Zwar wissen wir, dass wir alle eines Tages sterben werden, doch in unserer Gesellschaft ist das Sterben immer noch ein Tabuthema. Claudia Fricke und Anne Kriesel möchten die Kultur des Schweigens aufbrechen und haben es sich zur Aufgabe gemacht, das schwerste Thema der Welt leichter besprechbar zu machen. Mit Bohana.de haben sie eine Plattform zu den Themen Abschied, Tod und Trauer geschaffen, auf dem inzwischen ein immer größeres digitales Netzwerk für lebendige Abschiedskultur entsteht. Im Interview haben uns die beiden Gründerinnen erklärt, warum wir endlich mit dem Tabu Tod brechen müssen.
desired: Der Tod ist in unserer Gesellschaft und Kultur ein absolutes Tabuthema. Wie kommen Menschen mit euch in Berührung, die sich bereits in jungen Jahren Gedanken über ihren Tod und ihre Beerdigung machen?
Claudia Fricke: Sichtbarkeit und Reichweite sind für Bohana als Plattform, die sich den Themen Trauer und Abschied widmet, essenziell. Diese Sichtbarkeit schaffen wir über Text- und Video-Beiträge in unserem Blog zu relevanten Themenkomplexen wie Trauer am Arbeitsplatz, verwaisten Eltern und Sternenkindern oder auch Pflege und pflegende Angehörige. Wir haben wachsende Communities unterschiedlicher Alters- und Zielgruppen auf unseren Accounts in den sozialen Netzwerken, beispielsweise bei Instagram und Facebook. Sind aber durch unsere Pressearbeit auch sichtbar in Print- und Online Magazinen.
desired: Seine eigene Bestattung bereits frühzeitig zu planen, schon einen Platz auf dem Friedhof zu haben, ist ein „Projekt“, das viele beim ersten Hören eher schockiert als beruhigt. Wie kann die frühe Planung der eigenen Bestattung das Selbst beruhigen und kann es in gewisser Art und Weise nicht nur das Thema Tod enttabuisieren, sondern auch die Angst nehmen?
Anne Kriesel: Ja, ist es nicht absurd, dass wir alles im Leben planen nur den eigenen Tod nicht? Ausbildung, Reisen, Wohnung, Familie, das neue Auto, aber das sind natürlich in der Regel schöne Sachen, auf die wir uns freuen. Auf das Sterben freuen wir uns nicht, wer möchte sich schon mit Freude verabschieden? Und dennoch liegt ganz viel Kraft und Liebe darin, wenn man sich dem Thema widmet. Über den Tod hinaus habe ich die Möglichkeit, meinen Liebsten etwas zu hinterlassen. Das fängt bei meinen Unterlagen an, die bestmöglich geordnet sind und hört bei Inspirationen und kleinen Schätzen meines Lebens auf. Was soll bleiben, wenn du gehst? Da kann man ganz schön viel Tolles und Liebevolles machen und das wiederum macht tatsächlich auch Spaß.
Claudia Fricke: Vorbereitet sein beruhigt und befreit ungemein. Es kann definitiv Sorge und Angst nehmen, wenn wir diese Themen nicht ausblenden, sondern hinschauen. Das zu tun ist Nächstenliebe und Fürsorge – für mich selbst und meine Liebsten. Es gibt mittlerweile auch wunderbare Mittel und Wege, diese Vorbereitung selbstwirksam in die Hand zu nehmen, Anregungen dazu finden sich auf Bohana.de, wo wir all die guten Projekte und Angebote zusammentragen und sichtbar machen, um zu informieren und inspirieren. Ich bin sehr froh, dass wir uns unser Grab auf dem alten Friedhof in Bonn bereits ausgesucht haben, mich beruhigt das.
desired: Sollte auch über den Tod der eigenen Eltern (mit den eigenen Eltern) gesprochen werden?
Anne Kriesel: Aus eigener Erfahrung kann ich sagen, dass eine offene Kommunikation unglaublich entlastet und zwar alle Seiten. Ich bin vorbereitet auf den Tod meiner Mutter – wir wünschen uns, dass sie noch viele Jahre bei uns bleibt, aber sollte morgen etwas passieren, dann ist alles geklärt und besprochen. Ich weiß, wo sie ihre Wünsche hinterlegt hat und wir haben auch über alle wesentlichen Dinge gesprochen, das verbindet im hier und jetzt und auch über den Tod hinaus. Ich komme dadurch nicht in die Situation mich fragen zu müssen, ob alles in ihrem Sinne organisiert ist, das können quälende Gedanken sein in der Trauer. Ich weiß, welchen Bestatter ich auswählen werde, welches Lied gespielt wird, dass ich die Rede halte und dass es eine Feuerbestattung wird. Es gibt wenig Fragezeichen und das fühlt sich gut an. So handhabe ich das auch mit meinen Kindern, auch die wissen jetzt schon, was sie machen würden, wenn ich sterbe.
desired: Der Verlust von Geliebten ist immer schwer, doch gibt es einen Tod, der besonders viel Trauerbegleitung oder Unterstützung benötigt?
Anne Kriesel: Sternenkinder, Suizide, wenn junge Menschen sterben, Mordopfer, plötzliche Tode und ganz aktuell einsame Tode durch Corona-Isolation. Die Liste ist leider lang. Auf Bohana.de thematisieren wir all diese unterschiedlichen Bereiche in unseren Blogbeiträgen und schenken Vereinen eine Sichtbarkeit, die sich gezielt um die Begleitung und Unterstützung dieser Themen widmen.
desired: Wenn Eltern ihre Kinder verlieren ist das besonders schwer. Aus meiner eigenen Familie weiß ich, dass es ein Thema ist, über das geschwiegen wird. Wie kann man diesem Thema zu mehr Sichtbarkeit in der eigenen Familie, aber auch in der Gesellschaft verschaffen?
Anne Kriesel: Wenn wir mit einem Tod konfrontiert sind, der uns emotional aus der Bahn wirft, wie der Tod eines Kindes, ist die verbale Unsicherheit noch größer als sowieso schon. Was sagt man einer Mutter, die ihr Kind verloren hat? Wie gehe ich als Arbeitgeber damit um, wenn meine Mitarbeiterin nun plötzlich doch nicht für ein Jahr in Elternzeit geht? Und wie gehen Männer mit dem Verlust eines Kindes um? Das sind alles Fragen, die sich stellen. Es ist uns ein großes Anliegen, auch diesem Tabuthema gesellschaftlich mehr Raum zu geben. Wir haben zum Thema Sternenkinder/Verwaiste Eltern bereits eine Themenwoche gemacht mit Artikeln aus verschiedenen Perspektiven. Wir veröffentlichen Kontaktadressen von Vereinen und Anlaufstellen, damit betroffenen Eltern schnell geholfen werden kann. Und wir haben eine Empfehlung für das Umfeld verlinkt, damit Freunde und Familie eine Orientierung bekommen, was betroffenen Eltern helfen kann.
desired: „Oma ist jetzt im Himmel“, ein Satz, den man vielleicht als Kind selbst gehört hat. Sollte Kindern offen erklärt werden, was mit den Großeltern passiert?
Anne Kriesel: Kinder haben aus unserer Sicht – auch wenn es um den Tod geht – ein Recht auf Kommunikation auf Augenhöhe. Stirbt die Oma, trauern sie schließlich auch, müssen auch sie begreifen können, was passiert ist. Das ist einfacher, wenn man beteiligt und involviert ist und nicht außen vorgehalten wird. Das bedeutet, dass sie zur Beerdigung mitdürfen, dass man sie in Rituale einbindet, dass sie vielleicht den Sarg bemalen dürfen oder etwas ins Grab schmeißen dürfen. Luftballons in den Himmel steigen lassen dürfen etc. Und ja auch die Abschiednahme am offenen Sarg empfehlen wir begleitet mit einem/einer achtsamen BestatterIn mit Kindern durchaus. Gut begleitet nimmt es den Schrecken und macht ein gutes Stück begreifbar, dass ein Mensch endlich ist. Begleitend gibt es auch viel Literatur für Kinder und spezielle Familientrauerbegleiter.
desired: Es gibt einige alternative Bestattungsmethoden. Wird dieser Bereich für viele Menschen immer interessanter und lassen sich hier tatsächlich auch so etwas wie Trends ablesen?
Anne Kriesel: Jeder Mensch ist anders und ich glaube, dass das individuelle immer wichtiger werden wird. Alternativen zu den klassischen Bestattungsarten wie Erdbestattung, Feuerbestattung und Seebestattung sind bereits möglich. Dazu zählen u.a. die Diamantenbestattung, Weltraumbestattung, Streuung auf der Almwiesen etc. Auch die Möglichkeit, sich weltweit an Wunschorten bestatten zu lassen, gibt es. Aber sicher sind das aktuell eher Ausnahmen. Es gibt Trends wie weg von Friedhöfen und hin zu Friedwäldern, mehr Urnen- als Erdbestattungen etc. Wir sprechen gerne von der bedürfnisorientierten Bestattung. Das bedeutet hinzuschauen: Was brauchen die Angehörigen und Zugehörigen für einen guten Abschied? Was war die verstorbene Person für ein Mensch? Und wie kann man gemeinsam ein schönes Abschiedsfest gestalten? Wir stehen für eine gelebte Abschiedskultur und wünschen uns langfristig einen Perspektivwechsel von der Trauerfeier hin zu einer Lebensfeier am Lebensende. Wir machen die Möglichkeiten und Menschen, die einen bei der Organisation gut begleiten können auf Bohana sichtbar, so dass jeder die Möglichkeit hat, einen ganz besonderen Abschied zu gestalten, der einen nachhaltig durch die Trauer trägt.
desired: Gibt es einen Unterschied im Umgang mit dem eigenen Tod und auch in der Trauerbewältigung zwischen Frauen und Männern?
Anne Kriesel: Zu gerne würden wir hier auch genderneutral antworten, aber stellen immer wieder fest, dass wir da gesellschaftlich noch nicht angekommen sind. Und dazu zitieren wir gerne einen befreundeten Trauerbegleiter: „Männer trauern anders“. Das hat etwas mit leider immer noch stark verhafteten gesellschaftlichen Rollenbildern zu tun: Männer müssen stark sein, Männer weinen nicht. Männer sind noch häufig die Hauptverdiener in Familien und haben das Gefühl, schneller wieder funktionieren zu müssen. In Trauergruppen brauchen Männer auch häufig etwas anderes als Frauen – mehr Bewegung, weniger kreativ sein. Auch hier gibt es mittlerweile zum Glück vielfältige Angebote, so dass jeder das Angebot wahrnehmen kann, dass zu ihm oder ihr passt.
desired: Spielt das Thema Nachhaltigkeit auch beim Thema Tod und Bestattung bereits eine wichtige Rolle?
Claudia Fricke: Wir haben bereits die Kategorie „ökologisch“ auf Bohana.de eingerichtet. Also ja – für uns ja. Und auch hier sprechen wir sicher von einem Trend: Es gibt die grüne Linie, Öko-Urnen, Särge, die schneller verrotten, beispielsweise den Rahlstedter Friedhof in Hamburg, der erste klimaneutrale Friedhof. Und wir klären auch darüber auf, dass eine Feuerbestattung eigentlich gar nicht gut ist für den ökologischen Fußabdruck.
desired: Tod und Trauer im Zeitalter von sozialen Medien. Können diese beim Umgang damit helfen oder ist das Thema auch auf sämtlichen Social-Media-Kanälen tabu?
Anne Kriesel: Wir sind angetreten mit dem Gedanken, das schaffen wir, raus dem Schwarz und Trauerflorigem. Wir wollten visuell anders sein und gestalten unsere Beiträge und Posts so, dass man gerne hinguckt. Selbstbewusst können wir sagen, dass es uns gelingt, das Tabuthema Tod authentisch, kreativ und visuell ansprechend aufzubereiten. Und es erfüllt uns mit Freude und Stolz, dass der Bohana-Instagram-Account zu den Profilen mit den meisten Followern im Themenbereich Trauer, Tod und Sterben gehört. Wir inspirieren, erzählen von unseren persönlichen Erfahrungen, stellen tolle Menschen und Vereine vor. Und fallen mit Aktionen wie „Spiel mir das Lied nach dem Tod“ auf, einem Aufruf am Memento Tag 2020, das Lied zu teilen, dass auf der eigenen Bestattung gespielt werden soll. Ein Türöffner-Thema mit konkretem Impuls: Probier es mal aus und frag dein Umfeld. Da kommen spannende Gespräche zustande und gleichzeitig hat man einen Anker für den Fall dass… Denn dann erinnert man sich an das Gespräch und weiß, welches Lied man mit zur Bestattung nimmt oder zuhause hört, wenn man an die Person denkt.
Vielen lieben Dank für das Interview, Anne und Claudia.
Anne Kriesel und Claudia Fricke sind in diesem Jahr übrigens Finalistin beim „Digital Female Leader Award"! Mit dem Award, der von Global Digital Women ins Leben gerufen wurde, werden jedes Jahr Frauen in der Digitalwirtschaft für ihre besonderen Projekte ausgezeichnet. Ziel ist es, Frauen mehr Sichtbarkeit in der Branche zu geben, ihre Geschichten zu erzählen und dadurch auch andere zu inspirieren und motivieren.
Weitere spannende Interviews mit inspirierenden Frauen findest du in unserer Themenreihe „empowHER":
Bildquelle: Andrea Heinsohn Photography /Digital Female Leader Award