Einen Orgasmus zu bekommen ist für die meisten Menschen das Ziel beim Sex. Es gibt jedoch auch Frauen, die partout nicht in der Lage sind, zum Höhepunkt zu kommen. Dieses Phänomen nennt man Anorgasmie. Doch wie kommt es zu solch einer Orgasmusstörung?
Laut verschiedener Studien erlebt jede vierte bis fünfte Frau nur manchmal oder selten einen Orgasmus. Viele Frauen leiden darunter. Sie kämpfen sich mit Mühe den Gipfel hinauf, der dann doch nicht so hoch ist, wie erwartet. Irgendwann wird die Schwelle gar zu hoch. Zwischen 4 und 17 Prozent der Frauen, je nach Studie, kommen zeitlebens niemals in den Genuss eines sexuellen Höhepunktes. Für ein erfüllendes Sexleben ist das zwar kein Todesstoß, kann dieses aber immerhin hochgradig einschränken.
Verlieren Menschen die Fähigkeit zum Orgasmus oder besitzen sie gar nicht erst, nennen Experten das Anorgasmie. Je nach Ausprägung und Ursache wird diese in primäre und sekundäre sowie in masturbatorische und koitale Anorgasmie unterschieden. Eine weitere Orgasmusstörung stellt übrigens die Hyporgasmie dar, bei welcher der Höhepunkt nur selten oder erst nach langer Zeit erreicht wird.
Die Primäre Anorgasmie
Wenn der „Orgasmus- Reflex“, also die unwillkürlichen Muskelkontraktionen, eingeschränkt ist und Frauen auch auf intensivste Stimulation nicht reagieren, liegt eine primäre Anorgasmie vor. Es ist die grundsätzliche Unfähigkeit, den sexuellen Höhepunkt zu erreichen – und zwar sein Leben lang. Daneben kann es natürlich sein, dass Frauen einfach deshalb noch keinen Orgasmus erlebt haben, weil sie noch nicht genügend oder nicht die richtigen sexuellen Erfahrungen gemacht haben.
Laut Experten geht die primäre Anorgasmie auf Erfahrungen in der Kindheit zurück, durch die sich permanente Schamgefühle und Ängste entwickelt haben. Das können sein:
- eine sexualfeindliche Erziehung
- hohe Leistungsnormen und Funktionsdruck
- falsche Informationen
- fehlender Körperkontakt zwischen Eltern und Kindern
- die Tabuisierung des Themas Sexualität
- sexueller Missbrauch
All das kann sich in einen Menschen so tief und unterbewusst einbrennen, dass die eigenen Gefühle und Bedürfnisse, darunter auch die sexuelle Lust, instinktiv unterdrückt werden. Ein starker Kontrollzwang verhindert, dass die eigene Lust zugelassen und gar ausgelebt wir. Da sich beim sexuellen Höhepunkt sämtliche Muskeln entspannen, wird das als Kontrollverlust empfunden. Diese ist von den Betroffenen nicht ertragbar und wird durch Lustunterdrückung vermieden: Der Orgasmus wird blockiert.
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Die Sekundäre Anorgasmie
Bei der sekundären, oder situativen Anorgasmie ist man grundsätzlich in der Lage, Orgasmen zu erleben und hat diese auch schon erlebt. Erst im Laufe des Lebens stellt sich diese Form der Orgasmusstörung ein, da bestimmte Faktoren die Fähigkeit einschränken: Meist sind das auch hier seelische Faktoren, etwa in Folge physischer Gewalt, Vergewaltigung oder schlechter Erfahrungen in der Partnerschaft. Ängste oder Scham für den eigenen Körper sowie Selbstwertprobleme, negative Gedanken und Druck können ebenfalls die Ursache sein. Da sich die Betroffenen über die Erlebnisse, anders als bei in der Kindheit verdrängten Erinnerungen, bewusst sind, lässt sich die sekundäre Anorgasmie durch Therapien leichter beheben. Denn sexuelle Erregung entsteht im Kopf.
Anorgasmie-Typen
Erworbene Anorgasmie
Eine erworbene Anorgasmie wird durch eine körperliche Beeinträchtigung hervorgerufen. Verantwortlich können Unfälle oder fehlgeschlagene Operationen sein, bei denen Nervenstränge in den Lenden verletzt wurden. Häufig sind auch querschnittsgelähmte Patienten davon betroffen. Die Betroffenen können zwar weiterhin erregt werden, diese Erregbarkeit kann aber nicht zum Orgasmus führen.
Masturbatorische und Koitale Anorgasmie
Sind Frauen zwar in der Lage, beim Koitus zu kommen, bei der Masturbation aber nicht, haben sie die sogenannte masturbatorische Anorgasmie. Genau anders herum ist es bei der koitalen Anorgasmie: Hier bleibt beim Geschlechtsverkehr der Orgasmus aus. Legt man aber selbst Hand an, ist ein Höhenflug durchaus möglich. Gründe für diese Art der Orgasmusprobleme können etwa falsche Moralvorstellungen und unterbewusste Ängste sein.
Körperliche Ursachen
Orgasmusstörungen beziehungsweise -probleme können aber auch körperliche Ursachen haben, etwa Erkrankungen wie Diabetes, Schilddrüsenerkrankungen, Multiple Sklerose, Tumore, hormonelle Störungen oder Medikamente, welche die Lust unterdrücken. Im Allgemeinen steigt die Orgasmusfähigkeit bei Frauen aufgrund der sexuellen Erfahrung mit dem Alter an, so dass häufiger jüngere Frauen Probleme haben, zu kommen.
Die Anorgasmie beschränkt sich aber keinesfalls nur auf die Frauenwelt. Orgasmusstörungen verschiedenster Art gibt es auch bei Männern, wenn auch deutlich seltener. Sie leiden häufiger unter vorzeitiger Ejakulation oder Erektionsstörungen. Aber auch verzögerte oder ausbleibende Orgasmen treten bei Männern auf. Sie können sogar ejakulieren, ohne dabei ein Orgasmusgefühl zu empfinden. Neben körperlichen Problemen, wie einer zu hohe Erregung oder systemischen Erkrankungen, sind häufig seelische Belastungen verantwortlich, etwa Versagensangst, Leistungsdruck und Stress.
Therapien gegen die Orgasmusstörungen
Wie schon angesprochen, liegen die Ursachen, außer bei der erworbenen Anorgasmie, meist im psychischen Bereich: Wir vermiesen uns selbst den Spaß, die sexuelle und persönliche Erfüllung – wenn auch unbewusst und ganz sicher ungewollt. Folglich können Therapien ein geeignetes Mittel sein, eine Anorgasmie zu bewältigen, etwa Paar- oder Sexualtherapien, aber auch die geläufige Psychotherapie. Dabei geht es um aufklärende Gespräche und darum, anerzogene Hemmungen zu überwinden. Auch medizinische Ursachen müssen zunächst durch einen Arzt abgeklärt werden. Je nach Ursache werden dann verschiedene Behandlungsmethoden angewandt.
Zum Üben bekommen die Betroffenen Aufgaben mit auf den Weg. So sollen sie den eigenen Körper und den des Partners entdecken, eine Verbindung zu ihren Körpern aufbauen und lernen, Lust zu geben sowie zu empfangen. Auch bestimmte Techniken wie die progressive Muskelentspannung können helfen, denn damit lässt sich eine gewisse innere Ruhe erreichen. So können sie Blockaden lösen.
Orgasmusprobleme dieser Art können in den meisten Fällen behandelt werden, so dass einer erfüllten Sexualität nichts im Wege steht. Zudem geht man gestärkt aus einer solchen Krise hervor, wenn man es als Paar gemeinsam schafft, seelische Leiden zu teilen und zu überwinden.
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