Es gibt kaum ein Land, in dem Frauen wirklich gleichberechtigt sind. In vielen Teilen der Erde haben Männer deutlich mehr Rechte, während Frauen sich im Hintergrund halten müssen. In vielen Ländern hat sich die Situation aufgrund von Kriegen und strengen religiösen Regeln in den letzten Jahren sogar verschlechtert. Das Weltwirtschaftsforum hat in seinem aktuellen Global Gender Gap Report 2022 insgesamt 146 Länder weltweit verglichen und zeigt auf, in welchen Ländern am meisten bzw. am wenigsten Gleichberechtigung zwischen den Geschlechtern herrscht. Die Untersuchung betrachtet die Faktoren „wirtschaftliche Chancen, Bildung, Gesundheit und politische Teilhabe”. Wir zeigen dir die zwölf Länder, die am schlechtesten abgeschnitten haben und in denen Frauen auch im Jahr 2022 leider noch extremer Diskriminierung und Gewalt ausgesetzt sind.
#1 Afghanistan: Unterdrückung durch die Taliban
Die Machtübernahme des Landes durch die Taliban im August 2021 hat in Afghanistan eine humanitäre Krise ausgelöst. Die meisten Kunst-, Kultur- und Freizeitaktivitäten wurden verboten. Die weibliche Bevölkerung musste ihre Arbeit aufgeben. Mädchen dürfen nach dem 12. Lebensjahr nicht mehr zur Schule gehen oder eine weiterführende Ausbildung absolvieren. Frauen haben ihr Recht auf Bildung, Arbeit und Bewegungsfreiheit im öffentlichen Raum komplett verloren und sind zudem mit ihren Familien von Hunger, Armut und wiederholten Naturkatastrophen in Afghanistan bedroht. Damit landet Afghanistan an der traurigen Spitze der Länder, in denen es Frauen am schlechtesten geht.
Wer Frauen und Kindern in Afghanistan helfen will, findet zum Beispiel unter UNWomen Möglichkeiten zu Spenden oder sich zu engagieren.
#2 Pakistan: Säure-Attentate auf heiratsunwillige Frauen
Auf Platz zwei der Liste mit der wenigsten Gleichberechtigung für Frauen ist Pakistan. Diese junge Frau wurde Opfer eines Säure-Attentats, weil sie sich gegen eine arrangierte Ehe gewehrt hatte. Leider ist dies in Pakistan keine Seltenheit. Immer wieder werden Frauen, die heiratsunwillig sind oder sich gegen ungewollte sexuelle Annäherungen zur Wehr setzen, auf diese Weise für den Rest ihres Lebens gezeichnet. Ein kleiner Trost: Immerhin gibt es in Pakistan spezielle Hilfsangebote wie die Depilex Smile Again Foundation, die Opfern hilft, wieder in ein normales Leben zurückzukehren.
Auch in Deutschland werden Frauen Opfer von Säure-Attentaten. Wir haben mit Vanessa Münstermann gesprochen, die über den Angriff ihres Ex-Freundes ein Buch geschrieben hat.
#3 Kongo: Physische und Sexuelle Gewalt gegen Frauen
Seit Jahrzehnten herrschen gewaltsame Unruhen in der Demokratischen Republik Kongo. Insbesondere Frauen leiden unter der brutalen Gewalt und fehlenden sozialen Strukturen. Vergewaltigung, Zwangsheirat, Sexsklaverei und häusliche Gewalt sind Beispiele für diese geschlechtsspezifische Gewalt. Für die vielen Opfer kommt erschwerend hinzu, dass Vergewaltigung in ihrer Gesellschaft mit einem starken Stigma behaftet ist. Die Überlebenden fühlen oft ein tiefes Schamgefühl und beschließen, im Stillen zu leiden, da sie befürchten, von ihren Familien und Gemeinschaften geächtet zu werden, wie die UNO berichtet.
Georgette Ndovya Kavugho wurde im November 2019 von Mitgliedern der islamistischen Gruppe ADF in ihrem Haus angegriffen. Sie schlugen mit Macheten auf sie ein, hinterließen tiefe Schnitte im Fleisch ihrer Arme und ihres Rückens und ließen sie schließlich zum Sterben zurück, während sie ihr Dorf weiter plünderten. Bei dem Angriff verlor sie ihren rechten Arm, und kurz darauf verließ ihr Mann sie mit der Begründung, sie sei nutzlos. Er ließ sie mit 8 Kindern zurück, für die sie sorgen musste.
#4 Iran: Ab 9 Jahren herrscht Kopftuch-Pflicht
Der Iran ist auf dem vierten Platz der Diskriminierungs-Liste gelandet. Während Frauen sich hier vor der islamischen Revolution 1979 noch freizügig im Minirock und ohne Kopfbedeckung in der Öffentlichkeit zeigen konnten, herrscht inzwischen unter dem Mullah-Regime strenge Kopftuchpflicht. Polizist*innen halten Frauen, deren Haare nicht ausreichend bedeckt sind, auf der Straße an. Im schlimmsten Fall drohen Frauen, die sich nicht den strengen Regeln beugen, Peitschenhiebe oder Gefängnisstrafen. Frauen im Iran leiden extrem unter dieser Unterdrückung ihrer Freiheit und der Gewalt gegen sie.
Im September 2022 entfachten im Iran (und weltweit) Proteste gegen die Unterdrückung der Frauen. Auslöser war der Tod von Mahsa/Jina Amini, einer iranischen Frau kurdischer Abstammung. Sie wurde von der iranischen Sittenpolizei festgenommen, weil sie den Hidschāb in der Öffentlichkeit nicht korrekt getragen habe. Nach Angaben der Polizei habe sie einen Herzinfarkt und einen Schlaganfall erlitten. In sozialen Medien wurde jedoch berichtet, dass die Polizisten auf Aminis Kopf eingeprügelt hätten, nachdem sie sich gegen ihre Festnahme gewehrt haben soll. Eine CT-Aufnahme ihres Kopfes zeigte eine Blutung, ein Hirnödem und einen Knochenbruch.
#5 Tschad: Genitalverstümmlung bei Frauen
Die Republik Tschad liegt in Zentralafrika. Der größte Teil der Bewohner arbeitet in der Landwirtschaft, Frauen sind meist Bäuerinnen. Ein großer Teil der Bevölkerung lebt unterhalb der Armutsgrenze. Insbesondere Frauen sind in der Gesellschaft stark benachteiligt. Über 80 Prozent der tschadischen Frauen sind Analphabetinnen. Frauen werden zudem viel häufiger Opfer von Gewalt, darunter auch Genitalverstümmelung. In Tschad sind 38% der Mädchen und Frauen zwischen 15 und 49 Jahre von weiblicher Genitalverstümmelung betroffen. Dabei variiert im multiethnischen Staat Tschad die Häufigkeit und Form von weiblicher Genitalverstümmelung je nach Volksgruppe und Region.
#6 Mali: Zwangsheirat ab 15 Jahren
Mali ist eines der größten Länder Afrikas und zugleich eines der ärmsten Länder weltweit. Auch hier leidet die weibliche Bevölkerung am stärksten. Insbesondere Zwangsehen von Kindern sind hier ein großes Problem. Mali hat eine der höchsten Vorkommen an Frühehen weltweit. Das Durchschnittsalter der Mädchen bei der ersten Eheschließung beträgt 16,5 Jahre. Zudem haben 13% der Mädchen und jungen Frauen noch vor dem 16. Geburtstag ihr erstes Kind zur Welt gebracht. Dies ist auch der Grund dafür, dass die Schule, sofern überhaupt eine besucht wurde, abgebrochen werden muss. So fehlt den Frauen in Mali der Zugang zu Bildung. Ganze 70% der Mädchen unter 18 haben die Schule nicht besucht.
#7 Algerien: Häusliche Gewalt gegen Frauen
Immer wieder gehen, gerade in den Großstädten, Frauen in Algerien auf die Straße, um für ihre Rechte zu demonstrieren. Denn in Algerien besteht keine Gleichberechtigung der Geschlechter, die stark patriarchale Gesellschaft stellt den Mann häufig auch per Gesetz über die Frau. Insbesondere Häusliche Gewalt gegen Frauen ist in Algerien ein großes Problem. Schläge von Ehemännern oder männlichen Verwandten sind weit verbreitet und gelten als gesellschaftlich akzeptierte Form der Disziplinierung. Die Seite femicides-dz zählte allein 2021 55 Femizide in Algerien, die Dunkelziffer dürfte noch höher liegen.
#8 Oman: Gleichstellung mit Lücken
Das Sultanat Oman gilt mittlerweile als eines der modernsten Länder auf der arabischen Halbinsel, wenn es um die Stellung von Frauen geht. So hat sich hier in den vergangenen Jahren viel getan. Eine Kopftuchpflicht gibt es nicht, eine Schulpflicht für Mädchen hingegen schon. Dies führte bereits dazu, dass an den Hochschulen teils mehr Frauen als Männer studieren. Das Land wird auch bei Touristen aus aller Welt immer beliebter. Dennoch liegt der Oman im Global Gender Gap Report auf einem der hinteren Plätze. Gerade im privaten Bereich sind Frauen oft noch in den gesellschaftlichen und kulturellen Zwängen einer muslimischen, patriarchalischen Kultur gefangen, werden von Männern bevormundet und haben weniger Rechte als es offiziell scheint. Vielleicht liegt die schlechte Platzierung auch daran, dass viele Daten, die der Report zum Vergleich heranzieht, aus dem Oman fehlen. So beklagt zum Beispiel UN Women, dass es zum Beispiel bezüglich des Gender Pay Gaps und auch bezüglich der Gewalt gegen Frauen zu wenige Vergleichsdaten aus dem Oman gibt.
#9 Benin: Polygamie belastet viele Frauen
Das französischsprachige Land Benin liegt in Westafrika. Das Land gilt als Wiege der „Voodoo“-Religion und zählt zu den ärmsten Ländern der Welt. Etwa 40% der Bevölkerung lebt unterhalb der Armutsgrenze. Der Bildungsstand ist niedrig, insbesondere bei den Frauen, von denen viele nie eine Schule besuchen. Die Aufgaben der Frauen von Benin liegen zu Hause, sie müssen sich um die Hausarbeit und die Kinder kümmern. Und zwar nicht nur um die eigenen. Wie in vielen afrikanischen Ländern ist Polygamie in Benin insbesondere auf den Dörfern weit verbreitet. Männer habe hier für gewöhnlich mehrere Ehefrauen. Auch wenn dies per Gesetz seit 2004 nicht mehr gestattet ist, leben viele nach wie vor in diesen traditionellen Strukturen. Ein einzelner Mann kann jedoch häufig solch eine große Familie gar nicht unterhalten. Oft arbeiten die Frauen (zusätzlich zu ihrer Care-Arbeit) auf dem Feld oder verkaufen auf dem Markt, um die Familie zu ernähren.
#10 Katar: Frauen unter männlicher Vormundschaft
Katar wird den meisten inzwischen ein Begriff sein, denn das arabische Land trägt 2022 die Fußballweltmeisterschaft aus. Eine Entscheidung, die weltweit auf viel Gegenwind stieß. Denn sowohl aus klimapolitischer, als auch aus menschenrechtlicher Sicht, ist diese WM höchst umstritten. Kritisiert wird hier vor allem die Ausbeutung der ausländischen Arbeiter (meist aus Asien und Afrika) und fehlende Gesetze zum Arbeitsschutz. Ein Problem, dass nicht erst seit der WM besteht und auch die anderen arabischen Golfstaaten gleichermaßen betrifft.
Auch die Stellung der Frau in diesen Ländern wird international stark kritisiert. So erklärt zum Beispiel Human Rights Watch: „Das diskriminierende System der männlichen Vormundschaft in Katar verwehrt Frauen das Recht, zahlreiche wichtige Entscheidungen über ihr Leben zu treffen.” So fanden sie in Gesprächen mit den Frauen in Katar heraus, dass diese die Erlaubnis ihres männlichen Vormunds einholen müssen, um zu heiraten, mit staatlichen Stipendien im Ausland zu studieren, in öffentlichen Jobs zu arbeiten oder ins Ausland zu reisen. Das diskriminierende System verweigert Frauen sogar das Recht, als primärer Vormund ihrer Kinder zu handeln, selbst wenn sie geschieden sind und offiziell das Sorgerecht für die Kinder haben. Gleichstellung sieht definitiv anders aus.
#11 Marokko: Stagnierende Entwicklung
In Marokko stagniert die Entwicklung hin zur Gleichberechtigung wie in vielen anderen muslimischen Ländern leider seit Jahren. Gleichheit der Geschlechter herrscht hier wenn überhaupt nur auf dem Papier – und selbst dort nicht in allen Bereichen. So ist es zum Beispiel im marokkanischen Erbrecht (wie in vielen anderen muslimischen Ländern auch) so geregelt, dass Frauen stets nur die Hälfte von dem erben, was männliche Erben erhalten. Nur ein Beispiel, was die Ungleichheit der Behandlung von Frau und Mann in der marokkanischen Gesellschaft zeigt. Auch im Bereich Bildung und Arbeit gibt es große Unterschiede, besonders zwischen Stadt und Land. Gerade im ländlichen Raum besuchen viele Kinder nicht die Schule, Mädchen noch seltener als Jungen, denn Bildung für Frauen wird in der Gesellschaft als nicht so wichtig angesehen. Dies zeigt sich auch auf dem Arbeitsmarkt: Laut Statistischem Bundesamt sind nur 19% der Frauen über 15 Jahren in Marokko erwerbstätig, bei den Männern sind es hingegen 59%.
#12 Indien: Mädchen unerwünscht
In Indien fängt die Diskriminierung von Frauen schon bei der Geburt an: Für viele Familien gilt es als großes Unglück, wenn kein Sohn, sondern eine Tochter geboren wird. Eine Betroffene ist die selbsterlernte Köchin Ashma Khan, die in der der Netflix-Doku Chef’s Table vpn 2019 ergreifend erzählt, was diese frauenfeindliche Haltung in der indischen Gesellschaft mit ihr gemacht hat. Die patriarchalen Machtstrukturen sind in Indien auch 2022 noch lange nicht abgeschafft. Frauen haben in Indien eine schlechtere Bildung, werden häufig früh verheiratet und lediglich 25 Prozent der Frauen sind erwerbstätig.
Weitere unglaubliche Verbote für Frauen
Es gibt noch viele weitere Länder, in denen eine unfassbare Ungerechtigkeit für Frauen in der Gesellschaft vorherrscht. Und man kann kaum glauben, dass diese Gesetze tatsächlich heute noch gelten! Erst 2017 wurde in Turkmenistan Frauen das Autofahren per Gesetz verboten. Fahren Frauen dennoch, wird sowohl ihr Führerschein als auch ihr Auto konfisziert.
Ebenso unglaublich: Im streng islamischen Jemen gilt kein gesetzliches Mindestalter für Eheschließungen, sodass bereits Sechsjährige mit erwachsenen Männern verheiratet und zu sexuellen Handlungen gezwungen werden können. Kinderehen sind hier leider auch im Jahr 2022 nach wie vor trauriger Alltag.
Übrigens: Einige Länder fehlen im Global Gender Gap Report 2022, da hier nicht genug Daten aus den Ländern vorhanden sind. So fehlen im Index zum Beispiel Russland, Syrien, Irak oder auch Jemen.
In welchen Ländern herrscht am meisten Gleichberechtigung?
Laut Weltwirtschaftsforum hat kein einziges Land bisher eine komplette Gleichberechtigung der Geschlechter erreicht. Mit einem Score von 90.8% ist Island der Spitzenreiter aller Länder, gefolgt von Finnland (86%) und Norwegen (84,5%). Deutschland belegt immerhin noch Platz 10 mit 80%. Zum Vergleich: Schlusslicht Afghanistan hat einen Gender Parity Gap Score von 43,5%.
So kommt die Untersuchung zu dem Schluss, dass es nach aktuellem Stand noch 132 Jahre dauern wird, bis die Ungleichheit zwischen den Geschlechtern weltweit geschlossen wird. Unvorhersehbare Ereignisse wie Kriege, Hungersnöte und Naturkatastrophen können die Entwicklung jedoch stark beeinflussen, wie die Vergangenheit oft genug gezeigt hat.
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