Ich geb's zu: Ich gehöre zu diesen Menschen, bei denen fast jede Woche mehrere Pakete eintrudeln. Nicht erst seit der Corona-Pandemie gehe ich ungern in Geschäfte und lasse mir lieber alles nach Hause liefern. Dabei kommt es regelmäßig vor, dass meine Bestellungen nicht bei mir ankommen, obwohl ich daheim bin. Anders als viele meiner Mitmenschen habe ich dafür aber Verständnis – you get what you pay for! Es ist kein Wunder, dass ein Service, der inzwischen nahezu überall kostenlos ist, nicht perfekt funktioniert. Schuld daran haben auf jeden Fall nicht die Paket-Zusteller und deshalb sollten wir sie auch nicht so behandeln!
Immer mehr Pakete, aber nicht mehr Zusteller
Pakete zuzustellen ist ein Knochenjob. Das war auch schon vor 20 Jahren so, aber gilt heutzutage mehr denn je zuvor. Ich kann mich noch daran erinnern, wie der DHL-Bote in meiner Kindheit höchstens dreimal im Jahr vorbeikam, um die Quelle-Bestellung meiner Mutter oder meine Tier-Sammelkarten vorbeizubringen. Heute kann es locker passieren, dass vormittags UPS, mittags DHL, nachmittags Hermes und abends noch Amazon Prime an der Tür klingeln. Das ist natürlich nicht nur bei mir so: In Deutschland werden verglichen mit anderen europäischen Ländern mit Abstand die meisten Pakete verschickt und das Aufkommen steigert sich von Jahr zu Jahr. Experten zufolge ist auch noch lange kein Ende in Sicht: Bis 2023 soll jährlich noch mal eine Milliarde Pakete dazukommen, wie diese Infografik von Statista zeigt:
Nun könnte man sagen: Ist doch toll, das schafft Arbeitsplätze! In der Realität müssen Zusteller aber tatsächlich immer mehr Sendungen pro Tag ausliefern: 2002 musste ein Zusteller im Schnitt 5.500 Pakete pro Jahr ausliefern, 2015 waren es bereits über 7.000! Schuld daran ist auch ein Preisverfall im hart umkämpften Logistikmarkt: Durch die wachsende Konkurrenz verdienen Zusteller auch immer weniger pro Sendung. Es ist also kein Wunder, dass das erhöhte Paketaufkommen zu Lasten der Paketboten geht.
Augen auf bei der Berufswahl!?
Jeder dürfte schon mal gehört haben, dass Zusteller kein einfacher Job ist. Wie mies die Arbeitsbedingungen sind, scheinen viele aber häufig zu vergessen. Sich über zu spät oder falsch gelieferte Pakete auf Social Media aufzuregen, ist in Deutschland inzwischen genauso üblich wie das ewige Gejammer über schlechtes Wetter oder die Deutsche Bahn. Natürlich nervt es mich auch, wenn ich mein Paket gefühlt am anderen Ende der Stadt abholen oder einen Aushang im Hausflur machen muss, weil der Benachrichtungszettel nicht zu entziffern ist. Wenn ich mir die Zusteller, die regelmäßig bei mir klingeln, genauer ansehe, kann ich mich aber nicht mehr wirklich aufregen: Der eine Bote ist dem Geruch nach starker Alkoholiker, der die Stufen nicht mehr hochkommt. Und einer anderen Botin muss ich des Öfteren beim Dolmetschen helfen, weil sie ihre Arbeit nur mit einer rumänischen Übersetzungs-App auf ihrem Smartphone erledigen kann. Paketbote ist nicht nur ein harter Job, es ist auch einer, den allen Anschein nach, kaum jemand machen will. Klar wäre es ideal, wenn Zusteller neben guten Deutschkenntnissen auch über die nötige Fitness verfügen würden, in der Realität können Paket-Dienstleister sicher froh sein, wenn sie überhaupt Menschen finden, die diesen miesen Job machen.
Mein Ärger wandelt sich in Scham
Wenn ich mir diese Menschen anschaue, löst sich mein Ärger über das eine oder andere nicht zugestellte Paket in Luft auf. Tatsächlich schäme ich mich eher für meinen Konsum und bekomme Mitleid mit diesen Menschen, die versuchen müssen, ein stetig wachsendes Paketaufkommen zu stemmen. Ich stelle mir vor, wie ich in ein fremdes Land flüchten muss, dessen Sprache ich nicht beherrsche, und als Paketzusteller arabische Familiennamen auf Benachrichtungszettel schreiben muss. Ich bin mir sicher, dass ich selbst mit viel Mühe scheitern würde. Auch die meisten Zusteller sind ganz sicher nicht zu blöd oder zu faul, um dein Klingelschild richtig abzulesen, sondern leben einfach noch nicht lange genug in Deutschland, um einen besseren Job zu bekommen. Ich kann daher über vermeintlich witzige Posts über falsch geschriebene Namen auf Benachrichtungszetteln schon lange nicht mehr lachen.
Fällt es dir leicht, Empathie für deine Mitmenschen zu zeigen, oder mangelt es dir an emotionaler Intelligenz? Mach den Test!
Don't hate the player, hate the game!
Dass auf diese Berufsgruppe derart herabgesehen wird, muss sich für Betroffene wie ein Schlag ins Gesicht anfühlen. Nicht nur werden die Arbeitsbedingungen und die Bezahlung immer schlechter, dazu kommt auch noch die Unzufriedenheit und der Hohn der Kunden. Aber, wie heißt es so schön? Don't hate the player, hate the game! Kritik an den schlechten Arbeitsbedingungen in der Logistikbranche ist unbedingt notwendig, genauso ein Hinterfragen des eigenen Konsumverhaltens. Sollten Versandkosten selbstverständlich fast überall kostenlos sein, oder wären wir nicht auch bereit, für einen besseren Service einen kleinen Betrag pro Sendung zu zahlen? Womit aber endlich Schluss sein sollte, ist dieses ewige Paketboten-Bashing, nur weil die neueste Online-Bestellung nicht wie angekündigt am Folgetag schon zugestellt wurde.
Empathie ist die einzige Sofortlösung
Bis sich am Gehalt und dem Paketaufkommen etwas fundamental ändert, können wir sicher noch lange warten. Es gibt aber eine Sache, die wir alle sofort umsetzen können: Mehr Empathie für unsere Zusteller aufbringen. Das kann zum Beispiel bedeuten: Wer selbst nicht gehbehindert ist, sollte im Treppenhaus immer entgegenkommen, weil die Zustellung an die Haustür im dritten Stock oder höher eine Zumutung ist. Ebenso freuen sich Zusteller genauso über Trinkgeld wie Pizzaboten und anderes Service-Personal. Eine schöne Geste kann auch ein Korb mit Süßigkeiten und Snacks am Hauseingang sein. Aus Erfahrung kann ich sagen: Das Angebot wird immer dankend angenommen. Und ganz wichtig: Immer freundlich sein und nicht die Augen verdrehen, nur weil du schon wieder ein Paket für deine Nachbarn annehmen musst. Natürlich können sich Zusteller von Freundlichkeit und netten Gesten auch nichts kaufen, aber für den harten Job, den sie jeden Tag leisten, ist es doch das Mindeste, was wir alle tun können.
Bildquelle: Getty Images/Drazen Zigic