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Ich steh' dazu

Ich finde nicht alle Menschen schön

nicht alle Menschen schön

Es vergeht kaum ein Tag, an dem ich auf Instagram nicht mitgeteilt bekomme, dass ich schön bin. Nicht etwa von Verehrern, sondern von Werbeanzeigen und Body-Positivity-Posts. Alle scheinen sich einig zu sein: Jeder Mensch ist schön, ja, auch du! Bin ich etwa die Einzige, die das anders sieht? Body Positivity bedeutet für mich nicht, jeden Menschen schön zu finden.

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In der Reihe „Ich steh’ dazu“ nimmt die desired-Redaktion kein Blatt vor den Mund. Egal, ob es um gesellschaftliche Tabuthemen, peinliche Erlebnisse oder persönliche Schwächen geht: Wir stehen einfach dazu! Erfahre, was uns bewegt und entdecke Themen, über die sonst nicht so offen gesprochen wird!

Die Everybody-Is-Beautiful-Inflation

Es mag sein, dass Kalendersprüche à la „You are beautiful inside & out“ manchen Menschen beim Durchscrollen ihres Instagram-Feeds ein gutes Gefühl geben. Auch das verstärkte Repräsentieren von Körpertypen abseits gängiger Schönheitsnormen in der Werbung ist im Grunde eine positive Entwicklung. Trotzdem gehen mir diese allgegenwärtigen Statements mittlerweile ziemlich auf die Nerven, denn ich bezweifle ihren Wahrheitsgehalt.

Ich kann ehrlich gemeinten Komplimenten wesentlich mehr abgewinnen, als einem allgemein gültigem „Jeder Mensch ist auf seine Weise schön.“ Schließlich weiß ich von mir selbst, dass ich diese Einschätzung nicht teile. Als ich noch Tinder genutzt habe, verlief das etwa so: „Eww, eww, eww, eww, eww, joa.“ Anders als im echten Leben wird man hier gezwungen, schnell nach Attraktivität zu sortieren. In einer Welt, in der angeblich jeder Mensch jeden schön findet, müssten hier unzählige Matches entstehen. Das ist aber natürlich nicht der Fall, denn umgekehrt fanden auch mich nicht alle der Herren attraktiv – und damit kann ich absolut leben.

Kalendersprüche statt Ehrlichkeit

Anstatt uns gegenseitig vorzuheucheln, dass wir jeden schön finden, wäre mir ein offener und ehrlicher Umgang deutlich lieber. Ich kenne mehr als eine Person, die auf Instagram schmalzige „Everybody is beautiful“-Zitate postet, in Wahrheit aber auch gerne mal über das Aussehen von Promis oder Menschen in ihrem Umfeld herzieht. Ich möchte mich da gar nicht rausnehmen, würde aber deshalb auch keine hohlen Phrasen auf meinen Social-Media-Kanälen raushauen. Und leider ist es genau das, wozu viele Body-Positivity-Seiten immer mehr mutieren: Anstatt das eigene Schönheitsempfinden kritisch zu reflektieren, sehe ich hier nur Durchhalteparolen und Kalendersprüche.

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Schönheit liegt bekanntlich im Auge des Betrachters. Es gibt Menschen, die ich eigentlich schön finden würde, wenn sie nicht so unfassbar unsympathisch wären. Ja, ein mieser Charakter kann dazu führen, dass man jemanden nicht mehr als attraktiv wahrnehmen kann. Umgekehrt funktioniert das für mich aber nur bedingt: Ich finde sympathische Menschen nicht automatisch schön. Ich schätze viele meiner Freunde für ihren Humor, ihre Intelligenz oder ihre liebe Art, aber sie werden in meinen Augen dadurch nicht zwingend attraktiv. Das ist aber auch ziemlich egal, denn äußerliche Schönheit sollte zumindest für Freundschaften ohnehin kein Maßstab sein.

Von Body Positivity zu „Body Egalness“

Was aber auf vielen Body Positivity-Plattformen immer mehr passiert ist eine Verwechslung von Schönheit mit anderen wünschenswerten Eigenschaften. Jeder kann sich bemühen, ein guter Mensch, witzig oder gebildet zu sein – schön sein kann aber nicht jeder. Die Augen geöffnet hat mir ein Interview mit dem Säureattentat-Opfer Vanessa Münstermann. Anstatt zu propagieren, dass sie sich auch nach dem Unfall als wunderschön empfindet, sagt sie: „Ich fühle mich gut, weil ich hässlich sein darf“. Dieser Satz mag in einer Gesellschaft, in der Schönheit ein hohes Gut ist, unbegreiflich sein. Es gibt aber tatsächlich Menschen, die nicht (mehr) darauf angewiesen sind, ständig bestätigt zu bekommen, dass sie schön sind. So geht es auch der Bloggerin Patricia Cammarata, die statt Body Positivity eine „Body Egalness“ fordert, auch Body Neutrality genannt:

Warum sollen alle schön sein müssen? Wenn man ständig dazu aufruft, dass man seinen Körper lieben muss und dass alle Menschen schön sind, dann folgt man irgendwie auch einem Schönheitsparadigma. Denn es geht offenbar nicht, dass man nicht schön ist. Alle sind schön, nur divers schön oder individuell schön, aber eben auf jeden Fall schön. Ohne das Schönsein geht es auf jeden Fall nicht. Die Dimension ist schön – häßlich. Was anderes kommt nicht in Frage.
Patricia Cammarata, Bloggerin

Dieser Ansatz sagt mir viel mehr zu, als all die blumigen Body Positivity-Parolen, weil er viel ehrlicher ist. Natürlich ist es begrüßenswert, wenn jeder Mensch mit seinem Äußeren zufrieden ist (oder sich zumindest nicht deshalb fertigmacht). Anstatt aber insbesondere jungen Mädchen vorzubeten, dass sie schön sind, sollten wir sie lieber in einem gesunden Selbstbewusstsein schulen. Denn das eigene Glück sollte nicht davon abhängen, ob andere Menschen oder gar alle dich schön finden. Vielmehr sollte es dir einfach egal sein, wenn es da draußen auch Personen gibt, für die du nun mal unattraktiv bist. Denn sei mal ganz ehrlich: Du findest doch auch nicht jeden Menschen schön, oder?

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Nina Everwin

Niemand muss jeden schön finden, aber...

... du solltest trotzdem nicht beleidigend werden. Nur weil ich nicht jeden Menschen in meinem Umfeld schön finde, heißt das noch lange nicht, dass ich anderen nicht mit Respekt begegne. Genauso möchte schließlich auch ich behandelt werden. Ich kann sogar gut verstehen, wenn mein Style, meine Körpergröße oder meine ständig wechselnden Frisuren anderen nicht gefallen. Ich und auch niemand sonst auf der Welt haben einen Anspruch darauf, schön gefunden zu werden. Worauf aber alle einen Anspruch haben, ist, mit Respekt behandelt zu werden.

Teilst du meine Meinung, oder findest du es wichtig, jedem Menschen das Gefühl zu geben, dass er schön ist?

Nina Everwin

Bildquelle: desired