Depressionen werden mittlerweile in Talkshows und Themenwochen offen angesprochen und alle scheinen sich einig zu sein: Psychische Erkrankungen sollten nicht tabuisiert werden. Schaue ich mir aber die Sprüche an, die Betroffene derzeit unter dem Twitter-Hashtag #ThingsPeopleHaveSaidAboutMyMentalIllness posten, muss ich feststellen, wie unaufgeklärt und unsensibel viele Menschen bei diesem Thema noch sind – und kann auch aus eigener Erfahrung ein Lied davon singen.
Die Journalistin Hattie Gladwell geht sehr offen mit ihren psychischen Problemen um. Erst kürzlich hat sie einen sehr persönlichen Artikel über das Gefühl nicht mehr leben zu wollen im britischen Magazin Metro verfasst. Auch auf Twitter postet sie regelmäßig ihre Erfahrungen mit Depressionen und hat nun mit einem Tweet dafür gesorgt, dass sich Menschen mit psychischen Erkrankungen rund um die Welt ebenfalls öffentlich äußern. In ihrem Tweet fordert sie Betroffene dazu auf, die unsensibelste und am wenigsten hilfreiche Aussage zu posten, die sie sich jemals aufgrund ihrer Erkrankung anhören mussten. Unter dem Hashtag #ThingsPeopleHaveSaidAboutMyMentalIllness macht sie den Anfang: „Eine Person sagte mir, dass ich keine Medikamente bräuchte. Ich müsste nur motivierter sein, mit meiner psychischen Gesundheit klarzukommen.“
Auch in Deutschland haben zahlreiche Betroffene auf Hatties Tweet reagiert. Die Twitter-Usern Sandra musste sich ähnliche Ratschläge anhören, die ein völliges Unverständnis für psychische Erkrankungen offenbaren:
Besonders interessant fand ich zu lesen, wie sehr Menschen, die auf Psychopharmaka, wie beispielsweise Antidepressiva, angewiesen sind, nicht ernst genommen werden. Während Hattie und Sandra geraten wurde, die Medikamente einfach abzusetzen – was ohne ärztliche Begleitung grob fahrlässig wäre – bekam dieser Twitter-User den gegensätzlichen Vorschlag:
Während sich die einen daran stören, wenn psychische Erkrankungen anhand von Narben sichtbar werden, stört es andere scheinbar, dass es keine äußeren Anzeichen gibt:
So unterschiedlich diese Erfahrungen sind, sie alle zeigen, dass psychische Erkrankungen häufig nicht ernst genommen werden – selbst dann, wenn Betroffene in Behandlung sind und Hilfe suchen.
Sätze, die Betroffene lieber hören würden
Während es viele verletzende Sätze gibt, die Betroffene zu hören bekommen, weist Twitter-Userin Stefanie darauf hin, dass es oft auch schmerzt, keine Reaktion zu bekommen:
Hattie Gladwell hat auch darauf reagiert und in dem folgendem Tweet dazu aufgefordert, Sätze zu posten, die Menschen mit psychischen Erkrankungen gerne hören würden. Sie macht den Anfang mit einem einfachen: „Ich bin für dich da.“
Die Twitter-Userin Hazel mag es nicht gerne, wenn sie die Frage „Möchtest du darüber reden?“ zu hören bekommt. Für sie klinge das so, als würde sich ihr Gegenüber verpflichtet fühlen zuzuhören, es aber nicht wirklich wollen. Sie bevorzugt daher lieber die klare Ansage: „Lass uns darüber reden!“
Oft tut es auch gut zu hören, dass andere Menschen Verständnis dafür haben, wie schwierig das Leben mit einer psychischen Erkrankung ist. Twitter-Userin Emily würde daher gerne häufiger: „Ich sehe, dass du dich bemühst.“ hören.
Auch die Twitter-Userin Mary Lamb bevorzugt einfühlsame Sätze wie diese: „Ich weiß, dass es manchmal überfordernd ist. Wenn dem mal so ist, kannst du mich um Unterstützung bitten. Ich bin für dich da!“
Viele Betroffene machen aber auch deutlich, dass es völlig in Ordnung ist, wenn andere nicht wissen, was sie sagen sollen. Twitter-User David schreibt: „Als ich in der Klinik war, sagte mir eine Person: 'Ich weiß nicht, was ich sagen soll, aber ich werde da sein.' Und die Person kam dann auch. Ich habe es wirklich wertgeschätzt, dass derjenige zugegeben hat, dass er nicht weiß, was er sagen soll, aber trotzdem für mich da war.“
Bei Unwissen lieber mal die Klappe halten!
Ich würde gerne behaupten, dass mich die zahlreichen unsensiblen und verletzenden Aussagen überrascht hätten. Leider haben sie es überhaupt nicht, denn aus eigener Erfahrung weiß ich nur zu gut, auf wie viel Unverständnis man stoßen kann, wenn man offen mit psychischen Problemen umgeht. Als Familienmitglieder von mir erfuhren, dass ich eine Psychotherapie mache, bekam ich zu hören, dass ich einfach zu labil sei und nur mehr Sport machen müsste. Ganz so, als seien Depressionen das Gleiche, wie schlechte Laune zu haben.
Als ich dann eine Zeit lang Serotoninwiederaufnahmehemmer nahm, eine Form der Antidepressiva, war ich auch mit Vorurteilen innerhalb meines Freundeskreises konfrontiert. Die Ansicht, dass Antidepressiva nur von der bösen Pharmalobby erfunden wurden, um Menschen ruhig zu stellen und Betroffene daran hindern, Probleme aufzuarbeiten, ist weit verbreitet. Dass Psychopharmaka keine Drogen sind, von denen man ein plötzliches High bekommt und wie unterstützend sie bei einer Therapie sein können, erklärt Hattie Gladwell ebenfalls in einem empfehlenswerten Artikel. Solche Aussagen zeugen meiner Meinung nach davon, wie wenig viele Menschen über psychische Erkrankungen und Behandlungsmethoden wissen. Mir wäre es deutlich lieber, wenn diese das einfach zugegeben, Betroffene ernst nehmen und im Zweifelsfall lieber nichts sagen würden, anstatt dumme Ratschläge zu verteilen. Hast du in deinem Leben schon ähnliche Erfahrungen gemacht?
Solltest du oder eine dir nahe stehende Person unter Depressionen oder anderen psychischen Problemen leiden und weißt nicht mehr weiter, kannst du dich für einen ersten Rat anonym, kostenlos und rund um die Uhr an die Telefonseelsorge unter 0800/1110111 und 0800/1110222 wenden. Weitere hilfreiche Informationen findest du auf https://www.telefonseelsorge.de.
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