Das Thema Burnout ist gefühlt in aller Munde und trotzdem wird kaum darüber geredet. Zumindest wenig konkret. Wie kann das eigentlich sein? Wie viele Menschen leiden unter Burnout und wie ergeht es ihnen wirklich? Wir haben ganz offen mit einer Betroffenen darüber gesprochen, wie es zu der Erkrankung kam, wie ihr die Therapie geholfen hat und wie es ihr heute geht.
Das Thema Burnout findet in der öffentlichen Debatte zunehmend mehr Bedeutung. Und das ist gut so. Denn allzu oft wurden Betroffene in der Vergangenheit mit Sätzen wie „Das ist eine Modeerkrankung“ oder „Trinken Sie mal eine Tasse Tee" abgespeist. Dabei ist mit Burnout, genau wie mit anderen psychischen Erkrankungen, nicht zu spaßen und das Syndrom sollte unbedingt ernst genommen und professionell behandelt werden. Insbesondere, da die Krankheitszahlen seit Jahren steigen: Psychische Erkrankungen haben sich zu einer der Hauptursachen für Arbeitsunfähigkeit entwickelt. Allein 2021 gab es laut Statista rund 194.000 Burnout-Betroffene mit kulminierten 4,8 Millionen Krankheitstagen. Und doch weiß man verhältnismäßig wenig darüber, wie es den Erkrankten ergeht. Wie kommt es eigentlich zum Burnout? Wieso ziehen Betroffene nicht eher die Reißleine? Wie merken sie schlussendlich, dass sie an Burnout leiden? Und wie kann der Weg raus aus der Krankheit gelingen? Wir haben mit einer Burnout-Betroffenen gesprochen, die uns ihre erschreckende Geschichte erzählt.
Erste Burnout-Anzeichen: körperlich ständig krank
Obwohl Burnout inzwischen fast jedem ein Begriff ist, wird die Krankheit oft viel zu spät erkannt. Auch Sina [Name von der Redaktion geändert] realisierte lange Zeit nicht, dass sie bereits an Burnout litt, auch wenn sich erste Tendenzen schon früh zeigten. „Rückblickend glaube ich, die Tendenzen zum Burnout hatte ich schon immer, erste Anzeichen gab es in der Uni. Damals habe ich zum Beispiel Koffeintabletten genommen, damit ich drei Tage durcharbeiten konnte. Für jede Prüfung, die ich eigentlich locker bestehen hätte können, habe ich extra mehr gelernt, um als Beste abzuschneiden. Doch die ersten körperlichen Anzeichen des Burnouts habe ich erst später, im Arbeitsleben, erfahren. Da fing es richtig an. Ich war körperlich ständig krank: Magenprobleme, Magengeschwüre, Kopfschmerzen und permanent schlechte Laune. Eine ‚Erkältung' dauerte bei mir auch mal locker vier Monate. Der Körper war einfach fertig. Ich sah auch ganz schlimm aus: Hautprobleme, Haarausfall, Schlafstörungen und ich habe viel geheult."
„Das geht schon wieder vorbei ..."
Statt die Anzeichen ernst zu nehmen, reden viele Betroffene sich das Problem selbst klein. „Stell dich nicht an!" oder „Das ist nur eine Phase!" sind gängige Mantras, die sie sich selbst einreden. Auch Sina, die in einer großen Mediaagentur arbeitete, spielte kritische Situationen oft runter. „Vor einem wichtigen Kundentermin ging es mir erst super, ich habe meine Präsentation fertiggestellt, mit den Kolleginnen rumgealbert. Dann ging ich auf die Toilette und heulte heimlich. Da dies häufig vorkam, hatte ich immer Mascara dabei, um mein Make-up danach wieder hübsch zu machen. Nach dem Heulkrampf ging ich wieder raus, hielt meine Präsentation und tat so, als wäre alles gut. Das war für mich Normalität und ich habe es jahrelang mitgemacht." In der Arbeitswelt kein Einzelfall, wie Sina berichtet. „Wenn man in der Agenturwelt nachfragt, sagen einem viele Leute, dass sie das auch kennen und es ihnen ähnlich geht. Dann denkt man irgendwie, es wäre normal und würde dazugehören." So macht Sina weiter, steigt sogar im Unternehmen auf. Doch das bedeutet auch: noch mehr Verantwortung und noch mehr Stress!
„Plötzlich habe ich auf den Laptop gekotzt"
Lange Zeit konnte Sina selbst nicht erkennen, dass sie dringend Hilfe brauchte. Bis es zu einem einschneidenden Erlebnis kam. „Es war während eines digitalen Meetings mit den New Yorker Kollegen. Es war so stressig und ich hatte mich so in Rage geredet, weil ich wusste, dass dieses Meeting mich schon wieder mindestens zehn Stunden mehr Arbeit kosten würde. Und plötzlich passierte es: Ich habe einfach auf meinen Laptop gekotzt. Mitten im Meeting. Genau in die Kamera." Eine extreme Reaktion des Körpers. Und ein erschreckender Moment für Sina. Heute, über ein Jahr später, kann sie über diesen unglücklichen Vorfall lachen. Damals wusste sie nicht, wie ihr geschah. Das Meeting musste sie natürlich sofort abbrechen. Panisch verließ sie die Wohnung, lief verwirrt herum, stand schließlich mitten auf einem Feld. „Da hatte ich dann meinen Meltdown. Ich habe eine Freundin angerufen und einfach gesagt: Ich kann nicht mehr." Zum Glück erkannte ihre Freundin die Situation und reagierte genau richtig. Sie sorgte dafür, dass Sina schnell medizinische Hilfe bekam.
Auch Ärzt*innen schätzen die Lage oft falsch ein
So weit hätte es eigentlich nicht kommen dürfen. Bereits vorher hatte Sina mit ihrem Hausarzt über ihre Beschwerden gesprochen. Vermutete selbst schon ein Burnout. Doch der Mediziner erkannte den Ernst der Lage nicht, spielte die Symptome herunter. „Der Arzt blieb ganz cool und meinte einfach, ich solle mich mal zwei Wochen ausruhen, das wird dann schon. Er hat mich dann für zwei Wochen krankgeschrieben. Ich habe mich in dem Moment so missverstanden gefühlt und war richtig sauer, sodass ich die AU einfach weggeschmissen und trotzdem weitergearbeitet habe. Ich wusste sowieso, dass es mir nach den zwei Wochen nicht besser gehen würde." Im Gegenteil: Der Ausblick darauf, nach zwei Wochen in einen Job zurückzukommen, in dem sich in dieser Zeit nur noch mehr Arbeit angehäuft hat, sorgt bei Erkrankten lediglich für zusätzlichen Stress.
Einen Therapieplatz zu bekommen, ist nicht einfach
Nach ihrem schlimmen Schlüsselerlebnis im Videocall war die Lage dann aber eindeutig. Sina wurde für einen Monat krankgeschrieben. Zunächst dachte sie, dies würde ausreichen, um sich zu erholen. Doch als die Rückkehr in den Job näher rückte, hatte sie plötzlich mit Panikattacken zu kämpfen. „Das war tatsächlich für mich der Schlüsselmoment, als ich realisierte, da scheint doch mehr dahinterzustecken." Ihre Freundin half ihr dabei, eine Therapie bei einer Psychologin zu bekommen. Diese riet ihr dazu, in eine Tagesklinik zu gehen, doch das gestaltete sich schwierig, wie Sina erklärt: „Burnout ist ein Riesenthema mit vielen Betroffenen, daher sind die Kliniken oft überfüllt und es dauert, bis man einen Platz bekommt. Erst vier Monate später begann meine Therapie in der Tagesklinik." Dort macht Sina sehr gute Erfahrungen, hat sowohl Einzel- als auch Gruppensessions, lernt in verschiedenen Aktivitäten viel über das Thema Burnout und Depressionen und wie sie mit diesen Gefühlen besser umgehen kann. Sieben Wochen bleibt sie in der Tagesklinik. Aus dem Job ist sie ein ganzes Jahr raus, zieht zu ihrer Familie aufs Land, isoliert sich bewusst vom alten Leben.
Das Leben nach dem Burnout
In den alten Job möchte Sina nach ihrer Auszeit nicht mehr zurück. Aber eine neue Stelle zu finden, ist natürlich auch nicht leicht. „Das Problem ist," erklärt sie, „wenn du einmal Burnout hattest, kannst du es immer wieder bekommen, wenn du dich wieder in so ein Umfeld begibst. Man muss lernen, für sich selbst zu erkennen, wenn es wieder kritisch wird. Für mich heißt es jetzt also: learning by doing." Keine einfache Situation für Betroffene, insbesondere in der Arbeitswelt. Gerne würde Sina auch mit ihrem neuen Arbeitgeber offen über das Thema Burnout sprechen, doch in den Vorstellungsgesprächen traut sie sich nicht.
„Leider ist Burnout immer noch ein Tabu-Thema."
„Leider ist Burnout immer noch ein Tabu-Thema. Wenn ich offen zugeben würde, dass ich Burnout hatte, bin ich bei potenziellen Arbeitgebern sofort auf der Abschussliste. Ähnlich ist es bei Versicherungen. Wenn du Burnout hattest, nimmt dich keine private Krankenversicherung mehr auf." In Kürze wird Sina eine neue Stelle antreten. Sie hofft, dass sie dort nicht die gleichen Erfahrungen wie im letzten Job machen wird und auch, dass sie im Laufe der Zeit genug Vertrauen zu ihren Vorgesetzten aufbauen kann, um offen über ihre Krankheit zu sprechen. Und genau das wünscht Sina sich auch für die Zukunft: Man muss Burnout ernst nehmen und vor allem darüber reden! „Ärzte und Ärztinnen dürfen das Thema nicht als Lappalie abtun, das kann schlimme Folgen haben. Die richtige Therapie kann wirklich helfen. Und auch zwischen Arbeitgebern und Arbeitnehmern sollten das Thema offen kommuniziert werden können, ohne Angst. Man muss darüber sprechen, denn nur wenn man Bescheid weiß, kann man entsprechend agieren und einem erneuten Burnout vorbeugen."
Infobox: Was ist Burnout?
Burnout ist ein Zustand körperlicher, emotionaler und geistiger Erschöpfung, der häufig mit andauerndem beruflichem Stress verbunden ist. Das Burnout-Syndrom wird allgemein mit Berufen in Verbindung gebracht, bei denen hohe Anforderungen, Zeitdruck und wenig Kontrolle über die Arbeitsabläufe bestehen. Es kann jedoch auch in anderen Lebensbereichen zum Burnout kommen, wie z. B. bei der intensiven Pflege von Angehörigen oder bei übermäßigem persönlichem Engagement. Oft ist es eine Kombination aus beidem, beruflichen sowie privaten Stressfaktoren.
Wo bekomme ich Hilfe bei Burnout?
Du glaubst, dass du von Burnout betroffen sein könntest? Zögere nicht, such dir Hilfe und vertraue dich unbedingt jemandem an. Als erste Anlaufstelle kannst du deinen Hausarzt oder deine Hausärztin aufsuchen. Wenn du das Gefühl hast, dass deine Probleme hier nicht ernstgenommen werden, dann suche am besten eine andere Praxis auf. Hilfe und weitere Informationen zu Therapiemöglichkeiten bekommst du zum Beispiel auch über die Unabhängige Patientenberatung Deutschland. Lesetipp: "Burn-out kommt nicht nur von Stress: Warum wir wirklich ausbrennen und wie wir zu uns selbst zurückfinden"
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