Obwohl wir uns an viele Momente der ersten Jahre unseres Lebens und überhaupt aus unserer Kindheit oft kaum richtig erinnern können, sind es doch genau diese Momente, die uns für immer prägen werden. Es sind Erfahrungen, die uns formen und unser Verhalten als Erwachsene positiv und negativ beeinflussen können. Oft spricht man in extremen Fällen sogar von sogenannten Kindheitstraumata, die durch verschiedene Trigger immer und immer wieder hervorgerufen werden können.
Bemerkst du zum Beispiel Verhaltensweisen an dir, die sich ständig wiederholen und bei denen du dich schon oft gefragt hast, woher sie eigentlich kommen und wieso du sie einfach nicht ablegen kannst? Dann könnte es sich möglicherweise wirklich um ein Trauma aus deiner Kindheit handeln. Oft sind es Verhaltensweisen, die uns das Leben als Erwachsene wirklich schwer machen können, weil schon in jungen Jahren auf tiefster Ebene etwas in uns kaputtgegangen ist, was sich nicht so einfach reparieren lässt. Wir haben einige Beispiele herausgesucht, anhand derer du erkennen kannst, ob auch du betroffen sein könntest.
#1
Du hast deiner besten Freundin geschrieben und sie antwortet dir einige Tage nicht. Plötzlich fangen die Gedanken in deinem Kopf an zu kreisen und du überdenkst jeden möglichen Grund, den es dafür geben könnte. Du hinterfragst vor allem dich selbst und denkst, du könntest irgendetwas getan haben, weswegen sie sauer auf dich ist und sich von dir abwendet. Und am Ende war es doch nur, weil sie starke Migräne hatte und ihr Handy am liebsten gar nicht in die Hand nehmen wollte. Die Last fällt von dir ab und von einer Sekunde auf die andere geht es dir nach ihrer Nachricht wieder gut.
Kommt dir das Beispiel bekannt vor? Menschen, deren Bedürfnisse in der Kindheit nicht beachtet wurden und die sich immer hinter den Bedürfnissen anderer anstellen mussten, neigen dazu, auch als Erwachsener in einfachsten Situationen das Gefühl zu haben, hinten angestellt zu werden. Sie fühlen sich unwichtig und haben das Gefühl, für andere Menschen unsichtbar zu sein. Sie haben ein übermäßiges Bedürfnis von Sicherheit und neigen aus diesem Grund dazu, überzureagieren und innere Unruhe zu verspüren, die sie manchmal sogar krank machen kann.
#2
Eine Kollegin übt Kritik an deiner Arbeit aus und begründet ihre Punkte sehr genau. Sofort beschleicht dich das Gefühl, dass mehr dahinter stecken muss. Wahrscheinlich hat sie ein Problem mit dir oder du hast dich ihr gegenüber nicht gut verhalten. Ihre Worte beschäftigen dich auch noch im Schlaf und am nächsten Morgen hast du Bauchschmerzen, bevor du zur Arbeit gehst und das nächste Thema mit ihr besprechen musst. Bist du nicht gut genug?
Kennst du das Gefühl, dass Kritik sich beinahe anfühlt, als würde dich jemand persönlich ablehnen? Dabei ist es oft ja sogar gut, kritisiert zu werden, um an sich arbeiten zu können. Grund dafür, dass du so intensiv empfindest, kann ebenfalls ein Kindheitstrauma sein. In deiner Kindheit wurdest du möglicherweise oft für dein Handeln und sein kritisiert, hast im Gegenzug aber nur selten Lob erfahren. Dein Selbstwertgefühl ist ins Ungleichgewicht geraten und du lebst in ständiger Angst, etwas falsch zu machen.
#3
Dein Partner kommt nach Hause und hat keine gute Laune. Er sagt nichts, aber du spürst es einfach. Er wechselt kaum ein Wort mit dir, setzt sich auf die Couch, schaltet den Fernseher an und starrt auf den Bildschirm. Du versuchst Kontakt aufzunehmen, doch es kommen nur knappe Antworten zurück. Sofort merkst du, wie sich dein Magen zusammenzieht und du das Gefühl hast, schwerer atmen zu können. Dein Herz beginnt schneller zu schlagen und deine Gedanken rasen – was könnte nur los sein? Später erzählt er dir, dass sein Chef ihn heute angezählt hat, obwohl ein Kollege eigentlich Schuld war. Sofort beruhigen sich deine Symptome und es geht dir wieder gut.
Bemerkst du bei dir auch häufig, dass deine Gefühle von den Stimmungen anderer Menschen abhängig sind? Dass du bei schlechter Laune fast schon Panik bekommst? Das könnte daran liegen, dass du in deiner Kindheit zum Beispiel den unberechenbaren Launen eines Elternteils ausgesetzt warst und deswegen immer bereit, für die nächste emotionale Explosion.
Finde zu mehr Selbstbewusstsein
Im Video zeigen wir dir ein paar wertvolle Tipps, mit denen du mehr zu dir selbst stehen kannst.
#4
Dein Partner steht dir gegenüber und sagt dir, er habe das Gefühl, du würdest ihn und das, was er für dich tut, hin und wieder nicht sehen. Er schafft es sogar, den Wunsch zu äußern, mehr Rückmeldung von dir im Alltag zu bekommen, damit ihr euch gegenseitig zeigen könnt, was ihr aneinander schätzt. Du weißt nicht, was du dazu sagen sollst. Du bist verletzt, weil du ihm so oft sagst, wie dankbar du für ihn bist und gleichzeitig macht es dich unglaublich wütend, dass er genau das nicht erkennt. Du fängst an zu weinen, weißt nicht, was du denken sollst und als er dich trösten will, lehnst du ihn und seine Nähe einfach ab.
Kommt dir auch dieses Verhalten bekannt vor? Auch das könnte für ein Trauma aus deiner Kindheit sprechen. Psycholog*innen glauben, dass Menschen, die nie gelernt haben, mit ihren Emotionen umzugehen und diese gefiltert loszulassen, irgendwann beinahe an ihnen zu ersticken drohen. Aus diesem Grund entlädt sich alles irgendwann auf einmal und eine übermäßig starke Reaktion ist die Folge. Das kann bedeuten, dass du einfach weinen musst, schreist, schlägst oder andere Ventile für dich brauchst und findest. Es ist allerdings besonders wichtig, einen Ausgleich zu finden, um eben diese Überreaktion zu vermeiden und Konfliktsituationen leichter zu lösen.
#5
Dein Partner trifft sich am Abend mit Freunden, du wünschst ihm viel Spaß und schließt die Tür. Kaum siehst du ihn nicht mehr, hast du ein mulmiges Gefühl im Bauch und freust dich eigentlich schon wieder, dass er bald nach Hause kommt. Doch statt um 22 Uhr, kommt er erst um 23 Uhr nach Hause. Die Minuten hast du beinahe gezählt und besorgt auf dein Handy geschaut, ob auch alles okay ist. Kaum ist er wieder da und ihr könnt euch in die Arme nehmen, geht es dir wieder gut.
Nicht nur beim Partner oder der Partnerin, auch beim Verabschieden von Freund*innen hast du manchmal das Gefühl, als könnte es ein Abschied für immer sein. Nun, das Kindheitstrauma in diesem Fall liegt wohl beinahe auf der Hand: Verlust. Falls du in jungen Jahren die Erfahrung machen musstest, eine Bezugsperson zu verlieren, könnte das tiefe Spuren bei dir hinterlassen haben. Kein Wunder, schließlich ist ein gewohntes Umfeld vor allem für Kinder ganz besonders wichtig. Ihre Welt bezieht sich lange Zeit nämlich ausschließlich auf die Menschen, die ihnen am nächsten stehen. Ein Verlust und Ablehnung können daher weitreichende Folgen haben, die sich auch in späteren Beziehungen widerspiegeln.
#6
Einer deiner engsten Verwandten liegt im Sterben, die Trauer frisst dich beinahe auf. Doch Weinen kannst du einfach nicht. Die Trauer läuft still in dir ab, nur im Schlaf schaffst du es dich zu lösen und deinen Emotionen freien Lauf zu lassen.
Hast auch du Probleme damit, deine Gefühle offen zu zeigen? Das könnte damit zu tun haben, dass du als Kind gelernt hast, genau das nicht zu tun. Vor allem bei Männern haben häufig Probleme damit und mussten sich als Kinder früher Sprüche wie „Sei doch kein Mädchen“ anhören. Dabei ist weinen so wichtig! Weinen hilft, starke Emotionen wie Trauer, Freude, Wut oder Erleichterung auszudrücken und zu verarbeiten. Es kann als Ventil wirken, um aufgestaute Gefühle loszulassen und emotionale Belastung zu mindern. Auch wenn die Gefühle in dem Moment dann umso intensiver erscheinen, kann Weinen sie im Nachhinein oft viel kleiner wirken lassen.
#7
Du kennst ihn so gut und weißt ganz genau, dass er dich nicht will. Doch du bist dir so sicher, dass er genau der Richtige für dich wäre und du auch genau die richtige Wahl für ihn. Du hältst daran fest, obwohl es so wehtut und du dich immer wieder in den Schlaf weinst.
Kommst du aus einem Elternhaus, in dem du wenig Liebe bekommen hast und dich ständig beweisen musstest, um überhaupt gesehen zu werden oder Anerkennung zu bekommen? Das könnte bei dir ein Kindheitstrauma ausgelöst haben, welches deine heutige Verhaltensweise bei der Partnersuche beeinflusst.
Nimm dir Zeit für dich und deine Heilung
Solltest du das Gefühl haben, eine oder mehrere der Verhaltensweisen könnten auf dich aus genau den genannten Gründen zutreffen, heißt das nicht, dass du dein Trauma nie wieder überwinden kannst. Glaub an dich! Wichtig ist nur, sich damit auseinanderzusetzen und herauszufinden, ob zum Beispiel professionelle Hilfe nötig ist oder ob es vielleicht schon reicht, sich intensiver mit dem Thema auseinanderzusetzen. Auch regelmäßiges Journaling kann häufig ein effektiver Begleiter sein, um sein Innerstes zu verstehen und lästige Verhaltensweisen und Muster abzulegen.
Wie sich deine Kindheit noch auswirken kann
Auch das Hurried Child Syndrome kann bedeuten, dass sich deine Kindheit auf dein erwachsenes Ich auswirkt. Alles, was du dazu wissen solltest, findest du hier.