Während Paare in den ersten Monaten ihrer Beziehung häufig gar nicht die Finger von sich lassen können, endet diese Honeymoon-Phase früher oder später – und jede*r kehrt in seinen natürlichen Sex Drive zurück. Das Problem dabei? Der ist bei jedem Menschen unterschiedlich stark ausgeprägt. Doch wie kommt man in einer Partnerschaft auf einen gemeinsamen Nenner, wenn eine Person mehr Lust hat als die andere?
Dania Schiftan ist Psychotherapeutin und klinische Sexologin und bietet nicht nur private Beratungen in ihrer Praxis an, sondern teilt ihr Wissen auch auf Instagram. Und sie hat bereits drei Bücher geschrieben, wovon das neueste – „Das Comeback deiner Lust“ – im August 2024 erschienen ist. Am Valentinstag habe ich Dania Schiftan zum Interview getroffen und mit ihr darüber gesprochen, was zu tun ist, wenn der Sex Drive in einer Beziehung auseinander geht. Wenn eine Person mehr Lust hat als die andere – und diese Differenz dann irgendwann anfängt, die Partnerschaft zu belasten. Was die Sexualtherapeutin zu diesem Thema zu sagen hat und was sie betroffenen Paaren rät, liest du jetzt …

Viele Paare haben einen ungleichen Sex Drive
Als ich Dania Schiftan danach gefragt habe, mit welchen Themen ihre Patient*innen am häufigsten zu ihr kommen, fiel der Satz „Wir haben verschiedene Sex Drives“ ziemlich schnell. „Das ist auf jeden Fall eines der größten Themen: Wer hat mehr und wer weniger Lust“, sagt die Sexualtherapeutin. Und auch wenn es ziemlich klischeehaft klingt, ist es laut Dania Schiftan meistens so, dass die Frau weniger Lust hat als der Mann. Ein weiterer Klassiker: Weniger Sex, sobald Kinder da sind. „Insbesondere Mütter, die plötzlich allein verantwortlich sind und einen riesigen Mental Load haben, merken häufig, dass Sex das einzige ist, wo sie sagen können ‚Ey ne, so nicht‘“, verrät die Expertin.
Die Folge, wenn zwischen zwei Partner*innen ein sexuelles Ungleichgewicht herrscht, egal ob mit oder ohne Kinder? „Sie empfindet ihn als drängend und als unter Druck setzend und als nervig und er hat im besten Fall zwar Verständnis, merkt aber, dass monatelang oder vielleicht sogar jahrelang keinen Sex zu haben, ihm auch nicht guttut“, fasst Dania Schiftan zusammen. Was die Sexualtherapeutin bei dieser Problematik allerdings besonders hervorhebt: „Es gibt niemand Gutes und niemand Schlechtes – beide haben ihre Berechtigung.“ Sowohl die Person, die sich unter Druck gesetzt fühlt, als auch die Person, die ihre Lust nicht ausleben kann. Immerhin ist Sex ein Thema, bei dem alle Beteiligten glücklich sein müssen. Aber wie bekommt man das in der Realität hin?
Was tun bei ungleichem Sex Drive in der Beziehung?
Eine unterschiedliche Libido hängt immer auch mit Zurückweisung zusammen. Und die sorgt nicht selten dafür, dass sich beide Partner*innen zurückziehen und dann – Überraschung – überhaupt nichts mehr läuft. Genau das gilt es zu vermeiden. Stattdessen ist es wichtig, das Thema gemeinsam anzugehen, darüber zu reden und eine Lösung zu finden. Mit welchen Tipps das am besten klappt, hat Dania Schiftan im Interview verraten. Das Wichtigste: Die Person, die weniger Lust hat, sollte sich auf keinen Fall einfach überwinden. „Das kann vielleicht eine Zeit lang gut funktionieren, aber auf die Dauer wird das echt doof“, so die Sexualtherapeutin. „Dann kann es zum Beispiel Schmerzen geben – oder man merkt, dass es eben gar nichts bringt und an der Situation ändert.“ Mit folgenden Dingen könnt ihr wirklich etwas bewirken:
#1 Über Ursachen & Bedürfnisse sprechen
Laut Expertin sollten Paare erst einmal gucken und verstehen, was wirklich das Thema ist: „Hat eine Person keine Lust, weil der Sex, der geboten wird, einfach nicht gut ist? Oder geht’s darum, dass sie vielleicht sehr schwer in eine Erregung reinkommt und er immer sehr schnell fertig ist und sie dann so halb aufgewärmt ist?“ Die Ursachen und Bedürfnisse sind individuell – wichtig ist, darüber zu sprechen und zu verstehen, was der Partner oder die Partnerin braucht, um Lust zu empfinden und in Stimmung zu kommen.
#2 Den Druck rausnehmen
„Man muss wieder lernen, nur zu küssen, knutschen ohne Ende, ohne danach Sex zu haben. Kuscheln, streicheln, vielleicht sogar sexuell stimulieren und dann aufhören. Ein Paar kommt häufig in so einen Sog rein, wo es immer um Sex geht – und immer um Penetration“, erklärt Dania Schiftan. Es ist zwar nicht unbedingt einfach, wieder einen Schritt zurückzugehen, sorgt am Ende aber dafür, dass sich die Person, die weniger Lust hat, „nicht die ganze Zeit verteidigen muss“ – weil klar ist, dass es danach „keinen ganzen Dominoeffekt“ geben muss. Ein weiterer Tipp der Expertin, um den Druck rauszunehmen: Selbstbefriedigung für die Person, die einen größeren Sex Drive hat.
Übrigens: Warum Langweile laut Dania Schiftan gut fürs Liebesleben ist, kannst du hier nachlesen …
#3 Mehr Abstand in die Beziehung bringen
„Eine gute erotische Beziehung braucht auch viel Abstand, viel Distanz“, findet die Sexualtherapeutin. „Jeder braucht auch sein eigenes Leben.“ Das Gleiche kann für das Liebesleben gelten: Einigen Paaren würde es laut Dania Schiftan guttun, für drei Monate komplett sexlos zu sein. Darauf hoffen, dass das Verlangen danach automatisch zurückkehrt, sollte man allerdings nicht. „Viele erleben stattdessen eher Druck und landen wieder in der gleichen Situation. Deshalb lohnt es sich, aktiv zu überlegen, wie man Nähe und Verbundenheit anders gestalten kann“, so die Sexualtherapeutin. Sie empfiehlt, den Fokus auf gemeinsame Erlebnisse zu legen – zum Beispiel auf Aktivitäten wie Wandern oder andere Unternehmungen – und „sich auf alternative Formen der Intimität zu konzentrieren und sich dabei bewusst Zeit zu lassen“.
#4 Zum Sex verabreden
„Anderen Paaren tut es gut, wenn sie sagen, es findet Sex statt, aber nur am Sonntag. Oder nur jeden zweiten Sonntag oder nur einmal im Monat“, so die Sexualtherapeutin. Auch das sei ein guter Weg, um für weniger Druck und Erwartungshaltungen zu sorgen – „weil je mehr man klärt und bespricht, desto weniger geht man auf Eiern. Alles, was auf Eiern laufen ist, löst nämlich jede Menge negative Gefühle aus.“ Dania Schiftan ist übrigens generell der Meinung, dass es normal sein sollte, sich für Intimität zu verabreden: „Bei Sex meinen wir immer noch, dass der spontan zustande kommen muss – aber ich finde das einfach nicht realistisch. Ich kenne fast keine Menschen, die ganz lang zusammen sind und spontanen Sex haben.“ Den können wir also auch gerne mal planen – genau wie Wellnessurlaub und ein Treffen mit Freund*innen.
#5 Das Party-Prinzip
„Wenn ich mich für Sex verabrede, und total angespannt und gestresst bin, dann wird’s ziemlich sicher nicht gut“, sagt Dania Schiftan und vergleicht das Ganze mit einer Situation auf einer Party: „Wenn ich nur lustlos am Rand stehe, wird es wahrscheinlich ein doofer Abend. Wenn ich mich aber aufbrezele und die ersten zehn Minuten voll lostanze, dann ist die Chance viel, viel größer, dass es auch gut wird.“ Das Gleiche gilt ihrer Meinung nach beim Sex: Zehn Minuten das Beste geben, sich reinsteigern – „dann ist die Chance, dass es dir Spaß macht, recht hoch“, so die Expertin. Und wenn nicht? „Wenn du nach diesen zehn Minuten merkst, dass es nichts wird, hört auf – kein Problem. Lebe damit, dass dein Partner vielleicht enttäuscht ist. Aber das ist er auch, wenn es gar nicht zustande kommt. So hast du es zumindest probiert.“
Wenn du mehr von Dania Schiftan lesen möchtest, können wir ihr neuestes Buch „Das Comeback deiner Lust“ empfehlen. Darin erfährst du, wie du deine eigene Libido zurückerobern kannst, wenn du das Gefühl hast, sie irgendwo zwischen Alltag und Beziehung verloren zu haben. Du findest es zum Beispiel in Dania Schiftans eigenem Shop oder bei Amazon: