Immer mehr Frauen setzen sich kritisch mit hormonellen Verhütungsmitteln auseinander. Diese Erfahrung hat auch die Frauenärztin Dr. med. Dorothee Struck gemacht. Aus ihren Praxiserfahrungen hat sie einen Ratgeber zum Thema natürliche Verhütung verfasst und mir im Interview erklärt, warum sich die Hormonspirale nicht für alle Frauen eignet, und Raucherinnen besonders vorsichtig sein sollten.
Dr. med. Dorothee Struck ist Gynäkologin und Ärztin für Naturheilverfahren. Seit 13 Jahren leitet sie eine Praxis in Kiel und hat nun ihren ersten Ratgeber „Natürlich verhüten“* herausgebracht, der ausführlich Alternativen zur Pille aufzeigt.
desired: Wie kommt es, dass immer mehr Frauen auf Hormone verzichten? Wird mehr über die Nebenwirkungen der Pille bekannt?
Dr. med. Dorothee Struck: Auf der einen Seite gibt es den Wunsch nach einem natürlicheren Leben. Viele Leute gehen bewusster mit ihrem Körper um und hinterfragen Dinge. Eine tägliche Hormondosis passt zu einem nachhaltigen Leben nicht dazu.
Auf der anderen Seite ist das Ganze nicht neu. Es gab immer mal wieder Wellen der starken Pillen-Kritik: angefangen in den 70ern, vorrangig über US-amerikanische Frauen und die feministische Gesundheitsbewegung. Die Nebenwirkungen haben sich aber verschoben. In den 70ern ging es um Thrombosen und schwerwiegende Nebenwirkungen. Die gibt es heute auch noch, aber deutlich weniger als damals – auch wenn es mehr scheint, weil über die Medien mehr Fälle publik werden. Die Östrogendosen waren früher viel höher und die Pillen waren ganz anders zusammengesetzt. Die Pillen, die wir heute haben, haben ihre eigenen Pferdefüße.
Sind alle hormonellen Verhütungsmittel „gleich schlimm“? Geben die Hormonspirale oder NuvaRing wirklich weniger Hormone im Körper ab als die Pille?
Die Firma, die den NuvaRing produziert, hat eine zeitlang damit geworben, dass weniger Hormone pro Tag abgegeben werden. Zumindest die Ärzte-Werbung hat sich in der Hinsicht komplett gewandelt, weil der Östrogenspiegel einer Anwenderin im Blut tatsächlich höher ist als bei einer etwas höher dosierten Pille. Das liegt daran, dass es direkt über die Scheidenhaut aufgenommen wird. Wenn ich etwas schlucke, geht es erst mal zur Leber. Die Leber verarbeitet einen Teil der Hormone. Flapsig gesagt schlucke ich einen Drittel der Pille zum Spielen für die Leber, was wiederum Probleme triggert. Auch wenn im NuvaRing weniger Hormone enthalten sind, habe ich einen höheren Östrogengehalt im Blut als mit einer vergleichbaren Pille, was an der Art liegt, wie das ganze Zeug aufgenommen wird.
Bei der Hormonspirale (Mirena) landen natürlich auch Hormone im Blut. Dem Hersteller wird häufig vorgeworfen, er würde damit werben, dass die Hormone in der Gebärmutter sitzen bleiben, was nicht wirklich stimmt. Man muss sich die Veröffentlichungen von Bayer mal ganz genau durchlesen. Die schreiben immer: ‚Die Verhütungswirkung findet in der Gebärmutter statt.‘ Das stimmt tatsächlich. Aber die Hormone machen ja nicht „Sitz“ und bleiben da vor Ort, sondern gehen auch in den Rest des Körpers – auch wenn es nur minimale Mengen sind. Das Problem dabei ist, dass schätzungsweise 5 bis 10 Prozent der Frauen gegen dieses synthetische Gelbkörperhormon Progestin überempfindlich reagieren. Das kann sich beispielsweise in Panikattacken oder Depressionen äußern.
Die Hormonspirale kann ein sehr nützliches Medikament sein. Ich will sie nicht in Grund und Boden verdammen, weil sie gerade für Frauen, die sehr stark bluten und einen Eisenmangel haben, sehr nützlich ist. Aber man muss einfach wissen, dass es ein Eingriff ins Hormonsystem ist.
Dr. med. Dorothee Struck
Würden Sie Raucherinnen aufgrund des erhöhten Krebsrisikos immer von hormonellen Verhütungsmethoden abraten?
Nicht grundsätzlich. Bei Raucherinnen ist eher die erhöhte Thrombose-Neigung ein Problem. Anfang-20-jährige Raucherinnen, die die Pille nehmen, haben etwa das doppelte Thrombose-Risiko im Vergleich zu Nichtraucherinnen. Ab 40 ist das Risiko sogar über 10-mal höher. Das ist der Hammer! Bei Rauchern altern einfach die Gefäße viel schneller. Spätestens ab Mitte 30 sollte sich eine Raucherin überlegen, von einer kombinierten Pille, die Östrogene enthält, Abstand zu nehmen. Reine Progestin-Präparate haben kein so hohes Thrombose-Risiko. Wenn das jemand als Medikament möchte oder braucht: gerne. Aber es gibt ja auch andere Verhütungsmethoden.
Was halten sie von Verhütungs-Apps?
Es gibt im Moment viele Anbieter, die damit werben, dass Verhütung per App supereinfach ist. Supereinfach ist leider nicht supersicher. Es gibt Apps, die von irgendwelchen Influencerinnen beworben werden… Wenn das Ding aber nur den ersten Tag der Menstruation haben will, aber keine genauen Daten, wie der Zyklus und die Temperaturkurve verläuft und wie der Muttermundschleim beschaffen ist, dann kann das nicht sicher sein. Damit werden leider auch Frauen im Moment ungewollt schwanger. Die denken sich: Ja, toll, ich setze die Pille ab, ich lade mir so eine App runter. Die gehen einfach davon aus, dass Technik funktioniert, aber der weibliche Körper ist halt keine Technik.
Beim Sex mit einem langfristigen Partner ist es verführerisch, mit Coitus Interruptus zu verhüten. Ich habe von vielen Freunden gehört, dass sie so verhüten. Ist diese Methode wirklich so unsicher?
Laut der WHO liegt hier das Schwangerschaftsrisiko zwischen 4 und 20 Prozent jährlich. Das hängt aber vor allem vom Alter der Männer ab. Männer über 50 erreichen meistens eine sehr hohe Sicherheit, weil diese oft auch Erektionsschwierigkeiten haben und länger brauchen, um zum Orgasmus zu kommen. Das kann man von einem 17-Jährigen nicht erwarten. Wir haben aus Deutschland keine Zahlen. In den USA und und Großbritannien ist Coitus Interruptus gerade bei Jugendlichen sehr auf dem Vormarsch und 27 Prozent werden damit jährlich schwanger. Das kann ich als Verhütungsmittel also nicht empfehlen!
Wie sicher eine Verhütungsmehode ist, erfährst du anhand des Pearl Index:
Vielen Dank für das interessante Interview, Frau Dr. Struck!
Viele Apps sowie der Coitus Interruptus eignen sich überhaupt nicht zur Verhütung. Was also tun, wenn man seinem Körper keine künstlichen Hormone zuführen will? Im zweiten Teil des Interviews erfährst du, wie du die natürliche Familienplanung (NFP) mit Kondomen oder einem Diaphragma kombinieren kannst.