Das sogenannte Urvertrauen entwickelt sich in den ersten Jahren unseres Lebens und prägt uns bis zum Ende. Fehlt diese wichtige Basis, kann sich das auf verschiedene Weisen in unserem Verhalten zeigen – manchmal offensichtlich, oft aber auch versteckt. Welche Anzeichen für ein fehlendes Urvertrauen typisch sind und was der Begriff eigentlich genau bedeutet, erfährst du hier.
Was ist Urvertrauen eigentlich?
Der Begriff des Urvertrauens geht auf den Entwicklungspsychologen Erik H. Erikson zurück. Er beschreibt damit die früheste und grundlegendste Erfahrung eines Menschen: Kann ich darauf vertrauen, dass meine Bedürfnisse erfüllt werden? Dass ich sicher und geborgen bin? In den ersten Lebensjahren lernen wir durch die Beziehung zu unseren engsten Bezugspersonen, ob die Welt ein sicherer Ort ist und ob wir uns auf andere Menschen verlassen können.
Wurden unsere Bedürfnisse in dieser wichtigen Phase nicht ausreichend erfüllt – etwa weil Bezugspersonen selbst überfordert waren, nicht feinfühlig reagieren konnten oder sogar Vernachlässigung stattfand – kann sich kein stabiles Urvertrauen entwickeln. Die Folgen können uns bis ins Erwachsenenalter begleiten und sich auf vielfältige Weise zeigen. Acht Beispiele, wie das aussehen kann, haben wir hier für dich gesammelt.
#1
Du zweifelst ständig an anderen Menschen
Menschen mit fehlendem Urvertrauen fällt es oft schwer, anderen zu vertrauen. Sie hinterfragen häufig die Absichten ihrer Mitmenschen und erwarten unterbewusst, enttäuscht oder verletzt zu werden. Selbst in engen Beziehungen bleiben sie misstrauisch und suchen nach Anzeichen von Verrat oder Ablehnung. Diese ständige Wachsamkeit kann sehr erschöpfend sein und verhindert oft tiefere emotionale Bindungen. Woran du erkennst, dass deine Unsicherheiten deine Beziehung sabotieren, kannst du hier nachlesen.
#2
Du fühlst dich schnell unsicher und verletzlich
Fehlt das Urvertrauen, fehlt auch das grundlegende Gefühl von Sicherheit in der Welt. Neue Situationen oder Veränderungen können dadurch besonders bedrohlich wirken. Vielleicht merkst du, dass du dich in ungewohnten Umgebungen unwohl fühlst oder bei Veränderungen schnell in Panik gerätst. Das Gefühl von Kontrollverlust kann intensive Ängste auslösen, weshalb du versuchst, möglichst alles zu planen und abzusichern.
#3
Du verlässt dich nur auf dich selbst
Ein fehlendes Urvertrauen zeigt sich oft in einem ausgeprägten Einzelkämpfertum. Weil die Erfahrung fehlt, dass andere Menschen für einen da sind, fällt es schwer, Hilfe anzunehmen oder sich auf andere zu stützen. Stattdessen versuchst du, alles alleine zu schaffen und entwickelst möglicherweise perfektionistische Züge. Auch wenn diese Selbstständigkeit auf den ersten Blick positiv erscheint – sie kann sehr einsam machen.
#4
Deine Beziehungen folgen oft dem gleichen Muster
Wer kein stabiles Urvertrauen entwickeln konnte, erlebt häufig wiederkehrende Schwierigkeiten in Beziehungen. Vielleicht merkst du, dass du zwischen extremer Nähe und plötzlicher Distanz schwankst. Oder du testest deine Partner*innen unbewusst immer wieder, ob sie wirklich zu dir stehen. Auch das Gefühl, sich nie wirklich auf jemanden einlassen zu können, kann ein Hinweis auf fehlendes Urvertrauen sein.
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Journaling, oder einfacher gesagt Tagebuchschreiben, ist eine tolle Methode, um dich mehr mit dir selbst und deinen Gefühlen auseinanderzusetzen. Wie das am besten gelingt und wie gut es für deine mentale Gesundheit ist, zeigen wir dir im Video. Ein Tagebuch mit vorgegebenen Fragen findest du zum Beispiel bei Amazon:
#5
Du hast ein geringes Selbstvertrauen
Das Urvertrauen bildet auch die Basis für ein gesundes Selbstvertrauen. Fehlt es, zweifelst du möglicherweise häufig an dir selbst und deinen Fähigkeiten. Kritik kann dich stark verunsichern, während Lob dir suspekt erscheint. Diese grundlegende Unsicherheit kann dazu führen, dass du dich unter Wert verkaufst oder große Angst vor Fehlern hast. Wenn du diese Sätze häufig benutzt, spricht es dafür, dass du einen niedrigen Selbstwert hast.
#6
Du hast ein kompliziertes Verhältnis zu Routinen
Ein weniger offensichtliches Zeichen für fehlendes Urvertrauen kann der Umgang mit Routinen sein. Manche Menschen klammern sich regelrecht an feste Abläufe und Gewohnheiten, weil diese ihnen ein Gefühl von Sicherheit geben. Andere hingegen vermeiden Routinen unbewusst, weil sie Angst haben, sich zu sehr darauf zu verlassen – und dann wieder enttäuscht zu werden. Beide Extreme können auf ein fehlendes Urvertrauen hinweisen.
#7
Du reagierst besonders intensiv auf Absagen
Wenn Menschen Verabredungen absagen oder zu spät kommen, löst das bei dir möglicherweise unverhältnismäßig starke Gefühle aus. Während andere solche Situationen als normale Alltagsfrustration erleben, können sie für Menschen mit fehlendem Urvertrauen wie eine Bestätigung ihrer tiefsten Ängste wirken: „Auf niemanden ist Verlass“, oder „Ich bin es nicht wert, dass man sich Zeit für mich nimmt“. Diese starke emotionale Reaktion hat ihre Wurzeln oft in frühen Erfahrungen von Unzuverlässigkeit.
#8
Dein Körper sendet dir Signale
Fehlendes Urvertrauen kann sich auch körperlich bemerkbar machen. Vielleicht spannst du unbewusst häufig deine Muskeln an, als müsstest du ständig auf der Hut sein. Oder du bemerkst, dass du in stressigen Situationen schnell flach atmest und ein Engegefühl in der Brust spürst. Auch Schwierigkeiten beim Ein- oder Durchschlafen können damit zusammenhängen – der Körper hat quasi nie gelernt, wirklich zur Ruhe zu kommen.
Kann man Urvertrauen als Erwachsener lernen?
Zum Glück ja! Ein fehlendes Urvertrauen ist keine unveränderbare Charaktereigenschaft und auch wenn die frühen Erfahrungen prägend waren, können neue, positive Beziehungserfahrungen helfen, mehr Vertrauen aufzubauen. Der erste Schritt ist natürlich wie so oft, die eigenen Muster zu erkennen und zu verstehen. Dabei kann es hilfreich sein, nicht nur auf die offensichtlichen Anzeichen zu achten, sondern auch die leiseren Signale wahrzunehmen.
Therapeutische Unterstützung kann hier besonders wertvoll sein, denn sie bietet einen sicheren Rahmen, um neue Erfahrungen zu machen und alte Wunden zu heilen. In der Therapie lernst du auch, die Verbindung zwischen deinen frühen Erfahrungen und deinem heutigen Erleben besser zu verstehen. Das kann dir helfen, geduldiger und verständnisvoller mit dir selbst umzugehen.
Auch kleine Schritte sind wertvoll: Vielleicht findest du Menschen, bei denen du dich sicher genug fühlst, um dich ein kleines bisschen zu öffnen. Oder du übst, in alltäglichen Situationen mehr Vertrauen zu wagen – etwa indem du dir bei einer kleinen Aufgabe helfen lässt. Gib dir Zeit für diesen Prozess und sei geduldig mit dir – Vertrauen aufzubauen braucht Zeit, aber es lohnt sich.
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Das Konzept des „inneres Kinds“ ist in der Psychologie weit verbreitet und beschreibt den Teil unserer Persönlichkeit, der aus unseren Kindheitserfahrungen entstanden ist. Doch wie zeigt sich das innere Kind? Und was macht dein inneres Kind mit dir und welchen Einfluss hat es auf dein Leben? Hier findest du fünf Verhaltensweisen mitsamt Beispielen, die darauf hindeuten, dass dein inneres Kind aktiv ist und dein Verhalten beeinflusst.