Inwiefern haben wir es heute leichter oder schwerer, als es die Frauen älterer Generationen hatten? Welche Möglichkeiten und Chancen sehen sie für uns in der heutigen Gesellschaft? Wir haben uns mit sechs Seniorinnen über die Rolle der Frau und ihren Wandel in den letzten Jahrzehnten unterhalten.
Ging es Frauen früher schlechter? Ein Aufräumen mit Klischees
Wenn ich an frühere Generationen denke, habe ich oft ein klischeebehaftetes Bild im Kopf: Von Frauen, die sich Tag ein, Tag aus um Kinder und Haushalt kümmern, während der Ehemann Geld verdienen geht und abends das Essen auf dem Tisch erwartet. Eine klassische Rollenverteilung eben, in der für die Frau nicht viel Platz für Selbstverwirklichung bleibt. Solche Geschichten habe ich erwartet, als ich mit meinen Kolleginnen Susi und Diana den Deutschen Senioren-Computer-Club in Berlin Lichtenberg besucht habe. Dort wollten wir mit sechs Frauen dieser „früheren Generationen“ sprechen und uns anhören, wie ihr Leben verlaufen ist, welche gesellschaftlichen Entwicklungen sie wahrgenommen haben und welche Ratschläge sie für junge Frauen haben. Dabei haben wir einige Überraschungen erlebt.
„Konnten Sie genau das werden, was Sie wollten?“
Wir setzen uns mit den Damen Ute, Erika, Christel, Helga, Irene und Edeltraud zusammen und plaudern zunächst ein wenig mit ihnen über ihre Ausbildungen. Sie sind alle im Alter zwischen 66 und 85. Und tatsächlich sind alle Sechs größtenteils in ihrer Berufswahl und auch in ihrer Karriere gefördert worden. So konnte Ute sich den Wunsch erfüllen, Modedesignerin zu werden, während Edeltraud ihrer Leidenschaft für Sprachen nachging und Diplom-Übersetzerin wurde. Weiterbildungen, Umschulungen und der Besuch verschiedener Institutionen: Durch stetiges nach-vorne-Kämpfen konnten sich diese Frauen behaupten.
Hat es unsere Generation wirklich besser?
Heute gibt es weniger internationale Grenzen, mehr Bildung und mehr Möglichkeiten – alle Türen stehen uns offen. Doch das bringt anscheinend nicht nur Positives mit sich.
Die 75-jährige Ute erzählt: „Ich hatte das Glück: Bei uns ging es immer aufwärts. Und ich denke, da haben Sie das heute viel, viel schwerer.“ Die Konkurrenz sei heute viel größer und übe einen großen Druck auf uns aus. Ähnlich sieht es auch Christel: „Mein persönlicher Eindruck ist, dass wir es vorher leichter hatten.“ Erika ergänzt, dass vor allem Frauen mit Kindern im Berufsleben noch oft benachteiligt werden. Gerade in der damaligen DDR sei das anders gewesen. Dafür waren dort andere Möglichkeiten stark begrenzt.
„Ganz früher“ war tatsächlich noch alles anders
Wir merken, dass sich bereits die Generation unserer Großmütter emanzipiert hat – diese Bewegung hätten wir irgendwie erst später vermutet. Denn bereits nach dem Zweiten Weltkrieg wurde es allmählich völlig normal für Frauen, arbeiten zu gehen. Wie es den meisten Ehefrauen und Müttern davor ging, mag man sich heute gar nicht mehr vorstellen.
„So wie du lebst, so würde ich es nie machen. “
Christel erzählt: „Meine Mutter musste aufhören, zu arbeiten, als sie geheiratet hat, genau zu dem Datum. Mein Vater hat gearbeitet, und sie war abhängig. Ich habe die ganze Zeit diese Abhängigkeit gesehen und habe als kleines Kind zu meiner Mutter schon gesagt: ‚So wie du lebst, so würde ich es nie machen‘.“
Ähnlich war es bei Edeltraud: „In meiner Elterngeneration war es im früheren Westen so, dass die Frauen oft mit der Eheschließung ihre Arbeit aufgegeben haben, unabhängig davon, ob sie Kinder bekommen haben oder nicht. Und ich weiß nur, als meine Mutter nach 20 Jahren Pause wieder arbeiten wollte, musste sie das mühsam gegenüber meinem Vater durchsetzen, weil ihm das erst gar nicht gefallen hat.“, erzählt die heute 66-Jährige. Selbstständig zu sein war demnach ein großer Wunsch der darauffolgenden Generation. Irene bemerkt, dass es nicht nur eine Frage des Geldes war, arbeiten zu gehen. „Ich weiß nicht, wie die heutige Generation das sieht – aber nur zu Hause zu bleiben und Kinder zu hüten, ist glaube ich auch nicht so das, was sich eine Frau vorstellt.“
Klassische Rollenverteilung? Fehlanzeige.
Wir fragen die sechs Damen, wie es in ihren Ehen aussah bzw. aussieht, was anders ist, im Vergleich zur Elterngeneration, oder ob es dort eine ähnliche Rollenverteilung gab. Der Unterschied ist deutlich. Während Erika berichtet, dass sie und ihr Mann sich die Hausarbeit teilten, damit sie immer zusammen mit ihm Feierabend machen konnte, bekommt Christel nach wie vor jeden Morgen das Frühstück von ihrem Mann zubereitet. Edeltrauds Ehemann war sogar viele Jahre mit den Kindern zu Hause, während sie arbeiten ging.
Beziehungen werden immer instabiler
Wir sind echt überrascht. Das klingt bereits alles sehr nach einem modernen Bild von Partnerschaft, in dem die Verhältnisse recht ausgeglichen sind. Doch wie die Gesellschaft sind auch Beziehungen immer im Wandel. Und dieser heutige Wandel ist den sechs Frauen anscheinend mehr bewusst, als uns selbst.
„Ist vielleicht alles schon ein bisschen egoistischer geworden. “
Sie schätzen die heutige Generation von Frauen als emanzipierter und selbstbewusster ein als vorherige. Heute ließen sich Frauen nicht mehr so viel von Männern gefallen und seien daher auch schneller bereit, sich zu trennen, statt Probleme „auszuhalten“. Irene fasst es nach dem Motto zusammen: „Jetzt hast du mich drei Mal geärgert, nun ist Schluss.“ Sie findet auch, dass Frauen heute viel weniger bereit sind, Kompromisse einzugehen oder auch Verantwortung zu übernehmen: „Es ist vielleicht schon ein bisschen egoistischer geworden“.
Christel ergänzt, dass Bindungen heute nicht mehr wie früher auf die Ehe ausgerichtet sind. „Es kann eine Freundschaft sein, es kann eine feste Beziehung sein, die über Jahre gut hält, es kann aber eben auch sein, dass man dann öfter mal wechselt und guckt: Ist noch was anderes da?“
Selbstständigkeit statt Ehe
Wir wollen wissen, woran das liegen könnte. Schließlich heiraten heute weit weniger Menschen als früher und dennoch steigt die Scheidungsrate. Edeltrauds Begründung klingt plausibel: „In der Generation meiner Eltern war es ja teilweise so, dass die Ehepaare zusammengeblieben sind, weil es nicht anders ging. Weil die Frau ja gar nichts hatte, wenn sie aufgehört hat, zu arbeiten. Heute ist das anders, die Frauen sind besser ausgebildet.“ Unabhängigkeit und Selbstständigkeit sind Frauen heute unglaublich wichtig, dem können wir nur zustimmen. Die Sicherheit, auf eigenen Beinen zu stehen und nicht von einem Mann abhängig zu sein, ist unbezahlbar.
Gender Pay Gap & Co.: Es gibt noch viel zu tun
Männer und Frauen scheinen in modernen Beziehungen häufig gleichgestellt zu sein. Doch wie schätzen die sechs Damen die Gleichberechtigung in der Arbeitswelt ein?
Sie alle finden, dass es noch einiges zu tun gibt, damit beide Geschlechter in diesem Punkt auf einer Ebene sind, vor allem in puncto Bezahlung. „Das ist ein gravierender Fehler“, bemerkt Ute. Und Edeltraud ergänzt: „In der Theorie sind viele Dinge vielleicht verwirklicht, aber sie werden in der Praxis nicht umgesetzt.“ Wir werden hellhörig, als Erika erzählt, wie es in der DDR üblich war: In dem Betrieb der 85-Jährigen haben Frauen und Männer exakt dasselbe Gehalt bekommen. Bei Christel war es ähnlich: Sie wusste sogar, wie viel Geld jeder ihrer Kollegen verdient. „Das war eine Selbstverständlichkeit!“
Klar, nun hat das wirtschaftliche System der DDR mit unserem heutigen nur noch wenig gemeinsam. Dennoch schien die Gleichberechtigung der Frau ein wichtiger Punkt im Sozialismus gewesen zu sein. Warum gab es in diesem Punkt nach der Wiedervereinigung eine Rückentwicklung? Hier im Raum ist man sich einig: Durch den Einfluss des Frauenbildes der alten Bundesländer, in denen der Mann häufig für den Familienunterhalt zuständig war. Da tun sich auf einmal noch ganz neue, interessante Themenfelder auf.
„Warum kann ein Betrieb nicht von zwei Frauen geleitet werden? “
Doch die Gender Pay Gap ist nicht der einzige Diskussionspunkt. Edeltraud macht deutlich, dass wir vor allem neue Arbeitsmodelle brauchen, die sich den Bedürfnissen unserer Generation anpassen: „Warum muss eine Frau beruflich zurückgeworfen werden, nur weil sie aus familiären Gründen zum Beispiel mal eine Auszeit nimmt oder weniger arbeitet? Warum kann es zum Beispiel bei Vollzeitstellen nicht ein Jobsharing geben? Warum kann ein Betrieb nicht von zwei Frauen geleitet werden? Warum ist es in vielen Bereichen immer noch nicht möglich, dass ein gewisser Anteil der Arbeit zu Hause erledigt wird?“ Danke, genau diese Fragen stellen wir uns auch.
Am Ende des Gesprächs sind Susi, Diana und ich irgendwie total überrascht. Das Bild unserer Großmutter-Generation wurde vollständig widerlegt. Zudem wurde uns ein Spiegel vorgehalten: Irgendwie scheinen unsere Beziehungen heute viel instabiler zu sein und die Chancen, uns selbst zu verwirklichen, schwerer, als wir eigentlich dachten. Wir leben eben doch in der Zeit der großen Globalisierung, in der es einen immer stärker werdenden Druck gibt, der die persönlichen Wünsche in den Hintergrund treten lässt.
Wir sollten jeden Tag nutzen
Auch Tage später denken wir noch oft an die Worte der älteren Damen. Passenderweise hatten sie am Ende unseres Besuchs noch ein paar wichtige Ratschläge für uns und andere junge Frauen. Ute schließt unsere vorangegangenen Themen ab, und stellt nochmal heraus, wie wichtig es ist, dass wir selbstständig sind und auf eigenen Füßen stehen, damit wir nie jemand anderen um etwas bitten müssen. Die schönsten Worte findet Christel: „Jeden Tag nutzen. Die Möglichkeiten, die man selbst sieht und wo man Fähigkeiten und Lust für verspürt – alles machen. Alles machen und nichts aufschieben.”
Alle Highlights unseres Gesprächs siehst du hier im Video:
Bildquelle: desired, iStock/SeventyFour