier hören.
desired: Sarah, zu Beginn eine der wahrscheinlich größten Fragen des Lebens: Kannst du in Worte fassen, wieso weshalb warum du das Kinderkriegen komplett für dich ausgeschlossen hast?
Sarah: Das ist eine riesige Frage, weil da so viele Gründe rein zählen. Also, der erste Punkt ist, dass ich schlichtweg einfach nicht gut mit Kindern umgehen kann. Ich bin kein Mensch, dem es etwas gibt, wenn ein Kind mich anlächelt. Ich hab damals mit 15 ein Pflichtpraktikum in einem Kindergarten gemacht, weil ich mir da noch dachte, „hey, ich bin eine Frau, ich muss doch mit Kindern klarkommen, das ist doch meine Aufgabe und meine Bestimmung“. Aber da habe ich das sehr, sehr doll gemerkt, dass ich mit Kindern halt gar nicht kann.
Dann zählt für mich mit rein, dass ich ein introvertierter und hochsensibler Mensch bin und viel Ruhe brauche. Ich liebe es auch mal tagelang allein zu sein. Ich wäre auch schlecht darin, auf Schlaf zu verzichten, weil das viel mentale Kraft kosten würde für mich – da bin ich mir selbst und meine eigene psychische Gesundheit einfach zu wichtig. Ich kann unterm Strich ohne Kinder machen, was ich will und meine Freiheit genießen und das will ich nicht einbüßen.
Der Umweltfaktor ist für mich auch sehr relevant geworden. Ich habe damals das Buch „Kinderfrei statt kinderlos“ von Verena Brunschweiger gelesen und der Punkt des Umweltfeminismus‘ war für mich augenöffnend. Es ist einfach ein bestärkender und irgendwie auch ein schöner Grund zu sagen, „ja, ich möchte auch für die Umwelt kein Kind in die Welt setzen“. Was natürlich nicht heißt, dass Menschen, die sich für Kinder entscheiden, die größten Umweltsünder aller Zeiten sind. Aber für mich war das einfach eine Bestärkung. Und was noch dazu zählt, ist, dass ich lange eine starke Tokophobie hatte, also die Angst vor einer Schwangerschaft und schwanger zu werden.
Gab es denn so etwas wie einen Schlüsselmoment, in dem dir klar wurde, dass du die Sterilisation wirklichen umsetzen möchtest und es nicht nur ein Wunschgedanke ist?
Ja den gab's. Ende 2019 habe ich eine Y-Kollektiv-Reportage gesehen, in der eine Frau, die sich sterilisieren lassen wollte, vom Team begleitet wurde. Also den ganzen Prozess am Tag der OP. Da dachte ich nur: wow. Ich hatte davor zwar schon von Sterilisation gehört, aber nicht wirklich auf dem Schirm, dass das ja auch für mich eine Möglichkeit sein könnte. Mir wurde dann klar, dass eine Sterilisation eigentlich die optimale Option wäre, nicht schwanger werden zu können. Ich dachte mir, mehr kann ich halt nicht machen, außer mir meine Gebärmutter entfernen zu lassen vielleicht noch. Dadurch löste der Gedanke an eine Sterilisation bei mir ein sehr, sehr positives Gefühl aus und ab dem Zeitpunkt hatte ich das dann das erste Mal so richtig auf dem Schirm.
Es gab nicht einen einzigen Tag, an dem ich die Sterilisation bereut habe.
Damals habe ich aber noch in Sachsen gewohnt und dachte mir: „Na gut, in Sachsen gibt es leider wenig Frauenärztinnen, die eine Sterilisation durchführen“. Weil mir zu der Zeit aber schon klar war, dass ich bald nach Berlin ziehen möchte, habe ich mich in der Zeit bis zu meinem Umzug nach Berlin einfach viel mit dem ganzen Thema beschäftigt. Ich habe viel recherchiert, hab geschaut, worauf muss ich achten, hab dann auch gemerkt, dass es superschwer sein kann, sich sterilisieren zu lassen. Von ärztlicher Seite können einem viele Steine in den Weg gelegt werden.
Eine Sterilisation gehört zu den sichersten, aber auch radikalsten Methoden der Empfängnisverhütung. Denn anders als bei Männern kann sie bei einer Frau nicht mehr rückgängig gemacht werden. In Deutschland dürfen sich Frauen ab 18 Jahren sterilisieren lassen, Ärtzt*innen müssen den Eingriff aber nicht durchführen und können den Wunsch der Frau ablehnen.
Wie war denn dann dein Weg zur Sterilisation, war der, wie du sagst, mit vielen Hürden verbunden?
Ich würde es so runterbrechen: Der Weg war lang, aber mit wenig Hürden verbunden. Ab dem Zeitpunkt, wo ich die Reportage gesehen habe, bis zur Sterilisation, hat es zwei Jahre gedauert. Damals hat mir der Verein „Selbstbestimmt steril“ sehr geholfen. Da werden viele Fragen beantwortet und es gibt eine interaktive Karte, auf der Frauenärztinnen in Deutschland angezeigt werden, die eine Sterilisation durchführen. Teilweise werden auch die Bedingungen erläutert, wie alt muss man sein zum Beispiel. Das hatte mir dabei geholfen, mich gut darauf vorzubereiten und mir bewusst zu machen, worauf ich achten muss.
Anfang 2021 habe ich mich dann für eine Frauenärztin entschieden, die ich eben über den Verein gefunden habe und vereinbarte einen Termin für das Vorgespräch. Ich war ziemlich aufgeregt, welche Fragen wohl auf mich zukommen – aber die Frauenärztin war ein Engel. Sie hat mich nur wahrscheinlich der Form halber gefragt, ob ich mir sicher bin, dass ich das machen möchte. Das habe ich bejaht und dann hat sie mir schon den ganzen Vorgang erklärt. Sie hat mich bei dem Vorhaben einfach total unterstützt und mich schlussendlich zu einem anderen Arzt für meine Sterilisation überwiesen, weil ich dazu neige, viel Blut zu verlieren. Aber auch der Wechsel zu dem Arzt war total unkompliziert. Wie gesagt, es war ein eher langer Weg mit einem kleinen Umweg, aber mir wurden von ärztlicher Seite gar keine Hürden in den Weg gelegt. Ich hatte da halt auch einfach Glück.
Wie hast du dich dann nach deiner Sterilisation gefühlt?
Es ist so kitschig: Ich habe geweint vor Freude. Ich bin aufgewacht nach der OP und mir kamen die Tränen, weil ich so happy war, dass dieser ganze Weg, der einfach sehr lang war und auch mit so vielen Gedanken und so vielen Zweifeln auch meinerseits verbunden war, beendet ist. Ich habe das jetzt durchgezogen und ich kann nicht mehr schwanger werden. Und das hat mich unfassbar glücklich gemacht. Es hat dann aber noch so zwei Wochen gedauert, bis es richtig in meinem Kopf angekommen ist, dass ich wirklich nicht mehr schwanger werden kann. Und darüber wurde ich jeden Tag glücklicher.
Kinder sind nie einer Sicherheit. Man weiß nie, was mit dem Kind passiert, was mit der Beziehung zu dem Kind passiert, was mit einem selbst passiert.
Körperlich hatte ich auch gar keine Probleme. Die OP läuft wie eine Bauchspiegelung ab. Es gibt zwei Schnitte in der Nähe des Bauchnabels und bei der Schamhaargrenze, die aber total klein sind. Ich hatte gar keine Schmerzen nach der OP und es ist auch superschnell verheilt.
Du hattest aber trotzdem bis kurz vor deiner Sterilisationen Zweifel – worüber hast du dir Sorgen gemacht?
Es waren diese Sätze von anderen, die sich irgendwie in meinem Kopf eingenistet hatten. Also, Sätze wie: „Ja, vielleicht bereue ich das ja. Was ist, wenn ich es dann wirklich blöd finde, im Alter alleine zu sein? Oder was ist, wenn ich vielleicht doch mal irgendwann ein Kind haben will?“ Ich habe aber immer wieder gemerkt, dass das nicht von mir kam. Es war immer mein Gefühl, dass ich mir trotz dieser Zweifel vertrauen konnte, bei meinem Weg und in meiner Entscheidung.
Und wie sieht es jetzt zwei Jahre nach deiner Sterilisation mit den Zweifeln aus?
Es gab nicht einen einzigen Tag, an dem ich die Sterilisation bereut habe. Ich merke immer mehr, dass ich das Gefühl habe – worüber ich auch sehr glücklich bin – dass ich mir vertrauen kann, dass ich die richtige Entscheidung getroffen habe. Ich weiß, ich werde schon im Alter nicht alleine sein. Ich werde Kontakte knüpfen und obwohl ich introvertiert bin, kann ich ganz gut socializen. Wenn alle Menschen, die Kinder haben, im Alter nicht alleine wären, hätten wir auch keine Probleme mit Altersheimen oder Einsamkeit im Alter.
Kinder sind nie einer Sicherheit. Man weiß nie, was passiert, was mit dem Kind passiert, was mit der Beziehung zu dem Kind passiert, was mit einem selbst passiert. Man sollte ein Kind, glaube ich, einfach nie als Versicherung für sich selbst ansehen.
Könnte man es auch so zusammenfassen, dass eine Sterilisation einer der krassesten Akte der Selbstbestimmung ist, die eine Frau heutzutage durchführen kann?
Das auf jeden Fall, aber es ist auch super privilegiert. Ich bin einfach sehr, sehr dankbar, sowohl in einer Zeit als auch in einem Land zu leben, wo ich das überhaupt entscheiden darf, dass ich keine Kinder will. Es ist irgendwie auch witzig, weil ich immer sage, dass das ganze Kinderthema total privat ist – aber ich mache einen kompletten Podcast zu dem Thema. Aber mein Ziel ist es, irgendwann nicht mehr darüber reden zu müssen, weil es vielleicht dann nicht mehr so tabuisiert wird. Aber bis dahin bin ich dankbar, dass ich über meine Erfahrungen reden kann, weil ich mich für ein kinderfreies Leben entscheiden darf.
Was sind die größten Learnings, die du aus deinem Podcast und Social Media mitnehmen konntest bis jetzt?
Ich denke, dass es dieses Angebot braucht, weil eine riesige Nachfrage da ist. Viele wünschen sich einfach einen Safespace, in dem okay ist, wenn man keine Kinder möchte und mit den Gedanken spielt, sich sterilisieren lassen zu wollen. Ich finde es wunderschön, dem Ganzen eine Stimme geben zu können und anderen das Gefühl zu vermitteln „du bist nicht allein“. Ich bekomme so viele Nachrichten, in denen ich lese: „Danke, danke, dass du einfach darüber sprichst. Danke, dass du mir das Gefühl gibst, damit nicht allein zu sein, dass du mir das Gefühl gibst, nicht falsch zu sein“. Das macht mich unfassbar glücklich, weil ich das Gefühl so gut kenne. Und ich sehe, dass darüber geredet werden muss, was mich nur weiter antreibt, meine Stimme dafür zu nutzen – auch wenn es ein privates Thema ist.
Das gesamte Interview mit Sarah könnt ihr hier in unserer neuesten Podcastfolge hören.
Bildquelle: privat