Am Freitag ist meine neue Single „es reicht“ erschienen. Es geht um Objektifizierung, Sexualisierung von Frauen, Sexualität, Body Shaming und am Ende um Solidarität. Ich habe lange überlegt, ob ich das Lied als feministischen Song deklarieren soll. Warum, erfahrt ihr im letzten Teil der „es reicht“-Kolumne.
„Bin ich überhaupt eine Feministin?“ Früher war es schwierig für mich, mich mit diesem Begriff überhaupt zu identifizieren. Männer bezeichnen mich prompt als Männerhasserin. Anderen Feministinnen bin ich nicht Feministin genug. Ziemlich sicher bin ich eine schlechte Feministin. Ich werde manchmal schwach und schaue dann den Bachelor, kitschige Romcoms und wenn ich arg sauer bin, höre ich auch ab und an Rap-Musik mit schwer kritikwürdigen Inhalten. Und morgen werde ich Dinge an mir kritisieren, die mir heute noch nicht bewusst waren.
Scheiße, ich bin ne Feministin
Feminstinnen sind behaart, aggressiv, frigide und hässlich. Ein Bild, was allen bekannt ist und sich hält. Diese Eigenschaften wollte ich früher auch auf gar keinen Fall mit mir in Verbindung bringen. Das Cool-Girl-Syndrom, man kennts. Als mein damaliges Vorbild Emma Watson dann meinte: „If you stand for equality, you are a feminist. I’m sorry to tell you. You are a feminist“ ist es mir dann wie Schuppen von den Augen gefallen. Scheiße, ich bin ne Feministin. Und ich habe erkannt, wie wichtig es ist, dass es Vorbilder gibt.
Bei Emma klang es so einfach. Und eigentlich ist es das auch: Menschen, die Ungerechtigkeiten erkennen, wütend werden und dagegen vorgehen. Oder doch nicht? Wir haben eventuell ein paar kleine Problemchen innerhalb der Bewegung. Frauen haben zum Einen meist nicht gelernt, wütend zu sein und zum Anderen empfindet die Menschheit das auch eher als irritierend und „hysterisch“, wenn sie es denn sind. Es ist scheinbar unangenehm, wenn ein wütender Mob Frauen im Internet oder sonst wo auftritt.
Lernen wütend zu sein
Ich bin oft wütend. Ich fühle die Wut bis in den letzten Zipfel meines Körpers. Aber lasse ich es zu, fühl ich mich danach schlecht, weil wütend sein so schambehaftet ist. Wütende Frauen sehen kacke aus. Wütende Frauen sind anstrengend und nicht gern gesehen. Oft schlucke ich Wut deswegen so lange runter, bis ich fast explodiere. Ich habs, wie so viele Frauen, einfach nicht gelernt und muss das jetzt nachholen. Wahrscheinlich müssen wir das fast alle.
Ein kleiner beispielhafter Auszug aus meinem Leben: Vor einigen Tagen hat mich ein Moderator „Fräulein“ und „Madame“ genannt. Ich empfand es als abwertend, da ich ihn nicht kannte und er mich ebenso wenig. Generell ist das Wort Fräulein sexistisch, punkt. Ich bat ihn also freundlich darum, dass er mich nicht so nennt, weil ich es nicht mag. Aber das reichte nicht. Er lies nicht locker und wollte wissen, was daran so schlimm sei. Und da war sie: die Wut. Warum muss ich mich dafür jetzt rechtfertigen? Ist ein „Ich mag das nicht“ nicht genug? Diese Audacity. Ich hab tief Luft geholt und ihm erklärt, dass sich das für mich herablassend anfühlt und Fräulein obendrauf sexistisch sei. Seine Antwort: „Dann liegt das aber ja an deiner Empfindung.“ Gutes Übungsfeld, Silvi. Fühl die Wut. Mayday, Mayday, Sir - alles im Leben liegt an Empfindungen und Sichtweisen. Und diese Empfindung haben ganz schön viele. Manchmal sind es kleine Alltagssituationen, die banal klingen, aber Bausteine für sexistische Konstrukte sind.
Trotzdem habe ich danach lange gegrübelt, ob das denn ok von mir war, diese Grenze zu ziehen. Denn Wut ist nichts anderes: eine fühlbare Grenze, die überschritten wurde. Unsicherheit macht sich breit, wenn ich wütend bin. Lange habe ich meine Grenzen nicht beachtet. Aber Grenzen definieren uns und wir müssen lernen mit Wut umzugehen. Und verdammt nochmal ja: Es war sowas von ok, dass ich das gesagt habe. Seine Reaktion wiederum nicht.
Feministin vs. Feministin?
Ich spreche das an, weil wir dadurch ein ganz anderes Problem haben. Alle, die sich schon mal näher mit Feminismus beschäftigt haben, wissen es vielleicht: Feministinnen gehen sich gerne auch mal untereinander an die Gurgel. Natürlich nicht wortwörtlich. Aber nicht auszudenken, welche Glücksgefühle das in Antifeministen auslöst. Das Patriarchat ist schon ziemlich ausgefuchst.
Der banale Grund hierfür sind wahrscheinlich verschiedene Feminismen und schlichtweg: verschiedene Frauen, die alle ihre Wut etwas anders ausleben. Es gibt kein Regelwerk beim Feminismus. Und leider gibt es dadurch auch verschiedene Maßstäbe. Was mir immer wieder auffällt: Anstatt das Patriarchat zu bekämpfen, rangeln Feminist*innen untereinander. Vielleicht weil Wut unter Frauen so irritierend ist und erst recht wenn sie anders gelebt wird als die eigene? Ich habe auch schon konstruktive Kritik geübt. Danach wurde ich geblockt. So ist das mit uns Menschen. Es geht um Empfindungen. Kritik fördert den Diskurs und ich hab viel lernen können durch Diskussionen. Solidarität und Zuhören sollten allerdings auch innerhalb der Bewegung gelebt werden. Denn auch, wenn wir unterschiedlich sind, ist das Ziel ja schon meistens ähnlich: nämlich gleiche Chancen für alle. Deswegen ist die Gewichtung dieser Diskurse ein entscheidender Faktor. Es bringt uns nicht wirklich weiter, wenn wir gegeneinander hetzen, weil uns die Art und Weise der Anderen nicht gefällt und wir keine Energie mehr für den Hauptpart haben.
The shit is real
Fakt ist: Wir haben ein enormes Problem mit sexualisierter Gewalt gegenüber Frauen. Es ist fast schon normal, dass Frauen objektifiziert und sexualisiert werden. Skandalöse Nippelblitzer gibt es nicht bei Männern und wenn du auf der Straße mal wieder gecatcalled wirst, ist das für dich als Frau Alltag. Doch jeden 3. Tag wird eine Frau in Deutschland von ihrem Ehemann umgebracht. The shit is real.
Fakt ist auch: Asiatische Frauen sind verdammt noch mal kein Fetisch. Care-Arbeit muss endlich angemessen bezahlt werden. Frauen müssen in der Forschung mehr beachtet werden. Die hohe Sterberate von schwarzen Müttern während der Schwangerschaft muss ernst genommen werden. Und in Entscheidungspositionen dürfen nicht nur weiße, alte cis-Männer sitzen, die andere Perspektiven nicht mitbedenken und ungern ihre Privilegien teilen möchten. Dabei geht es genau darum: um Solidarität.
Ich bin sicher keine Leitfigur, weil ich selbst so vieles nicht weiß. Weil ich jeden Tag dazu lerne und weil Feminismus nicht gleich Feminismus ist. Es gibt so viele unterschiedliche Bewegungen und während die einen aggressiv und laut vorgehen, sind andere zurückhaltender. Und das ist meiner Meinung nach ok. Ich find alle Arten auf ihre Weise sehr wichtig.
In diesem Fall bin ich Pragmatikerin und sehe das so: Wir holen mit verschiedenen Strategien verschiedene Menschen ab. Alle ticken unterschiedlich, alle haben individuelle Erfahrungen gemacht und während die lauten Aufmerksamkeit generieren, nehmen andere eben die Rolle als Vermittler*in ein. Und manchmal geht auch beides. Dass wir uns nicht in die Gleichheit streicheln können, ist mir bewusst, aber aggressives Auftreten macht vielleicht aufmerksam, aber nicht unbedingt jede*n einsichtig. So empfinde ich jede Weise als wichtig und richtig. Und wenn es dann am Ende dazu führt, dass wir der Chancengleichheit näher sind, bin ich völlig cool damit, wenn wir alle unterschiedliche Arten haben, den Feminismus auszuleben und jede*r seinen Teil dazu beiträgt. Mittlerweile bekenne ich mich dazu, Feministin zu sein. Auch wenn ich für manche eine schlechte Feministin bin. Besser als keine. Denn wenn du für Gleichheit bist, bist du ein*e Feminist*in. Sorry, dass ich dir das jetzt so sage. (thank you, Emma)
Freiheit
Feminismus bedeutet Freiheit. Freiheit nicht mehr darüber nachdenken zu müssen, ob der kurze Rock gefährlich für einen selbst wird oder ob ich Nachteile habe, wenn ich anders aussehe, lebe oder liebe. Weil niemand Angst haben sollte, dass medizinisches Fachpersonal eine Krankheit nicht erkennt nur auf Grund der Hautfarbe oder des Gewichts. Weil Abtreibungen endlich entkriminalisiert werden müssen. Weil Nein Nein heißt. Denn es reicht. Es reicht uns. Weil wir reichen. Und deswegen haben Julia, David und ich ihn geschrieben, den Song „es reicht“. Für hoffentlich uns alle.
Hat dir dieser Beitrag gefallen? Dann haben wir gute Nachrichten! Bereits nächsten Sonntag folgt die vierte Kolumne aus der Reihe „Es reicht" von Silvi Carlsson! Falls du die letzte Kolumne verpasst hast, kannst du sie hier noch mal nachlesen:
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