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oft übersehen bei Frauen

Psychiaterin im Interview: „ADHS ist eine besondere Art, die Welt zu sehen“

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Die Aufmerksamkeitsdefizit-Hyperaktivitätsstörung (ADHS) wird oft als Kinderkrankheit betrachtet und in Verbindung mit zappeligen Jungs gebracht. Doch auch Frauen im Erwachsenenalter können genauso von ADHS betroffen sein – ihre Symptome werden allerdings oft übersehen oder falsch interpretiert. Die Vorsitzende des Berufsverbandes Deutscher Psychiater (BVDP), Dr. Christa Roth-Sackenheim, erklärt im desired-Interview, welche Symptome auf eine Erkrankung hindeuten können, welche Behandlungsmöglichkeiten es gibt und wieso Frauen häufig eine Fehldiagnose erhalten.

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Während bei Männern die klassischen ADHS-Symptome wie Unaufmerksamkeit und Hyperaktivität häufiger auftreten, ist das bei Frauen etwas schwieriger. Bei ihnen äußert sich ADHS oft in Form von Nervosität, Unruhe, übermäßiger Besorgnis und Vergesslichkeit. Man ist – zugespitzt formuliert – einfach die „Chaos-Queen“, das Träumerchen oder eben etwas sensibler als andere Frauen. Da die Symptome subtiler sind, werden sie bei Frauen oft nicht als ADHS erkannt und führen zu einer unterdiagnostizierten Erkrankung bei Frauen. Dadurch können Frauen mit ADHS nicht die Unterstützung bekommen, die sie brauchen, um erfolgreich mit ihrer Störung umzugehen. Oder endlich eine Antwort auf ihr Gefühl des Andersseins bekommen. Wir haben daher bei einer Expertin nachgefragt, um die oft übersehene Erkrankung aus ihrem Schattendasein zu holen.

Desired: Frau Roth-Sackenheim, zunächst einmal die Frage: Was ist ADHS eigentlich genau?

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Roth-Sackenheim: ADHS bewirkt durch eine genetisch bedingte Besonderheit den Dopamintransport im Gehirn. Die Folge sind Besonderheiten der Wahrnehmung, der Konzentration, der Motorik und des Denkens und Fühlens.

Welchen Unterschied gibt es zu ADS?

Bei der ADS fehlt in der Symptomkonstellation die Besonderheit der Motorik, also die Wahrnehmungs- und Denkstörungen sind da, die Hyperaktivität aber nicht.

Wie viele erwachsene Frauen in Deutschland sind mit ADHS diagnostiziert?

Dazu gibt es meines Wissens keine genauen Zahlen. Man kann es sich etwas ableiten: Fünf bis sieben Prozent der Kinder haben eine ADHS Diagnose, bei 2/3 davon persistieren die Symptome im Erwachsenenalter. In der Kindheit wird ADHS bei Jungen drei- bis viermal häufiger diagnostiziert als bei Mädchen. Im Erwachsenenalter ist die Verhältnis eher 2:1.

Wie stellen Sie die Diagnose ADHS? Gibt es eindeutige Erkennungssymptome?

Meistens ergibt sich der Verdacht schon bei der Anamnese. Unterstützt wird die Diagnose durch verschiedene Psycho-Tests, die noch einmal strukturiert die Symptome abfragen.

In unserem desired-Podcast haben wir mit der 27-jährigen Linda über ihre ADHS-Erkrankung gesprochen. Sie erzählt von ihrem steinigen Weg seit Kindesjahren und, dass sie sich lange auf sich alleingestellt fühlte. Wie sie dagegen aktiv geworden ist und ihre Störung meistert, könnt ihr hier im Podcast hören.

Ist eine Erkrankung rein genetisch bedingt, oder kann sie beispielsweise auch durch psychosoziale Faktoren in der Kindheit beeinflusst werden?

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Genetische Faktoren spielen auf jeden Fall eine Rolle, aber natürlich auch immer psychosoziale Faktoren, wie zum Beispiel die Unterstützung durch Familie und Schule oder zusätzliche traumatische Erfahrungen.

Vergesslichkeit und wenig Konzentration? Wie sieht der typische Symptomkomplex von ADHSlern aus?

Die ADHS ist eine Erkrankung mit einem Spektrum von wenigen Symptomen bis zum Vollbild und gegebenenfalls mit Komorbiditäten [Begleiterkrankungen] wie Depression, Angst- oder Schlafstörungen. Man kommt der Sache auf die Spur, wenn zum Beispiel eine sehr zerhackte Berufsbiographie, Schwierigkeiten mit bestimmten Aufgaben oder Anforderungen im sozialen Leben wie Pünktlichkeit vorliegen.

Die Konzentration kann bei Menschen mit ADHS bei Dingen, die sie gerne machen, sogar über eine lange Zeit sehr hoch sein. Vergesslichkeit würde ich nicht sagen, eher die zentralen Symptome sind eher eine Zerstreutheit und leichte Ablenkbarkeit.

In der Kindheit fallen die Mädchen oft nicht durch Hyperaktivität oder schwere soziale Störungen auf. Das ist eher bei Jungen der Fall.
Dr. Roth-Sackenheim

Was triggert Menschen mit ADHS?

Das kann bei jedem Menschen mit ADHS unterschiedlich sein. Bei Frauen kann das zum Beispiel das Multitasking bei einer Doppelrolle in Beruf und Familie sein. Komplexe Aufgaben können oft deshalb nicht gelöst werden, weil eine Hierarchisierung der Lösungsschritte nicht gelingt.

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Wie können ADHSler am besten zur Ruhe kommen?

Das ist ebenfalls sehr unterschiedlich. Interessanterweise wirken koffeinhaltige Getränke oft beruhigend. Manche kommen erst zur Ruhe, wenn sie vor Erschöpfung umfallen. In der Therapie versucht man herauszufinden, was in der individuellen Situation am besten klappt. Das kann Boxen sein, Essen oder Pilates.

Aus Erfahrungsberichten und auch unserem Podcast mit einer ADHSlerin lässt sich erkennen, dass ADHS bei Frauen meist erst spät erkannt wird und oft Depressionen oder Borderline diagnostiziert wird. Warum ist es so schwierig, ADHS bei Frauen zu erkennen?

Das ist auch meine Erfahrung. In der Kindheit fallen die Mädchen oft nicht durch Hyperaktivität oder schwere soziale Störungen auf, das ist eher bei Jungen der Fall. Oft sind die schulischen Leistungen auch gut. Es wird einfach noch immer zu wenig im Erwachsenenalter grundsätzlich dran gedacht. Frauen kommen oft erst wegen der Komorbiditäten, meist Depressionen, Angst- oder Suchterkrankungen in Behandlung. In der Untersuchung muss man dann gezielt nach dem Symptommuster fragen, also man muss wissen wonach man sucht.

Auf der anderen Seite: Ist ADHS eine Modediagnose, die oft vorschnell gestellt wird?

Das kann vielleicht passieren, wenn ein Kind nur einmal vorgestellt wird. Ich würde die Diagnose in Zweifelsfällen erst nach drei bis sechs Monaten beobachten, also wenn ein Längsschnitt zu beurteilen ist, stellen.

Welche Therapien empfehlen Sie?

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Bei schwerem ADHS im Erwachsenenalter, wenn die Partnerschaft oder der Beruf in Gefahr ist, schlage ich immer ein Medikament vor. Es lohnt sich meines Erachtens immer, einen Versuch zu machen. Oft sagen die Leute dann: So sehr in mir zu Hause war ich noch nie.

Es gehört immer eine Psychoedukation dazu, also Informationen über die Erkrankungen zu geben und zu schauen: Welche Symptome habe ich in welchen Situationen und was macht das mit mir? Gegebenenfalls kann ein Grad der Behinderung beantragt werden, was zu einem besseren Kündigungsschutz führt.

ADHS ist eine besondere Art, die Welt zu sehen – nicht immer nur eine Krankheit oder Belastung.
Dr. Roth-Sackenheim

Welche Medikamente empfehlen Sie?

Standard ist hier immer das Methylphenidat (MPH), wie zum Beispiel Medikinet adult, Ritalin adult. Wenn diese nicht in Frage kommen oder nicht wirksam sind, gibt es inzwischen weitere Alternativen wie zum Beispiel Elvanse. Zudem sollte man die Komorbiditäten behandeln, insbesondere Depressionen, Angststörungen, wenn diese nach der Gabe von MPH noch weiter persistieren [bestehenbleiben; Anm. d. Red.].

Empfinden Sie eine psychologische Therapie als sinnvoll?

Das kommt darauf an. Die klassische Psychoanalyse zum Beispiel wird eher nicht hilfreich sein. Ein Mensch mit ADHS profitiert aber durchaus von Verhaltenstherapie, aber oft erst dann, wenn medikamentös eine gewisse Stabilität eingetreten ist. Eine unbehandelte ADHS führt oft dazu, dass man nicht aus Fehlern lernen kann und sich dadurch auch nicht weiterentwickelt. Psychosoziale Unterstützung oder vielleicht eine Selbsthilfegruppe sind ebenfalls sinnvoll.

Wie stehen Sie der Alternativmedizin oder auch Microdosing (mit Pilzen beispielsweise) gegenüber, um ADHS in den „Griff zu bekommen“?

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Diesem stehe ich sehr skeptisch gegenüber. Ein weiteres Erfahrungswissen ist, dass ADHS-Menschen berichten, dass ihnen Cannabis hilft. Wir finden bei dieser Personengruppe aber oft ein verstärktes Nutzerverhalten von Cannabis oder Amphetaminen.

Gibt es etwas, das Ihnen besonders am Herzen liegt beim Thema ADHS?

ADHS ist eine besondere Art, die Welt zu sehen – nicht immer nur eine Krankheit oder Belastung. Es kann aber dazu kommen, dann ist es eine Erkrankung wie jede andere, für die man sich nicht schämen muss und die genauso Behandlung verdient wie jede andere Krankheit auch.

Was würden Sie ADHS-Betroffenen mit auf den Weg geben wollen?

Glauben Sie an sich, sorgen Sie gut für sich, nehmen Sie Behandlung an und vernetzen Sie sich mit Gleichgesinnten.

Weitere Informationen des Berufsverbands Deutscher Psychiater findest du hier. Hilfestellungen rund um das Thema ADHS liefert zudem auch der Verein „ADHS Deutschland“ sowie der Instagram-Kanal „ADHSbeiFrauen“.

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Bildquelle: Unsplash/Serhat Beyazkaya

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