Kaum ein Medikament hat in den letzten Jahren so viel Kontroversen ausgelöst, wie die Pille danach. Die meisten Menschen wissen nicht, ob es sich dabei um ein Abtreibungs- oder Verhütungsmittel handelt, das nun seit einiger Zeit in der Apotheke ohne Rezept zu kaufen ist. Ich habe die „Pille danach“ genommen und nein, es war mir kein Vergnügen.
Gesundheitsminister Jens Spahn setzte sich Anfang 2018 dafür ein, dass die „Pille danach“ weiterhin rezeptpflichtig bleibt. Schließlich, so twitterte er damals, seien dies „keine Smarties“, die jede Frau unbedenklich schlucken könne. Daher solle immer ein Arztbesuch vor der Einnahme des Medikaments notwendig sein.
Zumindest diesen Kampf hat er verloren. Zum Glück! Denn als mir vor einigen Tagen eine Verhütungspanne unterlaufen ist, musste ich nicht erst Stunden in einer überfüllten Praxis warten, um an das Medikament zu kommen. Die umfassende Beratung übernahm eine Apothekerin. Sie fragte nach dem Zeitpunkt des Verkehrs und klärte über die Wirkung auf. Die „Pille danach“ ist, im Gegensatz zu vielen Spekulationen, kein Abtreibungsmittel, sondern ein Verhütungsmittel. Was nicht heißen soll, dass ich etwas gegen Abtreibungen hätte. Auch über Abtreibungen sollten wir offener reden.
Die Pille Danach ist keine Abtreibungspille und birgt kein erhöhtes Risiko für die Entwicklung des Babys.
Im besten Fall verhindert die „Pille danach“, dass sich Spermien in die Eizelle einnisten. Du wirst nämlich nicht ruckzuck nach dem Sex schwanger, das kann zwei bis vier Tage dauern. Wenn möglich, sollte die Pille innerhalb 24 Stunden nach dem Sex genommen werden, spätestens 72 Stunden danach.
Die Pille Danach mit dem Wirkstoff UPA wirkt bis kurz vor dem Eisprung – also auch an den beiden fruchtbarsten Tagen der Frau. Sie wurde speziell für die Notfallverhütung entwickelt.
Pille-Danach.de/Wirkung
Zumindest was die Einhaltung dieser Zeit betrifft, war ich vorbildlich und 20 Stunden nach dem Gau schluckte ich die weiße Pille (aus der merkwürdig großflächigen Verpackung) mit etwas Wasser.
Naiverweise wartete ich einige Sekunden lang darauf, dass irgendetwas passiert, aber es traf mich weder der Blitz einer göttlichen Macht, noch wuchs mir plötzlich ein Bart. Letzteres ist natürlich absurd, ich muss aber gestehen, dass die Vorstellung von einer sehr krassen Hormonzusammenstellung in meinem Körper mir nicht wirklich gefiel. Aus diesem Grund – und wegen sehr vielen anderen gefährlichen Nebenwirkungen – nehme ich auch nicht die gängige Antibabypille. Nach dem ich die Pille geschluckt hatte, ging ich spazieren und etwas essen. Die Abendsonne war sehr warm, ich schwitzte und fror abwechselnd und fragte mich, ob das mit dem Medikament zu tun hat. Aber erst mal passierte nichts Großartiges.
Allein schon wegen der zahlreichen Nebenwirkungen der normalen Antibabypille war ich beunruhigt:
Tag eins: Heißhunger und sehr viele Gefühle
Am nächsten Morgen ging ich zur Arbeit, schwitzte ab und zu, schälte mich abwechselnd aus meiner Jacke und hüllte mich danach wieder in einen dicken Schal. Am Abend hatte ich nach einer Ewigkeit einen unfassbaren Hunger auf Fast Food: Fettige Mozzarella Sticks, Pommes und ein Glas Rotwein standen auf meinem Speiseplan. Beim abendlichen Spaziergang kam ich an einer Kundgebung gegen die Gewerbesteuer für soziale Einrichtungen am Kreuzberger Oranienplatz in Berlin vorbei. Ich bin auf Demonstrationen und Kundgebungen immer etwas emotional, beim Frauenkampftag hatte ich auch ständig Tränen in den Augen, aber in diesem Fall lief ich nur an den Plakaten und Menschen vorbei, las ihre Forderungen und musste sofort ein Weinen unterdrücken. Das war schon extrem. Ich merkte, dass mein Hormonhaushalt alles andere als ausgeglichen war. So ein Gefühl hatte ich sonst nur während meiner Periode.
Tag zwei: Schwitzen und Frieren
Am zweiten Tag, nach dem ich die Pille genommen hatte, verkrampfte sich mein Unterleib den ganzen Tag. Arbeiten gehen machte keinen Spaß. Die Schmerzen kamen stoßweise und so abrupt und überraschend, dass ich mehrmals auf die Toilette verschwinden musste, weil ich nicht einschätzen konnte, wie mein Körper als Nächstes reagieren würde: Weinen? Brechen? Durchfall? Blutspucken? Alles schien möglich. Obwohl viele Menschen die Frühlingssonne begrüßten und nur noch in kurzer Hose herumliefen, fror ich so sehr, dass ich sogar am Abend die Heizung im Wohnzimmer aufdrehte. Mit zitternden Beinen kauerte ich mich auf der Couch zusammen und ließ mich bekochen. An meiner Unterlippe hatte sich ein fetter Herpes gebildet, der bei jeder Gelegenheit aufplatzte und blutete. Ich bekomme schnell Herpes, wenn ich Stress habe.
Tag drei: Wunde Brüste
Am dritten Tag aß ich alles, was sich nicht bei drei vor mir verstecken kann. Sandwiches, Salat, Döner, Eis und Curry. Mein Körper fühlte sich wund und aufgedunsen an, meine Nippel brannten, meine Füße waren offenbar zu fett für die Turnschuhe, aber keiner sah mir diese Empfindungen offenbar an. Meine Brüste fühlten sich so angeschwollen und seltsam an, dass ich sie paranoid nach Knoten und Brustkrebs abtaste. Ich war genauso so schnell müde, wie ich vor dem Essen hungrig wurde und ging schließlich früh ins Bett.
Tag vier: Fieber und Blut
Am vierten Tag hatte ich Kopfschmerzen und sagte alle Termine ab. Laut dem Thermometer hatte ich leichtes Fieber, tatsächlich fühlte ich mich schläfrig, hatte Schmerzen in den Oberschenkeln und Krämpfe im Beckenbereich. Meine Lymphdrüsen drückten gegen den Oberkiefer. Bei kleinsten Diskussionen rastete ich aus. Als ich am Abend ins Bett ging, war endlich das Ergebnis der Krämpfe zu sehen: Meine Periode war gekommen. Zu früh, was mir irgendwie sehr gelegen kam. Müde wankte ich ins Bett und glaubte, den schlimmsten Teil hinter mir zu haben. Aber ich lag falsch.
Tag fünf: Bevor es gut wird, wird es richtig schlimm
Ich habe ohnehin nicht besonders viele positive Gefühle für meine Periode übrig. Aber am fünften Tag nach dem Pillenschlucken wachte ich von dem Gefühl auf, dass mir jemand heimlich die Bauchdecke entfernt und blutend zurückgelassen hatte. Ich konnte die Schmerztabletten nicht mehr zählen, die ich genommen hatte. Meine Haut war picklig.
Ich wünschte, ich könnte etwas tun, um den Schmerzen zu entkommen. Am Abend ging ich in die Wanne, um mit dem warmen Wasser den Krämpfen entgegen zu wirken. Tatsächlich ging es mir besser, also legte ich mich mit dem Tablet und einer Folge „One Day at a Time“ ins Bett. In der Szene, in der der Vater einer Figur ihr Lesbischsein nicht akzeptiert, dachte ich auf einmal über mein komplettes Leben nach und fing an zu weinen. Es hörte gar nicht mehr auf. Ich lag nur da und spürte, wie mein Körper unter Schmerzen und Tränen bebte und wollte eigentlich nur tot oder im Koma sein. Ja, das war krass. So schrecklich hatte ich mich sehr lange nicht mehr gefühlt. Ich rief meinen Freund an, erzählte ihm weinend von meinem Weltschmerz und irgendwann beruhigte ich mich ein wenig. Nach diesem emotionalen Supergau schloss ich die Augen und schlief traumlos die Nacht durch.
Am nächsten Morgen ging es mir zum ersten Mal besser. Ich merkte, dass sich mein Wohlbefinden langsam wieder einpendelte. Es waren rastlose Tage, die körperlich unerwartet anstrengend waren.
Nein, das sind keine Smarties
Nein, die „Pille danach“ ist bestimmt kein leckeres Schokobonbon. Ich habe auch keine Ahnung, wie Spahn ein Medikament mit einer Süßigkeit vergleichen kann. Auch Schmerzmittel und Nasenspray sind im Übermaß gefährlich. Aber wer würde die „Pille danach“ nach einer solchen Erfahrung mehr als einmal ohne Grund ausprobieren? Es handelt sich um ein Medikament für den Notfall und genauso habe ich mich in den letzten Tagen gefühlt: Ich war ein einziger Notfall. Aber dies waren wenige Tage des Grauens, die ich gerne hinnehme, im Gegensatz zu einer ungewollten Schwangerschaft. Ich bin froh, dass dieses Medikament in Deutschland heute so einfach zugänglich ist. Es gibt Sicherheit und wirkt recht zuverlässig. Aber ich hoffe wirklich, dass ich nicht noch einmal in die Situation komme, es zu benötigen.
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