Seit Monaten wird das Gender-Thema in den Medien und der Politik heiß diskutiert. Die einen fordern eine komplette Überarbeitung unseres Wortschatzes, die anderen verfluchen das Gendersternchen und die „Verschandelung“ der Sprache. Gibt es da noch einen Ausweg? Oder droht ein niemals endender Krieg der Sternchen?
Ich gebe zu: Als jemand, der seit Jahren als Redakteurin täglich mit Texten arbeitet, musste ich auch erstmal schlucken, als ich plötzlich zum ersten Mal Wörter wie „Gäst*innen“ oder den Vorschlag „Arzty“ las. Ganz einfach, weil sie ungewohnt und unbekannt waren. Habe ich darüber gelacht? Vielleicht ein bisschen. (Arzty klingt aber auch einfach lustig!) Aber bin ich deshalb direkt an die Decke gegangen, habe wütende Twitter-Posts veröffentlicht und die Verfasser*innen der gegenderten Wörter ausgelacht oder gar beschimpft? Natürlich nicht! Und doch passiert genau das aktuell jeden Tag in den Medien. Menschen gehen sich gegenseitig an, beschimpfen sich auf das Übelste und machen sich über die andere Seite lustig. Und dabei ist jede Seite – sowohl Gender-Gegner als auch Gender-Befürworter - felsenfest davon überzeugt, im Recht zu sein. Ich sage: Keine Seite ist im Recht!
Der Feminismus hat sich über die Jahre immer weiter entwickelt. Was verstehen wir heute eigentlich darunter? Die Antwort gibt es im Video:
Ob ich gendere? Natürlich!
Als überzeugte Feministin habe ich mich in den letzten Jahren intensiv mit dem Thema auseinandergesetzt. Ich gehöre ganz klar zu den Gender-Befürworter*innen und versuche zu gendern. Ich schreibe hier bewusst „versuche“. Man wird beim Lesen meiner Texte nämlich schnell merken, dass ich nicht immer gendere. Das hat mehrere Gründe: Erstens vergesse ich es tatsächlich manchmal einfach. Schließlich habe ich über 30 Jahre lang Texte ohne Gendersternchen geschrieben, die patriarchalisch-geprägte Sprache mit dem generischen Maskulinum von klein auf gelernt. Diese Gewohnheiten zu verändern braucht Zeit und Mühe. Ich bin eben ein Mensch und mache nicht alles perfekt. Zweitens finde ich gegenderte Texte oftmals schwer lesbar – insbesondere dann, wenn sie mit vielen Sternchen und Schrägstrichen daherkommen. Als Redakteurin ist es mir aber eben auch wichtig, dass meine Texte flüssig und leicht lesbar sind. Denn „leichte Sprache" ist ebenfalls ein relevanter Inklusionsfaktor. Also finde ich mich nicht selten in einer Zwickmühle wieder. Die optimale Lösung? Die suchen wir aktuell noch.
Und allein das zeigt mir schon: Gendern ist gar nicht so einfach! Und Gendern ist auch ein länderspezifisches Thema. Wir können uns hier nicht einfach bei den anderen ein Best Practice abschauen. Die englische Sprache zum Beispiel kennt kaum gegenderte Wörter. Aber die deutsche Sprache schon. Wir haben nun mal einen Arzt und eine Ärztin, während die Amis „nur“ einen doctor haben. Die Genderproblematik dieser beiden Sprachen lässt sich daher nicht vergleichen. Man kann auch nicht per se sagen, dass das eine oder andere besser ist. Jede Sprache muss hier für sich eine individuelle Lösung finden und genau das passiert aktuell in vielen Ländern.
Verurteile ich die Gender-Gegner?
Ich habe zunächst mal kein Problem damit, wenn jemand nicht gendert. Aus eben genau den genannten Gründen. Ich verstehe, dass es schwer ist, seinen Sprachgebrauch zu verändern, wenn man es Jahrzehnte lang eben so gemacht hat. Ich verstehe auch, dass Menschen gegenderte Texte „unschön“ finden (denn ungewohnt wird von unserem Gehirn oft automatisch mit unschön gleichgesetzt). Mein Verständnis hört aber dann auf, wenn Menschen aktiv das Gendern bekämpfen wollen. Wenn sie die Veränderung der Sprache als lächerlich abtun, blockieren und andere Menschen, die mit den besten Absichten gendern, verurteilen oder es ihnen gar verbieten wollen. Wenn ich Verständnis für eure Seite aufbringen kann, dann könnt ihr das doch verdammt noch mal auch für mich! Und wenn ich gendere, dann tue ich das nicht, um euch zu ärgern, sondern weil es mir persönlich wichtig ist und ich den Ansatz richtig finde, eine inklusive Sprache zu schaffen, in der sich möglichst viele Menschen wiederfinden.
Verurteile ich die Extrem-Genderer?
Gleiches gilt im Übrigen für die Fraktion der Extrem-Genderer. Ich verstehe, dass es für viele Menschen ein emotionales Thema ist. Doch wer wegen jedem ungegenderten Wort direkt an die Decke geht und andere Menschen dafür böse beschimpft, ist bei mir ebenso unten durch. Auch Gender-Befürworter*innen müssen verstehen, dass Sprache sich nicht von heute auf morgen ändern lässt. Es gibt immer freundliche Wege, andere Mitmenschen darauf hinzuweisen, dass man mit einer Sache unzufrieden ist. Wenn mir jemand sagt: „Ich finde es schade, dass du in deinem Text nicht gegendert hast“, dann empfinde ich das als absolut gerechtfertigtes Feedback und nehme es mir zu Herzen. Wenn jemand mir allerdings an den Kopf wirft: „Du ignorante Kuh bist ja von gestern und sogar zu blöd zum Gendern, von dir fühle ich mich nicht angesprochen!“, dann ist diese Person bei mir ziemlich schnell unten durch. Dann verhärten sich die Fronten. Verständnis? Fehlanzeige! Dieses Sternchen ist soeben in der aufgeheizten Atmosphäre verbrannt!
Was ist die Lösung fürs Gender-Problem?
Wer jetzt noch behauptet: „Es ist doch alles gut so, wie es ist,“ der sollte sich die letzten Zeilen noch mal durchlesen. Denn ein Zustand, welcher solch hitzige Diskussionen lostritt, ist ganz sicher nicht „gut so, wie er ist.“ Denn dann wären ja alle zufrieden. Wo Unzufriedenheit herrscht, und sei es auch nur bei einem Teil der Bevölkerung, ist es legitim, nach neuen und hoffentlich besseren Lösungen zu suchen. Der Gender Bias durch das generische Maskulinum und sein Einfluss auf unsere Gesellschaft ist durch Studien längst bewiesen und muss nicht mehr diskutiert werden.
Löst ein Gendersternchen alle Probleme? Nein! Aber wäre unsere Menschheit heute da, wo sie ist, wenn wir uns immer vor allem Neuen verschlossen hätten? Nein! Die Gesellschaft entwickelt sich, die Sprache entwickelt sich, jede*r Einzelne von uns entwickelt sich. Vor Veränderung sollte man sich nicht verschließen. In zehn oder zwanzig Jahren lachen wir wahrscheinlich (hoffentlich!) über die Sternchen-Diskussionen von heute. Vielleicht haben wir bis dahin gemeinsam eine viel bessere Lösung für eine genderneutrale und inklusive Sprache erschaffen. Doch die Realität sieht so aus: Der Prozess ist eben nicht immer einfach. Nicht immer nur schwarz und weiß. Und nicht immer nur männlich oder weiblich.
Sprache ist, was wir draus machen!
Vielleicht können wir alle einfach mal einen kleinen Schritt aufeinander zugehen. Unsere Box, in der wir es uns so gemütlich gemacht haben, mal einen Spalt öffnen, die aggressive Luft ablassen und neuen Platz schaffen. Platz für gegenseitiges Verständnis. Platz für eine Sprache, die sich zusammen mit unserer Gesellschaft Stück für Stück weiterentwickeln darf. Und vielleicht auch Platz für ein Gendersternchen.
Bildquelle: Imago/MiS