Verschiedene Bindungstypen können Beziehungen ganz schön aufwirbeln. Vor allem dann, wenn sie absolut gegensätzlich sind. Das perfekte Beispiel dafür sind der ängstliche und der vermeidende Bindungstyp. Was aber, wenn sich ängstliche und vermeidende Menschen verlieben? Können sie zusammen sein – oder ist die Beziehung zum Scheitern verurteilt?
Darum gibt es so viele ängstlich-vermeidende Paare
Klären wir diese Frage direkt zu Beginn, denn mal ehrlich: Wenn der ängstliche und der vermeidende Bindungstyp doch so schlecht zusammenpassen, warum gibt es dann überhaupt ängstlich-vermeidende Paare? Auch die Paartherapeutin Birgit Fehst kennt das Phänomen, wie sie in ihrem Buch „Harte Wahrheiten aus dem Leben einer Paartherapeutin“ erzählt: „Insgesamt kommen tatsächlich selten Paare mit demselben unsicheren Bindungsstil zu mir. Drama pur bei zwei Ängstlichen und fehlende Tiefe bei zwei Vermeidern lassen diese Verbindungen schnell scheitern. Also treffen überwiegend zwei entgegengesetzte Stile aufeinander. Oft sind es die Vermeider, die am Anfang mehr Gas geben, und so fühlen sich die Ängstlichen natürlich sehr gewollt und geliebt. Die Vermeider wiederum finden die Emotionalität, die ihnen fehlt, im ängstlichen Gegenstück.“
Dass sich ängstliche und vermeidende Bindungstypen trotz ihrer starken Gegensätze „magnetisch anziehen“, wie Birgt Fehst es nennt, ist eine „Wiederholungstat aus der Kindheit, tief abgespeichert als Muster im Unbewussten“. Hat eine Person als Kind also eher wenig Sicherheit von ihren Eltern erfahren, sucht sie sich oft auch im Erwachsenenalter einen Partner oder eine Partnerin, der oder die ihr wenig Sicherheit gibt. Unsicher Gebundene werden also genau von dem angezogen, was ihre Ängste triggert – einfach, weil sie es so kennen und gewohnt sind. In Bezug auf den ängstlichen und den vermeidenden Bindungstyp sieht das dann folgendermaßen aus: „Ängstliche erwarten unbewusst, dass ihre negativen Erwartungen bestätigt werden, und die sich selbst erfüllende Prophezeiung tut ihr Übriges. Vermeider haben oft Angst, völlig vereinnahmt und kritisiert zu werden – und suchen sich anklammernde und oftmals sehr fordernde Ängstliche“, so Birgit Fehst.
Was kostet eigentlich eine Paartherapie? Im Video erfährst du die Antwort:
Warum sind ängstlich-vermeidende Beziehungen so schwierig?
Gegensätze sollen sich zwar anziehen, bei ängstlichen und vermeidenden Menschen kann das allerdings zur Herausforderung werden. Da „die Bedürfnisse, Bindungserwartungen und die Strategien, mit Problemen umzugehen, sehr unterschiedlich sind“, entsteht hier schnell ein Teufelskreis: „Je extremer sich einer verhält, desto mehr fällt auch der andere ins Extrem“, erklärt die Paartherapeutin. Das passiert vor allem dann, wenn schwierige Gespräche anstehen oder ein Streit ausbricht und sieht in der Praxis häufig so aus, wie Birgit Fehst in ihrem Buch darstellt:
- Der emotionale Ängstliche kann nicht schlafen, ohne den Konflikt bis ins kleinste Detail ausdiskutiert zu haben.
- Der Vermeider macht aber schnell dicht und rennt weg, um dem Konflikt aus dem Weg zu gehen.
- Der Ängstliche kritisiert ihn dafür und wird wütend, da der Vermeider einfach nicht über ihre Probleme sprechen möchte.
- Der Vermeider zieht sich durch diese Kritik noch weiter zurück. Er hasst es, beschuldigt und beschämt zu werden, zu glauben, er sei eh nie genug für den Partner. Er entzieht sich dem Konflikt und damit auch dem Gefühl, möchte eine Eskalation unbedingt vermeiden.
- Das ruft im Ängstlichen eine ganz starke Angst, verlassen zu werden, hervor und lässt ihn voll ins Drama gehen.
- Wenn sie später nicht noch einmal darüber reden und alles klären, dann ist die Atmosphäre wieder ein klein wenig mehr vergiftet.
Können ängstliche und vermeidende Menschen zusammen sein?
Du merkst vermutlich: Wenn sich eine ängstliche Person und eine vermeidende Person zusammentun, ist Drama quasi vorprogrammiert. Aber kann das auf Dauer funktionieren oder sollte man sich lieber direkt von der Vorstellung verabschieden, dass eines Tages derselbe Nenner gefunden wird? Und noch viel wichtiger: Können in einer ängstlich-vermeidenden Beziehung beide Personen glücklich sein? „Hier ist die Antwort ein klares ‚ja, aber‘“, sagt Birgit Fehst. „Aber nur, wenn die Bedürfnisse beider erfüllt werden können. Aber nur, wenn beide gewillt sind, daran zu arbeiten. Aber nur, wenn beide ansonsten gut kompatibel sind. Aber nur, wenn beide mit ihren Bindungsstilen nicht in den Extremen liegen. Aber nur, wenn ihr Leuchtturm, also ihre Motivation und ihr Commitment, hell genug strahlt.“
Sich mit seinem eigenen Bindungstyp und dem seines Partners oder seiner Partnerin auseinanderzusetzen, ist ein erster, wichtiger Schritt in diese Richtung. Denn nur so lernt man zu verstehen, warum eine Person so handelt, wie sie handelt, und welche Bedürfnisse dahinterstecken. Das hilft enorm dabei, das gegenseitige Verständnis zu stärken und die Kommunikation zu verbessern, sodass ihr offener über eure Gefühle sprechen könnt. Wenn ihr alleine nicht vorankommt, kann es hilfreich sein, professionelle Hilfe anzunehmen und gemeinsam mit einem Therapeuten oder einer Therapeutin an eurer Beziehung zu arbeiten. Weitere Tipps findest du auch im oben genannten Buch von Paartherapeutin Birgit Fehst – du findest es zum Beispiel hier bei Amazon:
Wusstest du, dass es auch einen Bindungstyp gibt, der sowohl ängstlich als auch vermeidend ist? Welche Anzeichen für den desorganisierten Bindungsstil sprechen, zeigen wir dir hier: