Hast du manchmal das Gefühl, dass zwischenmenschliche Beziehungen immer oberflächlicher werden? Sowohl in den Medien als auch in meinem persönlichen Umfeld werden derartige Aussagen häufig gefällt. Vor allem Social Media wird hierfür gern die Schuld in die Schuhe geschoben. Doch ist das wirklich so? Ich habe mir die Gründe für den angeblichen Freundschaftsverfall einmal näher angesehen und erkläre dir, warum ich ganz anderer Meinung bin.
Die Bedingungen haben sich geändert
Wenn man sich damit befasst, warum sich Freundschaften im Laufe der Zeit gewandelt haben, werden vor allem zwei Gründe genannt: Eine Wende im Kommunikationsverhalten durch das Internet und veränderte berufliche Laufbahnen. Durch Letztere wird häufiger der Wohnort gewechselt, als noch in der Generation unserer Großeltern, die ein Leben lang für einen Arbeitgeber tätig waren. Heutzutage ist es üblicher geworden, für einen Job auch mal quer durch Deutschland oder sogar in ein anderes Land zu ziehen und nicht so schnell sesshaft zu werden. Was das alles mit Freundschaften zu tun hat? Eine ganze Menge, denn bei einem Umzug in eine andere Stadt, hinterlässt man in der Regel all die Freunde, mit denen man sich bisher regelmäßig getroffen hatte. Klar kann man immer noch telefonieren, skypen oder sich alle paar Monate auch mal wieder treffen – doch ist das dann noch das Gleiche?
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Verhindern Ortswechsel wahre Freundschaften?
Das haben sich auch Psychologen an der University of Virginia gefragt und in einer Studie herausgearbeitet, dass häufige Wohnortswechsel tatsächlich zu eher oberflächlichen Freundschaften führen. Insbesondere introvertierte Menschen hätten es schwer, immer wieder neue Freundschaften zu knüpfen. Klingt irgendwie einleuchtend. In einer anderen neuen Studie aus den USA hat man sogar herausgefunden, dass Menschen, die häufig umziehen, ihre zwischenmenschlichen Beziehungen als austauschbar erachten. Schließlich sind es diese Menschen auch gewohnt, sich nicht so schnell an Dinge und Orte zu klammern. Die Fähigkeit sich bei einem Umzug von materiellen Dingen zu trennen, werde dann eben auch auf Freundschaften übertragen.
Newsflash: Viele deiner Facebook-Freunde sind keine echten Freunde!
Flexiblere berufliche Laufbahnen können es also wirklich erschweren, enge Freundschaften zu pflegen. Noch viel mehr als häufige Wohnortswechsel werden jedoch Social Media-Plattformen wie Facebook oder Instagram für den Werteverfall verantwortlich gemacht. Denn dort sammelt man mit wenigen Klicks zahlreiche sogenannte Freunde und kann sie auch genauso schnell wieder löschen, ohne überhaupt persönlich in Kontakt zu treten. Das Bild, das häufig in der medialen Berichterstattung über unser Kommunikationsverhalten gezeichnet wird: Wir haben alle Hunderte Facebook-Freunde, präsentieren uns selbst als möglichst sozial und verkennen dabei, dass es sich bei diesen Freunden nicht um echte Freundschaften handelt.
Ich kann bei dieser Argumentation mittlerweile nur noch die Augen verdrehen. Wer ist denn wirklich so naiv und bildet sich ein, dass seine Facebook-Freunde allesamt wirkliche Freunde wären? Meist halten wir über diesen Weg mit zahlreichen Menschen, vom Kollegen über die ehemaligen Mitschüler bis hin zur flüchtigen Reisebekanntschaft, Kontakt – oder stalken einfach nur neugierig auf ihren Profilen herum. Doch anstatt daraus zu schlussfolgern, dass die „Generation Facebook“ mit all ihren Freunden so umspringt, sollte man differenzierter an die Sache herangehen. Es ist zwar durchaus populär, soziale Medien für alles Mögliche – angefangen vom Verfall der deutschen Sprache bis zum Untergang des Abendlandes – verantwortlich zu machen. Jedoch bin ich in dieser Hinsicht wesentlich optimistischer und spreche zumindest der Mehrheit dann doch etwas mehr Medienkompetenz zu.
Keine echten Freunde: Bist du vielleicht selbst schuld?
Die Voraussetzungen, um Freundschaften zu pflegen, sind also durchaus gegeben, man muss sie eben nur nutzen! Anstatt sich selbstmitleidig zu fragen, warum man zu so vielen Freunden keinen wirklichen Kontakt mehr hat, sollte man sich wohl öfter an die eigene Nase packen und aktiv werden. Insbesondere Freundschaften in anderen Städten oder gar Ländern wollen nun mal gepflegt werden. Dass es nicht ausreicht, eine Facebook-Freundschaft zu haben und gegenseitig die neusten Instagram-Fotos des anderen zu liken, sollte doch jedem einleuchten.
Früher war eben doch nicht alles besser!
Viel interessanter ist es doch sich zu fragen, woher dieses allgemeine Gejammer über den angeblichen Verlust wahrer Freundschaft herrührt. Ich vermute, dass dahinter vor allem der Hang zu einer gewissen nostalgischen „Früher-war-alles-besser-Mentalität“ steckt. Insbesondere wenn man älter wird, neigt man schnell dazu, die Vergangenheit zu verklären und von einem nicht näher definiertem „Früher“ zu reden. Rückblickend wirkt früher eben alles unkomplizierter. Aber ist es nicht paradox, dass ausgerechnet ein Mehrangebot an Kommunikationswegen dafür verantwortlich gemacht wird, dass Freundschaften nicht mehr richtig gepflegt werden? Schließlich war es nie so einfach und günstig wie heute, rund um die Uhr mit seinen Freunden in Kontakt zu stehen. Redefaulen Telefonmuffeln wie mir kommt es außerdem entgegen, dass man sich heutzutage in Textform per Whatsapp und andere Messenger unterhalten kann.
Wahre Freunde zu erkennen war nie einfacher
Also halten wir mal fest: Uns stehen heute mehr denn je die Mittel zur Verfügung, um mit unseren Freunden in Kontakt zu bleiben. Häufige Ortswechsel können es allerdings durchaus erschweren, Freundschaften aufrechtzuerhalten. Umzüge können jedoch auch einen positiven Effekt haben, wie die amerikanischen Wissenschaftler herausgefunden haben: Bei einem Umzug muss man nicht nur entscheiden, welche Dinge es wert sind, mitgenommen zu werden, sondern auch, zu welchen Freunden man weiterhin Kontakt hält. So materialistisch das auch klingen mag: Ich glaube, an dieser These ist wirklich etwas dran. Nach einigen Ortswechseln habe ich selbst gemerkt, mit welchen Freunden ich in Verbindung geblieben bin, weil diese auch über eine große Distanz hinweg für mich da sind, und mit wem ich wohl eher zufällig befreundet war. Auf diese Weise werden Ortswechsel auch immer wieder zu kleinen Bestandsproben von Freundschaften.
Ich sehe Freundschaften ganz und gar nicht von unserer heutigen modernen Lebensweise bedroht. Im Gegenteil: Ich würde sogar behaupten, dass es nie einfacher war, zu erkennen, wer in dem Meer an Social Media-Bekanntschaften die wahren Freunde sind. Stimmst du mir zu oder war früher deiner Meinung nach doch vieles besser?
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