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Nathalie Stüben:

„Ich muss mich nicht Alkoholikerin nennen, wenn ich aufhöre zu trinken“

nathalie stüben
© Puria Rahavi

Eine Party im Vollrausch hier, ein paar Feierabendbiere da und dann noch das Gläschen Wein zum Entspannen: Bei den meisten klingeln hier noch nicht die Alarmglocken, denn Alkohol gehört in unserer Kultur fest zum Alltag. So lange man sein Leben noch auf die Reihe bekommt, ist doch alles halb so wild – oder? So dachte lange Zeit auch die Journalistin und Autorin Nathalie Stüben, bis sie die Reißleine zog und einen Beststeller über ihr Leben ohne Alkohol veröffentlichte. Im Interview erklärt Nathalie, warum sie sich ohne Alkohol inzwischen deutlich freier fühlt als vorher.

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Dies ist die gekürzte Version des Interviews. Das vollständige Gespräch kannst du dir im aktuellen desired-Podcast anhören!

desired: Du hast mit „Ohne Alkohol: Die beste Entscheidung meines Lebens“ einen Besteller über Alkoholabhängigkeit herausgebracht und hilfst damit, sowie mit deinem Podcast, inzwischen auch anderen, ein Leben ohne Alkohol zu führen. Nun bist du aber keine Ärztin oder Suchtberaterin, sondern Journalistin. Wie kam es dazu, dass du dich mit dem Thema näher beschäftigt hast?

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Nathalie Stüben: Damals, als ich aufgehört habe zu trinken, habe ich nicht auf das klassische Suchthilfesystem zurückgegriffen, weil ich mich da nicht gesehen habe. Für das, was meine Abhängigkeit war, hatte ich keinen Begriff. Ich habe dann angefangen Podcasts von US-amerikanischen ehemaligen Abhängigen zu hören. Da habe ich das erste Mal gemerkt: Ich bin nicht allein und kann es da rausschaffen. Dann habe ich angefangen, mich einzulesen. Als Journalistin liebe ich es, mich in Sachen einzuarbeiten. Ich habe auch ein Talent dafür, Dinge zu durchdringen, in Verbindung zueinander zu bringen und zu hinterfragen. Es ging mir vor allem darum, die Übersetzungsleistung zu bringen: Was hat das, was ich da gerade lese, mit meinem Alltag zu tun?

Im Zuge dieser Recherche habe ich dann gemerkt, wie viele Irrtümer in unseren Köpfen präsent sind, die überhaupt nichts damit zu tun haben, wie Alkoholabhängigkeit und auch Abstinenz aussieht. Zum Beispiel: Ich zittere noch nicht, also habe ich kein Problem. Oder: Ich trinke nicht jeden Tag, also hab ich noch kein Problem. Das kennt glaube ich jeder, der schon mal seinen Alkoholkonsum hinterfragt hat. Ich habe mir auch immer gesagt, dass ich noch nie in meinem Leben täglich getrunken habe und ich daher kein Problem haben kann. Das ist aber nicht der entscheidende Punkt. Lange hatte ich auch die Sorge, mich Alkoholikerin nennen zu müssen, wenn ich aufhöre zu trinken. Das war auch eine Erkenntnis, dass ich das gar nicht muss.

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Warum sollte man sich deiner Meinung nach nicht nur an der Menge des konsumierten Alkohols orientieren, um herauszufinden, ob man ein Problem hat?

Weil auch die Menge über die Abhängigkeit keinen großen Aufschluss gibt. Klar, je mehr man trinkt, desto größer ist das Risiko abhängig zu werden. Aber die Kernkriterien für eine psychische Abhängigkeit hat mir ein Alkoholismusforscher mal ganz am Anfang meiner Recherche genannt: Craving, also dieses unwahrscheinliche Verlangen zu trinken, und Kontrollverlust. Ein Kontrollverlust kann bedeuten: Ich fange einmal an zu trinken und dann ist es, als würde sich ein Schalter in meinem Kopf umlegen und ich kann nicht mehr aufhören. Das war bei mir zum Beispiel der Fall. Ich konnte super tage-, wochen- oder sogar monatelang nichts trinken, das ist mir relativ leicht gefallen. Als ich dann aber wieder angefangen habe, habe ich ein bis zwei Gläser getrunken und dann war es wie ein Dammbruch, ich konnte nicht mehr aufhören.

Kontrollverlust kann aber eben auch bedeuten, dass ich mir immer wieder vornehme, heute Abend nicht zu trinken, aber dann doch trinke. Oder aber, mir vorzunehmen: Heute Abend trinke ich nur ein Bier und dann werden’s doch immer wieder zwei oder drei.

Das sind die Kernkriterien einer Abhängigkeit. Was daraus so entsteht, also dass du zum Beispiel deine Interessen vernachlässigst, weil Alkohol immer wichtiger wird oder du eine Toleranz entwickelst und immer mehr verträgst, das sind eher Folgen dieser beiden Kernkriterien. Das hat für mich total Sinn ergeben, weil das für mich gepasst hat.

Viele Menschen versichern sich selbst, dass sie kein Alkoholproblem haben, weil sie funktionieren und zum Beispiel einen guten Job oder eine Familie haben ...

Ja, das ist eine der Paradeausreden. Wenn ich mir meine Programmteilnehmerinnen und Programmteilnehmer angucke, da „funktionieren” fast alle. Letztens habe ich meine erste wissenschaftliche Umfrage gemacht. Da haben weit über 90 Prozent angegeben, dass sie in Voll- oder Teilzeit gearbeitet haben, als sie noch getrunken haben. Davon hat die große Mehrheit gesagt, dass sie „gut“ oder „sehr gut” funktioniert hat. Dass jemand noch einen Job hat, sagt halt überhaupt nichts aus. Ich betrachte es als meine Aufgabe zu zeigen, wie riesengroß dieser Graubereich ist, der zwischen Genusstrinken und diesem Extrembild, das wir im Kopf haben, existiert. Millionen Menschen wanken umher und fragen sich: Was stimmt denn nicht mit mir? Und sie erkennen dabei nicht, dass es der Alkohol ist. Oder sie knüppeln diese innere Stimme, die sagt, dass etwas nicht stimmt, nieder mit solchen Argumenten wie: Ich zahle Steuern, ich habe einen Job und meine Kinder sind vorzeigbar.

Deiner Einschätzung nach ist man vor einem Alkoholproblem auch nicht gewappnet, wenn man mal einen Monat Pause einlegen kann?

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Das ist die Paradeausrede der sogenannten Quartalstrinker, dass du immer wieder denkst, ich kann ja aufhören. Und dann fängst du wieder an und es nimmt doch wieder Züge an, die dir eigentlich krass ins Leben pfuschen. Bei mir waren diese Pausen schon Teil des Problems. Ich wollte mir mit diesen Pausen beweisen, dass ich kein Problem habe. Sobald ich aber wieder angefangen habe zu trinken, war ich wieder in meinem alten Muster. Diese Pausen waren Teil meiner Sucht. Das habe ich nicht erkannt.

Alkohol macht uns ja aber auch in sozialen Kontexten wie etwa auf einem Tinder-Date oder einer Feier von der Arbeit lockerer. Wenn man ein eher introvertierter Mensch ist, kann einem der komplette Verzicht auf Alkohol in solchen Momenten auch Angst machen, da man sich so vielleicht stärker isoliert. Kann man das aus seinem Kopf bekommen?

Ja, das kann man aus seinem Kopf bekommen, weil man das üben kann. Es gibt immer diese ersten Momente, die man dann ohne Alkohol erlebt und das ist manchmal echt heftig. Ich kann mich da auch noch an meine ersten Restaurantbesuche und meine ersten Dates erinnern. Da dachte ich auch, Leute, ich will einfach nur weg! Aber das ist Übungssache. Ich weiß auch noch, als ich das erste Mal nüchtern Sex hatte. ich dachte, ich würde das nicht ertragen. Ich hatte vorher eigentlich nur betrunken Sex. Bei diesem ersten Mal ohne Alkohol wusste ich gar nicht, was ich machen soll. (lacht) Mittlerweile weiß ich aber, was ich machen soll.

Wir sind einfach Gewohnheitstiere. Wenn wir so etwas zum ersten Mal machen, ist es crazy, aber es gibt auch Strategien, mit denen man sich auf solche Situationen vorbereiten kann. Man kann zum Beispiel vorbereiten, was man sagt, wenn Leute fragen, warum man nicht trinkt. Es gibt gesellschaftlich anerkannte Ausreden, wie etwa, dass man noch fahren oder am nächsten Tag fit sein muss. Oder man sagt einfach, dass man gerade eine 30-Tage-Challenge ohne Alkohol macht, weil man einfach mal sehen möchte, wie man drauf ist, wenn man das mal lässt. Damit ist die erste Hürde schon mal genommen, mittrinken zu müssen.

Im vollständigen Podcast-Interview erfährst du, wie du mit deinem nüchternen Ich klarkommst und was du konkret unternehmen kannst, wenn du ein Leben ohne Alkohol führen möchtest:

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