Seit Wochen protestieren Menschen im Iran gegen das Regime. Die Sittenpolizei geht massiv und brutal gegen die Demonstrationen vor. Doch die Frauen geben nicht auf. Auf offener Straße legen sie ihre Kopftücher ab – was im Iran streng verboten ist – und Bilder, von Frauen, die ihre Haare abschnitten, gingen um die Welt. „Diese Proteste sind anders und sie werden Erfolg haben“ sagt die Iran-Aktivistin Daniela Sepehri.
Auslöser, für die seit Ende September anhaltenden Proteste, war der Tod der 22-jährigen Jina Amini, nachdem die Polizei sie wegen ihrer „unislamischen“ Kleidung verhaftet hatte. Nach Angaben der Polizei fiel sie auf der Wache wegen Herzversagens zunächst in Ohnmacht und danach ins Koma – diese Version ist aber umstritten. Die aktuellen Proteste sind brutal.
Wie es wirklich ist, als Frau im Iran zu leben? Wie können wir hier in Deutschland helfen? Wo hapert es bei der Berichterstattung der deutschen Medien über den Iran? Über all das informiert Daniela Sepehri in einer neuen Folge von „desired – der Podcast“. Die 24-Jährige ist Social Media Managerin und Aktivistin für die Themen Feminismus, Anti-Rassismus und setzt sich verstärkt für das Thema Iran ein.
Dies ist eine verkürzte schriftliche Form unserer neuesten Podcast-Folge, die du hier hören kannst.
Desired: Daniela, kannst du etwas über deine Arbeit als Aktivistin erzählen?
Daniela Sepehri: Ich bin eine Hobby-Aktivistin. Wenn ich nicht gerade arbeite, dann bin ich Aktivistin. Ich engagiere mich schon seit vielen Jahren in der Politik. Als ich mit 14, 15 Jahren angefangen habe, mich zu engagieren, habe ich noch ganz naiv gedacht, dass ich den Regime-Wechsel im Iran mitbewirken kann. Dann habe ich mich aber, je älter ich wurde, für meine Naivität ausgelacht. Aber jetzt ist der Wechsel des Regimes gar nicht mehr so utopisch wie noch vor einigen Jahren. Es macht Mut zu sehen, was im Iran passiert. Und zu merken, dass wir hier vielleicht doch nicht so machtlos sind, wie es scheint. Ich habe auch Tage, an denen fühle ich mich absolut machtlos. Doch dann erinnere ich mich, worin ich gut bin und was ich einbringen kann: Ich kann gut mit Worten umgehen und ich würde behaupten, dass ich ein halbwegs gutes Politik-Verständnis besitze.
Aktuell bin ich viel unterwegs, um mit Abgeordneten und Vertreter*innen der Politik zu sprechen. Ich organisiere in Berlin viele Demos, auch schon vor den Protesten, um auf die Situation im Iran aufmerksam zu machen, Solidarität zu zeigen, aber auch Forderungen zu formulieren. Auch auf Instagram bin ich aktiv, um für das Thema zu sensibilisieren.
Ich habe auch heute noch das Gefühl, der Iran ist für viele noch dieses super exotische Land da irgendwo im Nahen Osten. Mit den Mullahs, von denen man nur im Zusammenhang mit Atombomben oder Deals hört. Iran ist so viel mehr als das – und ich sehe ich als meine Aufgabe an, das zu transportieren. Jetzt sind natürlich vermehrt die Proteste im Vordergrund. Bei ihnen war ich am Anfang auch pessimistisch, aber nach einigen Tage hat man gemerkt: Diese Proteste sind anders als die davor. Und ich bin mir sicher, dass die Revolution Erfolg haben wird und das Regime stürzen wird.
In Deutschland wissen viele Menschen kaum etwas über den Alltag im Iran – vor allem nicht, über den Alltag von Frauen und Mädchen. Wie sieht das Leben für Frauen dort wirklich aus?
Das kann man gar nicht vergleichen, mit dem Leben, wie wir es aus Deutschland kennen. Damit möchte ich nicht sagen, dass es für FLINTAS (Frauen, Lesben, intergeschlechtliche, nichtbinäre, trans und agender Personen) in Deutschland das Paradies ist. Aber die Dimension im Iran ist zusammengefasst: Frauen haben kaum Rechte. Frauen werden als Eigentum des Mannes angesehen. Und darauf baut die gesamte Gesetzgebung auf. Alle Gesetze richten sich danach, ob es „islamisch“ ist. Ich sage immer, das ist nicht der Islam, das ist eine Gruppe von extremen Männern, die den Islam für ihre Gesetzgebung missbrauchen. So steht es auch in der Verfassung: Alles Gesetze müssen daran orientiert sein, dass sie mit dem islamischen Recht vereinbar sind.
So dürfen Frauen noch immer keine männlich geltenden Berufe ausüben. Vielerorts wird nach wie vor für Frauen entschieden, auf der Straße kannst du nicht einfach als Pärchen Händchenhalten, wenn du nicht verheiratet bist. Vor Gericht hat die Stimme einer Frau zum Beispiel nur die Hälfte an Wert wie die eines Mannes. Diese strukturelle Diskriminierung zieht sich über alle Bereiche hinweg.
Du hast dich unter anderem mit der SPD-Vorsitzenden Saskia Esken getroffen und warst schon zu einigen weiteren Gesprächen im Bundestag. Hast du das Gefühl, das Thema wird in der Politik ernst genommen? Wie bewertest du das Gespräch?
Ich habe schon das Gefühl, dass das Thema Iran inzwischen ernster genommen wird und mehr Gehör findet als noch vor vier Wochen. Da mussten wir wirklich darum betteln, dass sich jemand aus der Bundesregierung mal dazu äußert. Außenministerin Anna-Lena Baerbock hat fünf Tage gebraucht, um sich zu dem Tod von Jina Amani zu äußern, Bundeskanzler Olaf Scholz sieben Tage. Seitdem kam übrigens nichts weiteres von ihm. Ein guter Schritt war auch, als in Woche zwei der Proteste, eine aktuelle Stunde zum Iran im Bundestag stattgefunden hat. Die war zwar eher symbolisch als inhaltsreich, aber immerhin.
Und die Gefühle, die ich nach den Gesprächen habe, sind immer ganz unterschiedlich. Bei einigen habe ich das Gefühl, die habe ich schon überzeugt, noch bevor ich hingegangen bin. Das ist natürlich gut zu wissen, dass es Abgeordnete gibt, die unsere Forderungen ernst nehmen und annehmen. Aber es gibt natürlich auch Menschen, mit denen muss man sehr diskutieren. Aber dabei geht es ja nicht darum, eine Diskussion zu gewinnen. Es geht wirklich darum, dass unsere Sicht verstanden wird. Denn wie wir bisher über den Iran gedacht haben, war falsch. Deswegen brauchen wir eine fundamental andere Iran-Politik. Das versuche ich in den Gesprächen deutlich zu machen. Aber am Ende ist nicht mein Gefühl nach den Gesprächen entscheidend, sondern, dass wirklich etwas passiert und die Regierung handelt.
Welche konkreten Forderungen hast du an die Bundesregierung?
Ich möchte, dass die Revolutionsgarde auf die Terrorliste gesetzt wird. Das sie komplett sanktioniert wird, dass all ihre Organisationen ein Tätigungsverbot bekommen, dass die Konten von allen Mitgliedern und vor allem ihren Familienangehörigen eingefroren werden, Vermögen konfisziert wird. Das ihre Visa gestrichen werden und sie andersherum, aber auch keine mehr bekommen, also das eine Einreisesperre vorliegt. Diese Forderungen habe ich auch gegen alle Regime-Mitglieder.
Das Argument, dass erstmal abgewartet wird, inwiefern der Iran in den Ukraine-Krieg involviert ist, bevor schärfere Sanktionen kommen, finde ich völlig falsch. Der Iran führt einen Krieg gegen sein eigenes Volk und geht auf brutalste Art und Weise vor, wieso reicht das nicht auf für Sanktionen?
Und es sollten dringend die Gespräche zum Iran-Atomdeal beendet und eingestellt werden. Dieser Deal ist eh so gut wie tot. Dieses künstliche Dranfesthalten halte ich für ganz falsch. Es ist eher ein entscheidendes Zeichen zu sagen: „Wir verhandeln nicht mit Terroristen.“
Was können wir hier in Deutschland tun, um im Iran tatsächlich etwas zu bewegen und den Menschen konkret zu helfen?
Die Sozialen Medien sind zu einer wichtigen Waffe geworden. Wer Bilder, Videos und Beiträge von iranischen Exilmedien oder Journalist*innen aus dem Iran teilt oder kommentiert, oder sie auch nur liked, erhöht die Reichweite. Vielleicht kriegen dadurch auch andere Nutzer*innen die Beiträge in ihre Timelines gespült. Auch Demonstrationen zu besuchen ist eine große Hilfe, denn dadurch übt man großen Druck auf die Regierung aus. Aber auch auf die Medien, um über das Thema zu berichten.
Tipp: Auf Danielas Instagram-Account findest du viel über die Arbeit anderer Journalist*innen, Termine für Demos oder Petitionen, die du unterschreiben kannst.
Genau so kann man Briefe oder E-Mails mit seinem Anliegen an Abgeordnete schreiben, sie anrufen, in den Sprechstunden auftauchen, Petitionen unterschreiben und Teilen und Freund*innen mobilisieren, zur nächsten Demonstration mitzukommen. Das Wichtigste ist aber, informiert zu bleiben und nicht wegzuschauen.
Mehr über inspirierende Frauen erfährst du in unserer Reihe EmpowHER.
Du hast gesagt, dass die jetzige Revolution eine andere, historische sei und du dir sicher bist, dass das Regime zum Fall gebracht wird. Warum bist du dir da sicher und welchen Funken Hoffnung kann man trotz des brutalen Ausmaßes der Proteste haben?
Die Frauen im Iran haben bereits Freiheit gespürt. Sie haben getanzt, gesungen und gelacht. Dieses Freiheitsgefühl lässt sich jetzt nicht mehr rückgängig machen. Die Frauen im Iran lassen sich ihre Freiheit nicht mehr nehmen! Die Frauen werden sich nie wieder in ihre Häuser einsperren lassen, sie lassen sich nicht mehr unterdrücken. Deswegen gibt es kein „wenn nicht“ für die Menschen im Iran, es gibt nur „wir müssen das machen“. Es gibt abertausende Menschen, die festgenommen worden sind. Wenn diese Revolution scheitert, werden sie alle hingerichtet. Das große Töten fängt dann erst an. Und allein für sie, wissen die Menschen im Iran, dass sie jetzt nicht aufhören können und es zu Ende bringen müssen. Und ich bin mir ziemlich sicher, dass sie das schaffen.
Bildquelle: Daniela Sepehri/pivat