Der Klimawandel sorgt für immer mehr Umweltkatastrophen, Plastik verstopft unsere Meere und immer mehr Tierarten sterben aus. Klar, dass ein möglichst nachhaltiger Lebensstil mittlerweile vielen Menschen wichtig ist. Doch wie lebt man richtig „nachhaltig“? Darüber gibt es viele Annahmen – leider auch viele falsche. Mit ein paar davon wollen wir heute aufräumen.
#1 Wo nachhaltig draufsteht ist auch nachhaltig drin
Zunächst mal eines vorweg: „Nachhaltig“ ist kein geschützter Begriff. Dementsprechend können Unternehmen, aber auch Politiker*innen uns quasi alles als nachhaltig verkaufen. Im Marketing spricht man dann von sogenanntem „Greenwashing“. Weil man weiß, dass Nachhaltigkeit bei den Kund*innen gut ankommt, wird schon der kleinste Schritt in die richtige Richtung als große Innovation verkauft.
#2 Papiertüte statt Plastiktüte
Als Umweltsünder Nummer 1 muss gerne die Plastiktüte herhalten. Kostenlos bei jedem Einkauf gibt es sie deshalb schon lange nicht mehr. Stattdessen können wir an den Supermarktkassen jetzt Papiertüten kaufen und damit unser Gewissen beruhigen. Allerdings sehen die nur umweltfreundlicher aus, als Plastiktüten, sind es aber nicht unbedingt. Das liegt vor allem an der Herstellung. Laut Nabu werden die wenigsten wirklich aus Altpapier hergestellt. Stattdessen benötigt man robuste Frischfasern und davon ziemlich viele, um die Reißfestigkeit einer Plastiktüte zu erreichen. Hinzukommt, dass bei der Papierproduktion sehr viel Wasser und Energie verbraucht werden. Der einzige Vorteil der Papiertüte gegenüber der Plastiktüte ist also, dass sie schneller biologisch abbaubar ist, in allen anderen Belangen ist sie ebenfalls eine Umweltkatastrophe.
Zum Einkaufen also am besten immer eine eigene Tüte mitbringen. Hat man das mal vergessen, ist es jedoch tatsächlich sinnvoller, an der Kasse zur Plastik- als zur Baumwolltüte zu greifen, denn diese lohnt sich aus ökologischer Sicht nur, wenn sie auch wirklich oft gebraucht wird. Wer schon zehn Beutel zuhause hat, sollte deshalb nicht noch den elften, der nie genutzt wird mitnehmen. Stattdessen lieber eine Plastiktüte, die dann als Müllbeutel wiederverwendet wird.
#3 Avocados sind schlechter für die Umwelt als Fleisch
Veganer werden oft als Moralapostel empfunden, die sich selbst für etwas Besseres halten. Wie schön wäre es da, wenn sie doch mal einen Fehler machen und ihr Verhalten eigentlich viel schlechter wäre, als das der meisten Fleischesser. Gerne wird da die Avocado herangezogen, das vermeintliche Grundnahrungsmittel aller Veganer. Angeblich ist sie viel schlechter für die Umwelt als Fleisch, weil für den Anbau viel Wasser verbraucht wird und dann auch noch der Transport aus warmen Ländern dazu kommt. Leider hinkt der Vergleich ein wenig, denn sowohl Rind- und Schweinefleisch haben einen höheren Wasserverbrauch pro Kilogramm als Avocados und auch der Transportweg reicht nicht aus, um die CO2-Bilanz der Frucht schlechter als die der meisten Fleischprodukte zu machen.
Welche Lebensmittel die beste und schlechteste CO2-Bilanz haben, zeigen wir dir hier.
#4 Eigene Kaffeebecher retten die Welt
Ein ähnliches Dilemma wie mit Plastiktüten gibt es mit Coffee-to-go-Bechern. Die Einweg-Becher, die wir in Cafés bekommen, sind wenig umweltfreundlich: Der Mix aus Pappe und Kunststoff ist kaum recycelbar und landet nach nur einer Anwendung im Müll. Laut deutscher Umwelthilfe landen alleine in Deutschland 320.000 Becher pro Stunde in der Tonne (die Zahlen stammen allerdings aus Prä-Corona-Zeiten, die Pandemie könnte den Konsum etwas gestoppt haben). Die Lösung: Mehrweg-Becher, in die wir uns unseren eigenen Kaffee füllen oder die wir mit ins Café nehmen und uns dort auffüllen lassen. Doch auch die lohnen sich, ähnlich wie Baumwolltüten, nur bei regelmäßiger Nutzung. Wer sich also nur ab und an mal einen Kaffee zum Mitnehmen holt, braucht nicht unbedingt einen Mehrwegbecher. Laut Stiftung Warentest lohnen die sich aus ökologischer Sicht etwa ab der 50. Anwendung. Wer also nur einen Becher hat und diesen über Jahre nutzt, dürfte damit gut wegkommen. Wenn hübsche Kaffeebecher jedoch zum Sammelobjekt werden, ist das auch nicht sonderlich nachhaltig.
#5 Recycelbar und recycelt ist dasselbe
Ein besonders mieser Fall des Greenwashings, der immer häufiger auftritt, ist das Wort „recycelbar“. Unternehmen brüsten sich damit, wie nachhaltig sie sind, weil sie ihre Produkte in recycelbaren Plastik-Verpackungen verkaufen – nur ist Plastik in den meisten Fällen ohnehin recycelbar, dabei handelt es sich also keinen Falls um eine Innovation. Die Frage ist nur, ob das Plastik auch tatsächlich recycelt wird. In Deutschland sind das laut offiziellen Quellen etwa 47 Prozent bei gewerblichen Abfällen und nur 33 Prozent beim Kunststoffabfall aus privaten Haushalten.
Dass eine Verpackung recycelbar ist, heißt also nicht zwangsläufig, dass sie auch recycelt wird. Doch das Wort wird natürlich bewusst genutzt, um uns in die Irre zu führen, denn gerne denken wir, dass es sich dabei um bereits recyceltes Plastik handelt. Doch das wird bisher tatsächlich bei den wenigsten Verpackungen eingesetzt.
#6 Für Sojaprodukte wird der Regenwald abgeholzt
Einen ähnlich schlechten Ruf wie die Avocado hat auch Soja. Wer beim Grillen schon mal zur Tofu- statt zur „echten“ Bratwurst gegriffen hat, durfte sich sicherlich mindestens einmal diesen Satz anhören: „Du weißt aber schon, dass für Soja, der Regenwald abgeholzt wird.“ Absolut richtig! Nur handelt es sich hierbei nicht um das Soja, das am Ende zu Milch- oder Fleischersatzprodukten weiterverarbeitet wird, sondern um Soja, das als industrielles Futtermittel genutzt wird. Die Sojaprodukte, die wir Menschen verzehren stammen hauptsächlich aus europäischem und kanadischem Anbau, hierfür wird zudem deutlich weniger Soja gebraucht, als für die Herstellung von Futtermitteln, für die Soja in Brasilien, den USA und Argentinien angebaut wird. Die Sojaproduktion in diesen Ländern steigt vor allem deshalb, weil die weltweite Nachfrage nach Fleisch immer weiter steigt.
#7 Fair Fashion und nachhaltige Mode sind dasselbe
Auch die Modeindustrie ist ein großer Klimasünder. Was genau hier alles verkehrt läuft, erklären wir hier. Doch die katastrophale Umweltbilanz ist nicht das einzige Problem der Modebranche. Auch die schlechten Arbeitsbedingungen in Dritte Weltländern sorgen immer wieder für einen Aufschrei. Deshalb wird auch die Nachfrage nach Fair Fashion und nachhaltiger Mode immer größer. Doch diese Begriffe können nicht unbedingt synonym verwendet werden. Während Fast Fashion Brands wie H&M und Zara immer häufiger zumindest zum Teil nachhaltige Kollektionen rausbringen, heißt das nicht zwangsläufig, dass die daran beteiligten Arbeiter*innen besser entlohnt und behandelt werden. Gleichzeitig setzen Unternehmen wie etwa das Label Oh April der Influencerin Carmushka zwar auf faire Produktion in Portugal, nachhaltige Materialien wie Biobaumwolle oder recyceltes Polyester werden trotzdem nur selten verwendet.
#8 „Nachhaltig“ einkaufen macht den größten Unterschied
Es ist unbestreitbar. Wir konsumieren in Deutschland viel zu viel. Dementsprechend ist es sinnvoll, die eigenen Gewohnheiten zu hinterfragen. Den größten Unterschied kann man dabei jedoch nicht durch das was man kauft erzielen, sondern vor allem durch eine insgesamte Reduktion des Konsums. Klar, Mode von nachhaltigen Marken und aus Secondhandläden und plastikfreie Alternativen im Bad sind gut und jeder kleine Schritt zählt, trotzdem ist es eine Fehleinschätzung, dass wir damit den größten Beitrag leisten könnten.
Die größten Einflussfaktoren, die jede*r Einzelne in der Hand hat, liegen hingegen beim Wohnen, beim Energieverbrauch, der Fortbewegung und der Ernährung. Sprich: Den größten Beitrag leisten wir, wenn wir auf Ökostrom und -gas umstellen und insgesamt weniger heizen, Energie verbrauchen und mit dem Auto fahren. Und auch ab und an auf Fleisch und tierische Produkte zu verzichten, hat auf den individuellen CO2-Fußabdruck einen Einfluss. Allerdings sind die Emissionen, die durch Privatpersonen entstehen nichts im Vergleich zu den Treibhausgasen, die in der Industrie freigesetzt werden. Die Klimakrise kann deshalb nicht allein dadurch gelöst werden, dass Privatpersonen verzichten oder „besser“ einkaufen.
#9 E-Autos sind auch nicht besser für die Umwelt
Und ja, auch der Umstieg auf ein E-Auto kann einen Unterschied machen. Gerne wird behauptet, dass E-Autos solange wir noch auf fossile Energien in der Stromversorgung setzen, ohnehin nicht umweltfreundlicher sind als Verbrenner. Fakt ist, dass mehr erneuerbare Energien die Ökobilanz der E-Autos während der Fahrt zwar deutlich verbessern würden, besser als Benziner schneiden sie jedoch schon heute ab. Insgesamt attestieren verschiedene Vergleiche und Studien E-Autos bereits eine bessere Ökobilanz. Zwar bleiben noch einige Probleme bestehen, etwa der hohe Energieverbrauch bei der Herstellung von Batterien oder die Nutzung seltener Rohstoffe. Doch trotz dieser Faktoren schneidet die Elektromobilität oft besser ab.
#10 Was wir in Deutschland machen, ist weltweit doch eh egal
Im Vergleich zu Ländern wie China, den USA oder Indien stößt Deutschland wenige Treibhausgase aus. Gerade mal etwa 2 Prozent der weltweiten Emissionen verantworten wir hierzulande. Für viele bedeutet das im Unterschied: Was wir machen, ist doch letztendlich egal, solange sich in China nichts ändert. Immerhin ist die Volksrepublik alleine für fast ein drittel der Emissionen verantwortlich. Doch ganz so einfach ist es nicht. Schaut man sich die Pro-Kopf-Emissionen an, liegt Deutschland zwar weit hinter Ländern wie den USA und Australien, dafür jedoch noch vor China und weit vor Indien. Und im Endeffekt muss sich in allen Industrieländern etwas tun, wenn wir das 1,5- oder zumindest das 2-Grad-Ziel erreichen wollen. Hierbei geht es auch darum, neue Technologien und Konzepte zu entwickeln, die mitunter weltweit zum Einsatz kommen könnten.