Wir trennen uns im Laufe unseres Lebens von vielen Dingen – Klamotten, Städte, Jobs, Beziehungen, Träume. In einigen Fällen kann das verdammt hart sein. Und das, obwohl wir mit der Situation – und ja, jetzt spreche ich mal gezielt über Beziehungen – vielleicht gar nicht mehr glücklich sind. Aber warum ist das so? Was macht Loslassen so verdammt schwer? Ich habe mich mal auf die Suche nach Antworten begeben – und dabei nicht nur das Netz durchforstet und mit einem Experten gesprochen, sondern vor allem auch mal ganz tief in mich selbst hineingehorcht.
Ich glaube, ich habe noch nie so viel auf einmal loslassen müssen wie in den vergangenen 12 Monaten. Einen Job, eine Beziehung – und am Ende aber wohl vor allem die Vorstellung, die ich von mir und meinem Leben zu diesem Zeitpunkt hatte. Denn wenn man eigentlich nicht neu beginnen will und direkt zwei gewohnte Säulen wegbrechen, kann einen das ganz schön unverhofft treffen. Wobei das an dieser Stelle vor allem auf meine letzte Beziehung zutrifft. Denn während es beruflich gesehen einfach Zeit für neue Wege wurde, wollte mein Gehirn das auf privater Ebene lange Zeit nicht wahrhaben. Dabei war ich schon eine ganze Weile nicht mehr so richtig glücklich. Doch statt loszulassen, habe ich mich an irgendwelche Hoffnungen geklammert, von denen ich eigentlich schon genau wusste, dass sie sich nicht erfüllen werden. Aber so ist das eben mit Hoffnungen, oder? Sie bringen uns dazu, nicht einfach so aufzugeben und dranzubleiben ... was ja eigentlich eine schöne Sache ist, nur manchmal eben auch verhindert, dass wir handeln, obwohl genau das nötig wäre.
Aber gut, selbst als ich es geschafft habe, den bekannten Schlussstrich zu ziehen, hörte das Nicht-Loslassen-Wollen ja nicht einfach auf. Denn da sind ja noch all die (schönen) Erinnerungen und Gedanken, die dich am laufenden Band zurückholen – und es eigentlich fast unmöglich machen, richtig loszulassen. Und durch die du fast kurz wieder vergisst, dass es ja berechtigte Gründe für eine Trennung gab. Und es ist fast schon lächerlich, wie sehr dich ein bestimmtes Auto, ein Pulli oder (oh, mein Gott) ein einzelner Song emotional wieder zehn Schritte zurückwerfen kann. Jede Person, die schon mal eine schmerzhafte Trennung durchgemacht hat, kennt das sicher. Und trotzdem bleibt die Frage:
Warum fällt uns Loslassen so schwer?
Vor allem auch dann, wenn wir doch eigentlich wissen, dass es so besser für uns ist? Diese Frage musste ich Eric Hegmann, Paartherapeut und Autor (sein neues Buch „Erzähl mir mehr!“ ist seit kurzem raus) direkt als allererstes stellen. Und nun ja, die kurzgefasste Antwort: Wir sind Menschen – und Festhalten liegt in unserer Natur.
Festhalten „ist tief in uns verdrahtet“
„Loslassen, Trennungen und Verlusterfahrungen gehören zu den schmerzhaftesten Erfahrungen. Je nach Prägung und erlerntem Bindungsverhalten fällt das schwer bis sehr schwer. Bereits als Babys lernen wir, dass wir auf Bindung und Unterstützung angewiesen sind. Es ist tief in uns verdrahtet, dass wir soziale Geschöpfe sind“, erklärt mir Hegmann, der übrigens auch in der ARD-Serie „Die Paartherapie“ zu sehen ist, im desired-Interview.
Um das Ganze vielleicht nochmal etwas näher auszuführen: Säuglinge haben einen sogenannten Klammerreflex, auch Moro-Reflex genannt. Wenn dieser ausgelöst wird (zum Beispiel durch ein lautes Geräusch oder eine abrupte Bewegung in der Umgebung), reagiert der Säugling, indem er ruckartig die Arme zur Seite streckt und die Finger spreizt – so, als ob er sich an etwas festhalten möchte. Danach zieht er die Arme wieder zusammen, als würde er sich umarmen. Dieser Klammerreflex ist ein Zeichen für ein gesundes Nervensystem und eine normale neurologische Entwicklung. Sein Vorhandensein und Verschwinden zur richtigen Zeit (meistens bis zum 6. Monat) ist ein wichtiger Indikator für die neurologische Gesundheit eines Säuglings.
So, und etwas von diesem Klammerreflex scheint wohl weiterhin irgendwie in uns verfestigt zu sein, wenn es um Beziehungen geht. Auch hier klammern wir uns nämlich gerne mal fest, weil uns das Sicherheit gibt.
Dein Bindungsverhalten verrät mehr, als du denkst
Und apropos Sicherheit. Eric Hegmann hat ja bereits angedeutet, dass der Umgang mit dem Loslassen stark von unserem Bindungsverhalten beeinflusst wird, welches sich bereits in der frühen Kindheit entwickelt. Wenn Bezugspersonen zum Beispiel emotional unzuverlässig, abweisend oder nicht verfügbar sind, lernen Kinder, ihre Bedürfnisse nach Nähe zu unterdrücken oder übermäßig einzufordern. Eine sichere Bindung entsteht hingegen, wenn Eltern feinfühlig und konsistent auf die Bedürfnisse ihrer Kinder eingehen. Dieses Verhalten kann letztlich großen Einfluss auf das Beziehungsmuster im späten Leben haben – auch wenn sich dieses durch neue Erfahrungen noch verändern kann. „Mit einer sicheren Bindungshaltung ist dir bewusst, dass Trennungen und Loslassen dazugehören. Das macht es etwas einfacher, aber leicht ist es nie“, so Hegmann im Interview.
Im Gegensatz dazu würde es Personen mit einem unsicheren Bindungsverhalten oft schwerer fallen, loszulassen, wie mir der Experte weiter erklärt. Hier gibt es übrigens unterschiedliche Typen: den ängstlichen, den vermeidenden und den desorganisierten Bindungsstil. Ängstlich-unsichere Menschen haben zum Beispiel oft intensive Angst vor dem Verlassenwerden und klammern sich deshalb an Beziehungen fest.
Ich bin nun natürlich keine Expertin, aber wenn ich meine Kindheit und mich da so reflektiere, kann ich definitiv sagen, dass ich unglaublich behütet und sicher aufgewachsen bin – ohne dabei aber erstickt zu werden. Und das ist auch gar nicht mal so unwichtig, wie ich in einem Text auf Spektrum gelesen habe. Dort sagt der Psychiater Karl Heinz Brisch nämlich, dass Kinder ein natürliches Bedürfnis haben, „sich zu binden, aber auch, die Welt zu erkunden“. Kinder müssen also alleine „losziehen“ können, jedoch in dem Wissen, dass zu Hause immer ein sicherer Hafen auf sie wartet. Als Erwachsene können sich diese Menschen dann meistens ebenfalls gut an andere Menschen binden, aber eben auch lösen.
Und ja, ich würde schon sagen, dass das auf mich zutrifft (immerhin habe ich mich irgendwann von meinem Ex gelöst – wenn auch etwas zu spät) ... und trotzdem ist mir das Loslassen nach der Trennung nicht leicht gefallen. Obwohl ich, wie gesagt, eigentlich genau wusste, dass es so richtig ist. Und ein Grund dafür dürfte sicherlich auch Social Media gewesen sein ...
Die Macht von Social Media
Denn wie soll man bitte loslassen, wenn einem am laufenden Band hübsche Insta-Storys oder Feed-Postings vom Ex entgegen geschwemmt werden? Da ist mit einem Blick ja wieder alles aktiviert. Max Richard Leßmann (ich liebe ihn so sehr) schreibt in einem seiner Gedichte auch: „Manchmal braucht man Jahre, um sich nur kurz zu erholen. Menschen bleiben lang im Blut. Viel länger als andere Drogen.“ Und das stimmt halt echt. Und sobald einem diese Drogen wieder vor die Nase gehalten werden, ist es ja eigentlich nur menschlich, dass die Chance besteht, wieder rückfällig zu werden. Erst recht, wenn man währenddessen vielleicht auch noch „einsam“ auf dem Sofa sitzt und sich eigentlich nichts mehr wünscht als Nähe.
Auch Eric Hegmann betont den Struggle, den Social Media heutzutage so mit sich bringt: „Eine Trennung fühlt sich an wie ein Entzug und tatsächlich erlebt man auch Entzugserscheinungen. Wenn du dir dabei nun ständig Bilder und Situationen ins Gedächtnis zurückholst, macht es den Loslassen-Prozess schmerzhafter. Du würdest ja auch nicht einen Alkoholentzug in einem Weinkeller durchmachen wollen.“ Ne, ganz sicher nicht. Doch wie bekommt man einen anderen Menschen also wieder aus seinem Blut gespült? Oder anders gefragt:
Wie kann man am besten loslassen?
Diese Frage habe ich Eric Hegmann natürlich ebenfalls gestellt. Wobei man hier etwas differenzieren muss. Denn je nach Ausprägung des erlernten Bindungsverhaltens sei das „auch ein Thema, das dann in ein therapeutisches Setting gehört“. Doch auch abseits davon muss man sich darauf einstellen, dass es eben nicht von heute auf morgen geht, sich von einem Menschen zu lösen. „Es handelt sich hierbei um etwas, das du über einen längeren Zeitraum trainieren musst. Es gibt keinen Schalter oder keine Pille, die Trennungsschmerz beendet. Es geht eher darum, in einen Veränderungsprozess zu gehen und diesen fortlaufend zu unterstützen“, erklärt mir Eric Hegmann.
Und ja, ich glaube, das ist der Key. Veränderungen machen Angst. Doch wenn man diese akzeptiert, sich Stück für Stück mit ihnen auseinandersetzt und erkennt, dass ein Ende immer auch der Anfang von etwas Neuem ist, schafft man es immer mehr in diesen Prozess des Loslassens zu kommen. Und bitte glaube mir: Es wird etwas Neues kommen.
Beim weiteren Recherchieren zu dem Thema bin ich an dieser Stelle auch auf die Seite von Chris Bloom, Coach und Podcaster, der ebenfalls durch den Prozess des Loslassens helfen kann, gestoßen. Dort hat er ein paar Strategien zum Loslassen aufgelistet, die ich sehr schön finde. So schreibt er unter anderem, dass es im ersten Schritt natürlich wichtig sei, sich seinem Schmerz hinzugeben, um so überhaupt irgendwie an den Punkt des Loslassens zu kommen. Heißt: Alle Gefühle, die rauswollen, dürfen auch raus. Und glaub mir: Been there, done that. Laut Chris durchlebt jeder Mensch außerdem sieben Phasen der Trennung (Schock – Leugnen – Wut – Gefühlsachterbahn – Akzeptanz – Loslassen – Selbstfindung). Dabei hat jede Person für sich ihr ganz eigenes Tempo. Doch wenn man erstmal an den Punkt des Loslassens gekommen ist, sei es seiner Meinung nach wichtig, sich auf die positiven Dinge – den Neuanfang – zu konzentrieren.
Und wenn ich da auf mich schaue, kann ich nur sagen, dass es genau das war, was auch mir bei meiner Trennung geholfen hat. Denn plötzlich hatte ich wieder Zeit, MICH zum Fokus zu machen und die Energie, die mir mein Hin- und Hergerissen-Sein am Ende meiner Beziehung geraubt hat, in mich und meine Zukunft zu stecken. Das war ein befreiendes Gefühl. Vor allem, weil ich so gemerkt habe, dass ich eigentlich schon lange nicht mehr meine eigenen Bedürfnisse in den Mittelpunkt gestellt habe. Und das sollte nie passieren. Stattdessen habe ich akzeptiert, dass einige Menschen eben einfach nicht zusammenpassen – auch wenn man sich das vielleicht wünscht oder lange Zeit gewünscht hat. Diesen ganzen Prozess kann man natürlich auch noch mit Journaling unterstützen. Denn manchmal hilft es, schwarz auf weiß festzuhalten, welche Gefühle man hat(te), sich zu reflektieren und so Emotionen zu verarbeiten.
Und klar, Social Media sollte man in dieser Zeit vielleicht auch runterschrauben. I know, das scheint oft schier unmöglich (wir alle sind eben süchtig nach unserer daily dose), doch das ständige Profil-Checken verhindert eben, dass wir wirklich loslassen und uns auf das konzentrieren, was gut für uns ist: einen Neuanfang.
Bei diesem Neuanfang kann übrigens auch Vergebung helfen. Denn wer vergibt (sich selbst oder einer anderen Person), lässt automatisch los – und zwar all die negativen Emotionen, die sich durch eine Trennung so anhäufen können. „Vergebung hilft vielen Menschen beim Loslassen, denn wenn ich abschließen kann mit einem Thema, dann gibt mir das Stärke und Ruhe gegen den Stress, den ein Verlust bei mir auslöst“, so auch Eric Hegmann in unserem Interview. Ich finde, das ist ein schöner Gedanke. Und auch wenn es bei meinem Ex nicht DIE eine große Sache gab, die vergeben werden musste, wie bei anderen vielleicht, so vergebe ich uns beiden vielmehr dafür, dass wir zu lange unehrlich zu uns selbst waren. Und ich vergebe mir, nicht schneller losgelassen zu haben. Aber vielleicht brauchte ich das auch, um erst so richtig zu kapieren, was ich möchte und was mir zukünftig wichtig ist. Und das bringt mich abschließend nun natürlich noch zu der letzten wichtigen Frage, die ich Eric Hegmann (ganz uneigennützig) stellen musste:
Woher weiß ich, dass ich losgelassen habe?
Seine Antwort: „Das ist sehr individuell, aber wenn du ohne starke psychische oder physische Symptome an die Person denken kannst, die nun nicht mehr ein wichtiger Teil deines Lebens ist, dann bist du auf einem guten Weg.“ Das bin ich wohl. Klar, manchmal holen mich bestimmte Dinge gedanklich natürlich trotzdem noch zurück – aber eben nicht mehr so, dass es wehtut. Ich habe stattdessen viel mehr Bock auf die Zukunft, was sicherlich auch daran liegen mag, dass da vor kurzem eine wundervolle neue Person in mein Leben spaziert ist, für die ich Platz haben will. Und einen besseren Beweis dafür, dass man die Vergangenheit losgelassen hat und bereit für etwas Neues ist, gibt es wohl nicht, oder?