Wir alle beschäftigen uns wohl zurzeit viel mehr mit dem Thema Coronavirus als uns lieb ist. Dabei entsteht auch viel Unsicherheit, denn die Informationen, die man aufschnappt, scheinen teils widersprüchlich. Einerseits liest man, Covid-19 sei mit der spanischen Grippe vergleichbar und gefährlicher als die Influenza-Welle, die uns jährlich überrollt. Andere Stimmen klingen weniger fatal und meinen: „Kein Grund zur Panik! Keep calm and wash your hands.“ Was stimmt denn nun? Wir haben mit Dr. Wolfgang Kreischer, Facharzt für Allgemeinmedizin und Hausarzt in Berlin, gesprochen und wollten von ihm wissen: Wie hoch ist die Gefahr, die von Corona ausgeht, denn nun wirklich?
desired: Einige sagen, das Virus sei gefährlicher als die „normale“ Grippe, anderswo liest man, dass an Influenza viel mehr Menschen sterben und sie deshalb eine viel größere Gefahr (besonders für Risikogruppen) ist. Wie schätzen Sie das ein?
Wolfgang Kreischer: Beide Aussagen stimmen. Die normale Influenza ist weiter verbreitet als Corona. Aber die Sterblichkeitsrate bei Corona ist in der Tat höher als bei der normalen Grippe. Insofern sind beide Aussagen richtig, man muss sie nur richtig interpretieren.
Gibt es bisher Hinweise darauf, dass das Coronavirus eine ungewöhnlich hohe Sterblichkeitsrate hat?
Sie scheint höher zu sein als bei der Grippe. An der Grippe sind natürlich mehr Menschen gestorben, aber das ist ganz klar, denn Corona hat sich noch nicht so stark ausgebreitet. Wir versuchen gerade deshalb, die Ausbreitung zu verlangsamen.
Man liest unterschiedliche Zahlen zur Sterblichkeitsrate des Coronavirus. Kann man darüber zum aktuellen Zeitpunkt überhaupt schon eine sichere Aussage treffen?
Das ist sehr schwierig. Nehmen wir mal das Beispiel Italien: Dort ist die Sterblichkeit vermutlich sehr hoch. Wobei man jedoch bedenken muss: Italien hat es versäumt, sehr früh zu testen, weshalb dort wahrscheinlich bisher sehr viele Fälle nicht erkannt sind. Und deshalb schlägt dort die Sterblichkeit mit einer so hohen Prozentzahl zu Buche. In anderen Ländern, beispielsweise Südkorea, wo sehr gut getestet wird, ist die Sterblichkeit geringer. Insofern muss man die Zahlen einzeln und auf jedes Land bezogen interpretieren.
Ich habe in einem Artikel gelesen: „Mortalität in Deutschland 30-mal niedriger als in Italien“. Liegt das also daran, dass bei uns in Deutschland das Screening besser funktioniert?
Richtig! Bei uns wird viel mehr gescreent. Wir haben viel früher in der Entstehung der Epidemie damit angefangen. In Italien hat die Epidemie wahrscheinlich schon vor sechs bis acht Wochen begonnen, ohne dass es zur Kenntnis genommen wurde. Insofern ist es ungeschickt, die beiden Zahlen ohne Interpretation zu vergleichen.
Wir Deutschen müssen also nicht weniger Angst vor Corona haben?
Wir müssen genauso viel Vorsicht walten lassen wie andere Länder.
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