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Dami Charf im Interview

„Nichts in unserem Leben bleibt spurlos“: Therapeutin erklärt, was Trauma wirklich ist

Trauma
© Getty Images/Maria Korneeva

In der Flut von Psycho-Content in sozialen Medien scheint kaum ein Begriff so inflationär verwendet zu werden wie „Trauma“. Doch was steckt wirklich dahinter? Die renommierte Therapeutin und Autorin Dami Charf klärt auf und erklärt, wie wir echte Traumata erkennen und bewältigen können.

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Der Begriff „Trauma“ begegnet uns heute überall. In sozialen Medien, in Gesprächen mit Freunden, sogar bei Sportübertragungen – kaum ein psychologischer Begriff hat sich so in unseren Alltagswortschatz eingeschlichen. Doch was bedeutet es wirklich, traumatisiert zu sein? Und übertreiben wir es mittlerweile mit der Verwendung dieses Begriffs? Um diese Fragen zu beantworten, haben wir mit einer echten Expertin gesprochen: Dami Charf, Therapeutin, Bestseller-Autorin und Soziale Verhaltenswissenschaftlerin.

Nicht jedes unangenehme Erlebnis ist ein Trauma

Wenn man Dami Charf zum Thema „Trauma-Inflation“ befragt, reagiert sie mit klaren Worten: „Es wird tatsächlich inflationär verwendet. Als ich diese Woche ‚Trauma‘ gegoogelt habe, war das erste Ergebnis ein ‚EFC-Trauma‘ wegen einer Niederlage [im Fußball]. Das ist kein Trauma, auch wenn es unangenehm ist.“ Sie betont, dass wir vorsichtiger mit dem Begriff umgehen sollten. Nicht alles Unangenehme, nicht jede Enttäuschung oder jeder Misserfolg ist gleich traumatisch. Diese Unterscheidung scheint in unserer modernen Welt zunehmend verloren zu gehen.

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Warum sind wir so gestresst?

Gründe dafür sieht Charf auch in unserer Lebensweise: „Ich glaube, dass eine Entfremdung von eigentlich allem gerade stattfindet. Wir entfremden uns von unserem Körper, wir haben überhaupt keine Einflüsse mehr von der Natur – keiner friert mehr, quasi. Die meisten Schwierigkeiten sind mentaler Stress oder Geldsorgen – alles mentaler Stress. Was wir vernachlässigen: Wir brauchen guten körperlichen Stress, um stressresistent zu werden.“

Sie betont die Wichtigkeit positiver Stressoren für uns: „Wir brauchen unangenehme Erfahrungen, um uns zu entwickeln. Nicht der Kopfstress, der ungesund ist. Rennen, spielen, kämpfen, kalt duschen oder 24 Stunden fasten – das braucht unser Körper.“ Diese Art von körperlicher Herausforderung stärkt unser Nervensystem, während der allgegenwärtige mentale Stress in unserer digitalen Welt uns eher schadet.

Auf Damis Instagram-Acoount, Youtube-Channel, so wie ihrem Traumaheilungs-Blog, findest du weitere wertvolle Tipps, Informationen und Gedanken zum Thema Trauma.

Die zwei Gesichter des Traumas

Laut Charf gibt es grundsätzlich zwei Arten von Trauma, die wir unterscheiden müssen: Das Schocktrauma und das Entwicklungstrauma. Und was ist Trauma? „Das Wichtigste ist, dass in der breiten Bevölkerung Trauma als großes Ereignis verstanden wird – Naturkatastrophen, Gewalt. Deshalb denken viele Menschen, es betrifft sie nicht“, erklärt Charf und räumt gleich mit diesem Missverständnis auf.

Zum Schocktrauma zählen einzelne, begrenzte Erfahrungen wie Unfälle, Operationen, Todesnachrichten oder Gewalterfahrungen. Das ist die Form, die die meisten Menschen mit dem Begriff verbinden. Komplexer ist das Entwicklungstrauma: „Das betrifft, wie wir als Kinder behandelt wurden. Hatte uns jemand im Blick? Hatten wir genug körperlichen Kontakt? Wurden wir gedemütigt?“ Besonders in den ersten drei Lebensjahren lernen wir, unsere Energien zu regulieren und mit Stress umzugehen – Fähigkeiten, die unser ganzes Leben prägen.

Symptome erkennen – was macht ein Trauma aus?

Die Symptome einer Traumatisierung können vielfältig sein. Beim klassischen Schocktrauma, der posttraumatischen Belastungsstörung (PTBS), beschreibt Charf deutliche Anzeichen: „Bei der posttraumatischen Belastungsstörung gibt es klassische Symptome: Flashbacks, hohe Erregung, Schlaflosigkeit. Das Leben bricht auseinander, nichts funktioniert mehr. Man kann nicht schlafen, keine Menschen ertragen, keine Ruhe finden und hat Gedächtnislücken über das Ereignis. Man ist ständig nervös.“

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Anders beim Entwicklungstrauma: „Beim Entwicklungstrauma funktioniert alles äußerlich, aber man fühlt wenig. Manche funktionieren großartig, fühlen aber nichts.“ Nach schwerwiegenden Erlebnissen wie komplizieren Geburten oder anderen tiefgreifenden Traumata „fühlen Menschen sich oft nicht in der Welt, nicht verbunden mit ihrem Körper.“

Nervensystem und Stress verstehen

Charf erklärt das Phänomen mit unserem Nervensystem: „Unser Nervensystem pendelt zwischen Anspannung und Entspannung, Sympathikus und Parasympathikus. Heute sind viele ständig im Sympathikus-Modus. Kaum jemand entspannt wirklich. Durch Instagram scrollen ist keine körperliche Entspannung.“ Bei Menschen mit Traumatisierungen zeigt sich dieses Ungleichgewicht besonders deutlich: „Bei Entwicklungstrauma haben wir ein enges Toleranzfenster und sind stressanfällig. Man ist im Alarmzustand, nimmt alles persönlich, wird schnell wütend, hat Stimmungsschwankungen, Konzentrationsprobleme.“ Am anderen Ende des Spektrums stehen „Depression, Antriebslosigkeit, Erschöpfung, Sinnlosigkeit, fehlendes Interesse.“

Der zentrale Unterschied zur gesunden Stressregulation beschreibt Charf so: „Menschen mit sicherer Bindung haben ein größeres Spektrum. Sie können Höhen erleben, ohne übertrieben zu reagieren und Tiefs, ohne aus der Bahn geworfen zu werden.“ Diese Fähigkeit zur Selbstregulation ist bei traumatisierten Menschen eingeschränkt.

Kann ein Trauma geheilt werden?

Eine zentrale Frage im Umgang mit Traumata: Können sie vollständig geheilt werden, oder bleiben immer Narben zurück? Dami Charf hat darauf eine differenzierte Antwort: „Nichts in unserem Leben bleibt spurlos. Alles, was du erlebst, macht dich zur Person, die du heute bist. Wenn dein Arm gebrochen war, sieht man das auf Röntgenbildern auch nach 80 Jahren.“

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Die entscheidende Frage sei vielmehr: „Bestimmt meine Vergangenheit noch zu 100 Prozent meine Gegenwart und Zukunft?“ Eine erfolgreiche Integration bedeute, dass die Vergangenheit weniger Einfluss hat und mehr Wahlmöglichkeiten entstehen. Interessanterweise betont Charf auch, dass traumatische Erfahrungen mitunter zu besonderen Fähigkeiten führen können: „Im Vergleich zu jemandem mit perfekter Kindheit gibt es Dinge, die ich nicht gut kann. Aber andere Dinge kann ich besser. Meine gesamte Karriere basiert zum Beispiel auf meiner Kindheit.“

Die Macht des Umfelds

Ob ein schlimmes Erlebnis zum Trauma wird, hängt laut Charf stark vom Umfeld ab. Sie betont einen wichtigen Punkt: „Trauma liegt selten im Ereignis selbst, sondern in dir. An manchen Tagen passiert etwas und du denkst kaum darüber nach. An anderen Tagen geschieht dasselbe und du meinst, die Welt bricht zusammen. Entscheidend ist: Bin ich gut aufgestellt? Habe ich Freunde? Kann ich weinen gehen? Oder bin ich allein? Das macht große Unterschiede bei der Bewältigung.“

Insbesondere bei Kindern hat es einen enormen Einfluss, wie Eltern auf negative Erfahrungen reagieren: „Ein Kind, das auf dem Spielplatz angegriffen wird und den Eltern davon erzählt, bekommt unterschiedliche Reaktionen. Manche Eltern sagen: ‚Es tut uns leid, das hätte nicht passieren sollen. Du bist nicht schuld.‘ Andere sagen: ‚So schlimm war es nicht. Was hast du getan, dass es passiert ist?‘ Dann trägt das Kind diese Last.“ Dies gilt auch für Erwachsene. Haben wir Menschen, mit denen wir unsere Erlebnisse teilen können und die uns ernst nehmen? Oder bleiben wir allein mit dem Erlebten? Das kann den Unterschied ausmachen, ob ein schreckliches Erlebnis zum Trauma wird oder Teil des verarbeiteten Lebens bleibt.

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Resilienz stärken: Das können wir jeden Tag für uns tun

Abschließen gibt uns Dami Charf drei wertvolle Tipps an die Hand für den Umgang mit Stress und potenziell traumatischen Erfahrungen in unserer modernen Gesellschaft:

  1. Echte Verbindungen pflegen: Eine jahrzehntelange Harvard-Studie zeigt: Was ein Leben lebenswert macht, sind Beziehungen. „Echter Kontakt mit der realen Welt ist wichtig“, betont Charf. Weniger virtuelle Medienwelt, mehr Realität.
  2. Den Körper stärken: „Unsere Psyche ist abhängig vom Körper. Bei hohem Stresslevel, wenn die Leber und die Nebennieren nicht mehr gut arbeiten, empfinde ich keine Freude mehr. Für Freude brauche ich Energie.“ Weniger Junk-Food, weniger Zucker, mehr Bewegung – all das stärkt unsere psychische Widerstandskraft.
  3. Körpersignale beachten: Resilienz entwickeln bedeutet auch, die eigenen körperlichen Wahrnehmungen ernst zu nehmen und frühzeitig zu erkennen, wenn Stress überhandnimmt.
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Charf erinnert uns daran, dass wir zwar nicht kontrollieren können, was im Leben passiert, aber wir können lernen, besser darauf zu reagieren: „Man kann die unmittelbare Reaktion nicht kontrollieren. Bei schlechten Ereignissen fällt man ins älteste Überlebensmuster zurück. Aber man kann daran arbeiten, wenn man sich seiner Reaktionen bewusst wird“. In einer Welt, die uns täglich suggeriert, das Leben müsse perfekt, harmonisch und immer glücklich sein, ist diese Erkenntnis vielleicht die wertvollste: Das Leben hat Höhen und Tiefen, wie unser Nervensystem. Das ist normal. Nicht jede Enttäuschung ist ein Trauma – und selbst mit echten Traumata lässt sich ein erfülltes Leben führen, wenn wir lernen, sie zu integrieren.

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