Beim Bikram Yoga wird nicht nur Ausdauer, sondern auch Kraft, Beweglichkeit und Atmung trainiert. Und das in einem 38 Grad warmen Raum. Wir haben das Bikram Hot Yoga Studio in Berlin-Friedrichshain besucht und schweißtreibende 90 Minuten erlebt. Hier ist für Dich unser Erfahrungsbericht zum Bikram Yoga Berlin.
Video: Die Geschichte des Yoga
Immerhin komme ich bis Übung Nr. 9, die sich Trikanasana nennt. Dann wird mir schwarz vor Augen. Ich schwitze aus allen Poren und verteufele in diesem Moment meine Idee, mal beim Bikram Yoga mitzumachen. Sport bei 38 Grad in einem 120 Quadratmeter großen Raum mit 20 anderen Bikram-Yogis. Ich versuche an die Worte meiner Lehrerin Anni zu denken: „Es ist völlig okay eine Pause einzulegen, wenn man nicht mehr kann. Dann bleibt einen Moment stehen oder setzt Euch hin und atmet ein paar Mal tief ein.“ Also versuche ich das Flimmern vor meinen Augen wegzuatmen. „Setz Dich ruhig einen Moment hin“, sagt Anni und öffnet die Fenster, um uns mit frischem Sauerstoff zu versorgen. Und dann wird es besser. Ich gewöhne mich wieder an die Hitze und bin nach kurzer Zeit bereit weiterzumachen.
Bikram Yoga Berlin: Anfangs schafft man nicht alles
Die Gruppe ist inzwischen bei Übung Nr. 11, Tadasana oder der Baum, angekommen. Also stelle ich mich auf mein rechtes Bein, knicke das linke Bein ein und versuche es an meinen rechten Oberschenkel zu legen, während ich die Hände vor der Brust verschränke. „Dass ein Neueinsteiger beim ersten Mal Bikram Yoga alle Übungen schafft, kommt äußerst selten vor“, beruhigt mich Studioinhaberin Nelli Nolde. „Ziel während der ersten 90 Minuten ist es, sich an die Wärme zu gewöhnen und im Raum zu bleiben.“ Nelli ist seit sieben Jahren Bikram-Yoga-Lehrerin und hat ihre Ausbildung 2008 bei dem Erfinder Bikram Choudhury in Mexiko gemacht.
Neun Wochen Zeit und eine Menge Geld hat sie dafür investiert. Rund 11.000 Dollar kosten die Seminare, die an oft paradiesischen Orten stattfinden. „Die Ausbildung ist sehr zeitaufwendig. Ich habe zwei Klassen am Tag gemacht, dazwischen gab es Vorlesungen und Kurse“, sagt Nelli. Die Kursteilnehmer lernen die Anweisungen, beim Bikram Yoga nennt man sie Dialog, auswendig. Sie haben Kurse zur Anatomie, Yogatherapie und Philosophie des Bikram Yoga. Im Studio in Berlin-Friedrichshain gibt es sechs Lehrer. „Jeder, der bei uns unterrichten möchte, muss seine Ausbildung bei Bikram Choudhury gemacht haben“, erzählt Nelli im Gespräch im Vorraum des Studios. Damit könne sie sicherstellen, dass die Übungen immer gleich ausgeführt werden.
Bikram Yoga wurde von Bikram Choudhury entwickelt
Bikram Choudhury ist Inder und wurde 1946 in Kalkutta geboren. Bereits als Vierjähriger wurde er Schüler von Bishnu Ghosh, Bruder des bekannten Yogameisters Paramahamsa Yogananda. Ghosh eröffnete in den 1920er Jahren das „College of Physical Education“ in Kalkutta, das Bikram besuchte. „Bikram wollte Yogaübungen schaffen, die als Vor- und Nachsorge gemacht werden können“, sagt Nelli. So sind 26 Übungen (Asanas) entstanden, die alle Muskeln, alle Systeme und Organe ansprechen. Am Anfang und am Ende steht immer eine Atemübung. „Beim Bikram Yoga werden alle Hauptgruppen aktiviert. Alles wird gestreckt und der Körper wird wunderbar durchblutet“, sagt die in Kasachstan geborene Inhaberin. In den siebziger Jahren ging Bikram Choudhury nach Kalifornien. In Los Angeles gründete er das Bikram Yoga College of India, das bis heute besteht.
Bikram Yoga Berlin: Nur ein geringer spiritueller Touch
Im Westen war es für die Yogaübungen allerdings zu kalt, deshalb kam Bikram die Idee, die Raumtemperatur auf etwa 38 Grad zu erhöhen“, sagt Nelli. „Der Körper wird durch das Schwitzen entgiftet. Ähnlich wie in der Sauna.“ Die 90 Minuten Bikram Yoga erinnern mich in einer Weise wirklich an einen Saunabesuch. Die ganze Zeit über ist es sehr still im Raum. Ich höre nur die Anweisungen der Trainerin und die Atmung der anderen Yogis. Die Hitze trägt zu einer wohligen, inneren Entspannung bei, obwohl meinem Körper einiges abverlangt wird. Die Asanas werden im Stehen oder im Liegen praktiziert und je zweimal wiederholt. Es kommt vor allem auf die richtige Atmung an. Bei den Situps liege ich auf dem Rücken, strecke meine Arme über den Kopf, verschränke meine Daumen, atme tief ein und bringe meinen Oberkörper beim Ausatmen in Richtung meiner Füße. „Viele mögen Bikram Yoga, weil es einen sehr geringen spirituellen Touch hat“, sagt Nelli. „Wir chanten nicht und singen auch keine Mantras. Mit der Zeit öffnen sich die meisten. Der Lehrer gibt sehr klare Anweisungen und darüber findet jeder seine Meditation und seinen spirituellen Zugang. Zu sich selbst und zum Yoga.“
Bikram Yoga Übungen: Trainiere Dein Gleichgewicht!
Zu den schwierigsten Übungen gehört für mich das Dandayamana-Dhanurasana, der Stehende Bogen. Mit dem rechten Bein versuche ich mein Gleichgewicht zu halten, während ich das linke Bein mit der linken Hand festhalte und es hoch über den Kopf ziehe. Ich brauche zwei Versuche, bis ich einigermaßen sicher stehe. Seit einigen Jahren haben Bikram- und Hot Yoga Studios in Deutschland viel Zulauf bekommen. „Der Durchschnitt ist zwischen 25 und 35 Jahre alt. Wir haben aber auch manchmal Kinder, die mitmachen wollen“, sagt Nelli. Die älteste Teilnehmerin bisher war 79 Jahre alt. „Das war schon eine Herausforderung, wir wussten ja nicht, wie ihr Kreislauf die Übungen und die Hitze vertragen wird. Aber ich muss sagen, sie hat das besser gemacht als manche jüngere Leute.“
Bikram Yoga Berlin: Mehr Frauen als Männer
Zum Bikram Yoga kommen überwiegend Frauen. Allerdings konnte ich auch bei mir im Kurs fünf Männer entdecken. „Die Männer kommen gerne, weil es fitnessorientiert ist“, meint Nelli, die vor ihrer Ausbildung zur Bikram-Lehrerin eine Tanzausbildung gemacht hat. „Vom Bikram Yoga bekommt man keine dicken Muskeln, wir pumpen hier nicht. Aber man nimmt eine gesunde Körperhaltung an.“ Um Erfolge zu erzielen und auf dem Erlernten aufbauen zu können, empfiehlt Nelli dreimal in der Woche zu kommen. „Das schafft natürlich nicht jeder, aber das Gehirn lernt am besten durch Wiederholungen.“ Der Fokus beim Bikram Yoga liege auf der Wirbelsäule, die die Basis des ganzen Körpers ist. „Trainiert wird die tiefere, feinere Muskulatur, man bekommt definierte Muskeln und durch die Hitze wird der Körper zusätzlich entgiftet“, sagt Nelli, die auch ärztlich geprüfte Ernährungsberaterin ist. „Wer zusätzlich noch seine Ernährung umstellt, kann mit Bikram Yoga auch abnehmen.“ Regelmäßig werden im Studio Workshops rund um das Thema Ernährung veranstaltet.
Bikram Yoga: Das wird kritisiert
So gut sich das alles anhört: Es gibt natürlich auch Kritik am Bikram Yoga. Diese zielt vor allem auf den großen Wasser- und Salzverlust und die Überhitzung während des Trainings. Bis zu anderthalb Liter Flüssigkeit werden beim Bikram Yoga ausgeschwitzt. Muskelkrämpfe oder auch Kreislaufkollaps können die Folgen sein. Auch ich hatte zwei, drei Erschöpfungsmomente. „Deshalb empfehlen wir immer vor dem Kurs mindestens zwei Liter zu trinken und auch danach ausreichend Flüssigkeit zu sich zu nehmen“,sagt Nelli, als ich sie auf die Nebenwirkungen anspreche. „Zwei bis drei Stunden vor dem Kurs sollte nichts Reichhaltiges mehr gegessen werden. Magnesium ist immer empfehlenswert.“ Den zweiten Kritikpunkt spricht Nelli Nolde selbst an: Der Erfinder des Bikram Yoga ist nicht unumstritten. Er sei zum Hollywood-Guru geworden. Stars wie Jennifer Aniston, George Clooney, Madonna oder Julia Roberts gehören zu seinen Kunden. „Im vergangenen Jahr gab es öfter negative Schlagzeilen“, sagt Nelli. Eine Teilnehmerin erhob im März 2013 schwere Vorwürfe gegen den 69-Jährigen, darunter sexuelle Belästigung und Diskriminierung bei der Arbeit. Inzwischen haben vier weitere Frauen Vorwürfe geäußert und sich an den Superior Court gewandt. Viele Studios hatten daraufhin „Bikram“ aus dem Namen gestrichen. „Für mich sind das zwei verschiedene Sachen“, sagt Nelli. „Seine Person ist sehr kontrovers, aber Bikram Yoga gehört für mich nicht dazu.“
Bikram Yoga Berlin: Auch während der Schwangerschaft
Während ihrer Zeit als Lehrerin habe sie viele kleine Wunder erlebt. Zum Beispiel Menschen, die mit Bluthochdruck kämpften und nach einem Jahr Bikram Yoga ihre Medikamente absetzen konnten. „Ich habe selbst während meiner ersten Schwangerschaft bis zum letzten Tag Bikram Yoga praktiziert“, sagt die werdende Mutter. „Wenn man vor der Schwangerschaft auch regelmäßig an den Kursen teilgenommen hat, ist es auch kein Problem weiterzumachen. Die Übungen, die auf dem Bauch gemacht werden, tausche ich aus“, erzählt Nelli, während sie ihren Bauch streichelt. „Es gibt auch eine spezielle Schwangerschaftsserie beim Bikram Yoga.“
Als ich nach dem Kurs meine Yogamatte abgebe, mir eine Tasse Tee und einen Apfel nehme, der für die Teilnehmer bereitsteht, fühle ich mich zwar ausgepowert, aber gleichzeitig bin ich voller Energie. Ich setze die Wasserflasche an und trinke sie fast in einem Zug leer. Ich habe das Gefühl, mir und meinen Körper etwas Gutes getan zu haben. Ich bin entspannt, freue mich trotz allem aber auf die frische, kalte Luft auf dem Weg nach Hause.
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