Seit 2007 Rhonda Byrnes Buch „The Secret“ erschien, hat das sogenannte „Law of Attraction“ einen riesigen Hype erfahren, der auch 13 Jahre später noch nicht abgeklungen ist. Vor allem Prominente wie Oprah Winfrey, Kanye West oder Lady Gaga sind Verfechter des Gesetzes, das runtergebrochen besagt: Du kriegst alles, was du willst, wenn du es dir nur ganz fest wünschst. Und gerade diese erfolgreichen Menschen müssten es doch am besten wissen. Was ist also wirklich dran am Gesetz der Anziehung?
Irgendwie habe ich es geschafft, 13 Jahre lang nicht von diesem Hype mitzubekommen und nicht in das große Geheimnis eingeweiht zu werden. Doch seit kurzem wird meine Instagram-Timeline mit Posts zu positivem Denken und Manifestation überschwemmt. Einerseits möchte ich bei solchen Posts gerne die Augen verdrehen, andererseits hat wohl jeder von uns schon einmal diese scheinbar unerklärbaren Dinge erlebt: Man denkt gerade intensiv an einen alten Freund – und plötzlich ruft er an, man würde abends gerne noch ausgehen – und wird plötzlich zu einer Party eingeladen. Kann das wirklich nur Zufall sein?
Laut Law of Attraction: Gleiches zieht Gleiches an
Wenn man dem Law of Attraction glaubt, dann steckt hinter solchen Zufällen mehr. Die Macht der Gedanken sozusagen. Denn der wichtigste Grundsatz des Gesetzes lautet: „Gleiches zieht Gleiches an“. Mit unseren Gedanken sollen wir das Universum beeinflussen können. Oft wird dabei von einer magnetischen Kraft gesprochen: Positive Gedanken ziehen auch positive Ereignisse an. Die Metapher ist vielleicht etwas ungeschickt gewählt, ziehen sich bei Magneten doch die gegensätzlichen Pole an, macht aber klar, worum es beim Gesetz der Anziehung geht. Denn laut Byrnes und weiteren Vertretern der Theorie gibt es im Universum eine allumfassende Macht, die nicht nur dafür sorgt, dass Flugzeuge fliegen können und die Erde, um die Sonne kreist, sondern auch dafür, dass Gedanken und Handlungen in Einklang gebracht werden.
Der größte Fehler vieler Menschen sei es demnach, konstant an das zu denken, was sie nicht wollen. Anstatt sich vorzustellen, wie es wäre, reich zu sein und daran zu glauben, dass das auch möglich ist, ärgern sie sich über ihre Schulden und hoffen, nicht noch mehr davon zu machen. Laut „Law of Attraction“ müssen die eigenen Glaubenssätze positiv sein. Wer etwa in seinem Job unglücklich ist und nach dem neuen Traumjob sucht, sollte sich nicht denken: „Ich will nicht mehr hier arbeiten“, sondern „Ich werde einen neuen Job finden.“ Weitergehend soll man sich so oft wie möglich vorstellen, wie das Leben mit dem neuen Job aussieht und dem Universum so signalisieren, was man sich wünscht.
Auf das richtige Mindset kommt es an
Wenn man so will, gehöre ich wohl zu den Menschen, die das Law of Attraction unbewusst befolgen. Ich würde mich als eher positiv eingestellten Menschen einschätzen – und tatsächlich habe ich auch meist Glück im Leben. Doch besteht da ein Zusammenhang? Ob das Universum seine Finger im Spiel hat, kann ich schlecht sagen. Diese Theorie lässt sich nach dem heutigen Stand der Wissenschaft weder widerlegen noch beweisen (auch wenn in der Doku „The Secret“ gerne anderes behauptet wird). Daran zu glauben steht also wie bei einer Religion jedem selbst frei. Als eher pragmatisch eingestellter Mensch nehme ich mein Glück lieber selbst in die Hand und freue mich, wenn mir doch mal etwas in den Schoß fällt. Ich denke, dass eine positive Lebenseinstellung sicherlich wichtig ist, wenn es darum geht, seine Ziele zu erreichen. Das würde ich aber eher auf die Ausstrahlung und auf das eigene Handeln beziehen.
Bleiben wir beim Beispiel Job: Wenn ich in ein Vorstellungsgespräch gehe, aber denke, dass ich sowieso keine Chance auf die Stelle habe und gleichzeitig noch raushängen lasse, wie unglücklich ich in meinem aktuellen Job bin, dann wird das kaum einen guten Eindruck machen. Wenn ich eine solche Einstellung habe, bewerbe ich mich vielleicht sogar erst gar nicht, weil ich denke, dass das eh nichts bringt. Sich die eigenen (realistischen) Ziele vor Augen zu führen, zu überlegen, wie man darauf hinarbeiten kann und daran zu glauben, dass man das Potenzial hat, sie zu erreichen, ist sicherlich ein guter Ansatz. Doch was ist mit Dingen, die wir nicht beeinflussen können?
Das Positive im Unglück sehen
Viele Anhänger des Laws of Attraction glauben, dass alle erfolgreichen Menschen sich mehr oder weniger bewusst an das Gesetz halten – und der Rest der Menschheit eben nicht. Und genau diese Denkweise finde ich problematisch. In „The Secret“ heißt es, das Gesetz funktioniere wirklich bei jedem. Bedeutet das im Umkehrschluss also, dass ich selbst schuld bin, wenn mich Schicksalsschläge ereilen? Was ist, wenn mein Haus niederbrennt, ich einen Unfall habe oder an Krebs erkranke? Habe ich diese Ereignisse dann etwa auch mit meinen negativen Gedanken angezogen?
Für „The Secret“-Fans wie Oprah Winfrey gibt es da noch eine andere Erklärung. Als ihr gerade einmal zweijähriger Hund Gracie an einem Gummiball erstickte, erklärte sie, sie sei dankbar für diese Erfahrung, die ihr vor Augen führte, wie wertvoll das Leben sei. Gracie würde das vielleicht etwas anders sehen. Aber vielleicht waren es genau diese negativen Gedanken, die sie ins Grab gebracht haben.
Toxic Positivity: Wenn positives Denken zum Zwang wird
Überhaupt sollen negative Einflüsse, wenn möglich vollständig aus dem eigenen Leben gestrichen werden. Das gilt auch für Freunde, die einen runterziehen. Verständlich, wenn es sich um „falsche Freunde“ handelt, die uns immer wieder mit verletzenden Worten konfrontieren. Doch was ist mit der Freundin, die gerade den Tod ihres Vaters betrauert oder unter Depressionen leidet? Sollen wir ihr vorschlagen, das positive darin zu sehen und die Freundschaft ansonsten beenden? Sicherlich sind nicht alle Vertreter des Law of Attraction dieser Ansicht. Viele raten aber tatsächlich genau das.
Deshalb sprechen Kritiker im Zusammenhang mit dem Law of Attraction auch immer wieder von sogenannter „toxic positivity“, also einem zwanghaften Fokus auf das Positive. Aus psychologischer Sicht ist das problematisch. Es führt dazu, dass wir Probleme verdrängen und uns selbst einen Zwang auflegen, immer glücklich zu sein – und genau der kann letztendlich unglücklich machen. Denn immer das Gute zu sehen, übt einen ziemlichen Druck auf die Psyche aus. Umso enttäuschter sind wir, wenn wir es nicht schaffen. Wenn dazu noch die Befürchtung kommt, dass wir mit unseren negativen Gedanken weiteres Pech anziehen, klingt das alles andere als gesund.
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