Menschen wenden sich zunehmend vom ernüchternden und stressigen Alltags-Sex ab. Trends wie Karezza und Slow Sex sind auf dem Vormarsch. Auch für Tantra Sex interessieren sich immer mehr Paare, um ihre Sexualenergie zu aktivieren und ihr Bewusstsein zu erweitern. Was es mit der aus Indien stammende Lehre auf sich hat, erklären wir dir.
Was ist Tantra?
Tantra strebt die Vereinigung von Körper, Geist und Seele an. Übersetzt aus dem Sanskrit heißt Tantra „Gewebe“ oder „Gefüge“ – dabei geht es auch um die Verbindung der männlichen und des weiblichen Kraft, Shiva und Shakti. So spielt auch die sexuelle Vereinigung eine wichtige Rolle. Durch die körperlichen und lustvollen Erfahrungen wird die mentale Ebene stimuliert.
Wie kann Tantra Sex ein Paar bereichern?
Laut dem Yogameister Swami Satyananda kann die sexuelle Vereinigung drei Absichten haben:
- Kinder zeugen
- Vergnügen erleben
- Das Bewusstsein erweitern
Beim Tantra Sex geht es ausschließlich um das Letztere: Im echten Tantra wird Sex ausschließlich zu einem Teil des Sadhana, also zur Disziplin, um Erleuchtung zu erlangen oder den Kreislauf der Wiedergeburten zu überwinden.
Tantra geht über das Körperliche hinaus
Sexualität ist im Tantra heilig und hat einen heiligen Zweck, der Akt wird als sich wiederholender Schöpfungsakt und Begegnung von Shiva, einem der wichtigsten Götter des Hinduismus, und Shakti, der weibliche Urkraft des Universums, verstanden. Mit dem Kamasutra hat Tantra Sex nichts zu tun. Beim Tantra Sex erfasst die Erregung über die reinen Sexualorgane hinausgehend den gesamten Körper und das ganze Sein. Der Tantriker „dringt ins Reich der Frau ein und verehrt sie dabei als Ausdruck kosmischer Schöpferkraft“, so der Tantra- und Yogalehrer, Diplom-Psychologe und Therapeut Silvio Wirth.
Wie lange dauert Tantra Sex?
Das dauert natürlich: Während „herkömmlicher“ Sex im Schnitt 5 bis 20 Minuten dauert, ist für die echte tantrische Vereinigung eine oder mehrere Stunden eingeplant. Speziell der Mann braucht dafür Übung und Vorbereitung, um seine Erektion so lange halten zu können, ohne zu kommen oder von Kavaliersschmerzen heimgesucht zu werden.
Anleitung zum Tantra Sex
Beide Partner verharren beim Tantra Sex lange relativ unbeweglich, ohne dass die sexuelle Erregung nachlässt. Besonders der Mann bewegt sich tendenziell weniger. Überhaupt sollte der Mann – zumindest nach dem buddhistisch-tibetischen Tantra und dem Taoismus – nicht beziehungsweise nur wenig ejakulieren. Im Hindu-Tantra dagegen gilt laut Wirth das Sperma-Opfer mitunter als Sakrament. In jedem Fall ist die Ejakulation im Tantra kein unkontrollierter Reflex. Sie ist bewusstes Handeln, denn Tantra-Übung befähigt den Mann, entscheiden zu können, ob er ejakuliert oder nicht.
Eine der zentralsten Dinge beim Tantra Sex ist, dass man frei von selbstsüchtiger Motivation sein und versuchen soll, dem Partner und dem Ganzen zu dienen. Laut Tantra sammelt sich durch leichtfertigen Sex häufig unbewusst Karma an, wodurch sie wiederum der Charakter ändere.
Tantra Massage und Maithuna
Im Tantra Sex werden vor allem erotische Massagen eingesetzt. Dabei werden die Energieströme, die Chakren, zum Fließen gebracht. Dadurch wird die sexuelle Energie so sehr gesteigert, dass der Zustand der Ekstase erreicht werden kann.
Damit das gelingt, werden im Tantra Sex besonders bequeme Positionen eingenommen, in denen man lange verharren kann. Die Stellungen sollen so eine sexuelle Trance und einen erweiterten Bewusstseinszustand fördern. Die Missionarsstellung eignet sich dafür weniger. Stattdessen werden für die Maithuna, die sexuelle und spirituelle Vereinigung, besonders folgende erwähnt:
- Upavishta, die sitzende Position: Er sitzt im Lotussitz, sie auf seinen Oberschenkeln.
- Purushayita, die umgekehrte Missionarsstellung: Sie liegt auf dem Mann.
- Uttana-Bandha, ähnlich der Missionarsstellung: Aber er hockt vor ihr.
- Tiryakasana, die Scherenstellung in Seitenlage: Ist bequem und intim für Beide.
- Parshva piditaka, die rückwärtige Seitenlage: Auch als Löffelchen-Stellung bekannt.
Neben dem Samenerguss werden im Tantra-Sex zudem der Atem und das Denken zurückgehalten beziehungsweise kontrolliert: Die Pausen zwischen dem Ein- und Ausatmen werden verlängert und in Pranayama, Atemübungen, kontrolliert. Die Gedanken sollen während des Tantra Sexes im Idealfall komplett ruhen oder höchstens dem Mantra gelten. Durch diese Zurückhaltung in dreierlei Hinsicht wird laut Tantra der seelische Strom freigesetzt.
Lust als Weg zur Befreiung
Das funktioniert allerdings nur mit einer fortgeschrittenen Meditationspraxis. In der sogenannten Sahajiya-Strömung des Tantra erscheint die sexuelle Vereinigung als Krönung oder Gottesweihe einer langen abstinenten Lehrzeit, in der insbesondere der Mann lernen musste, seine Lust aufs Äußerste zu kontrollieren. So bekommt die Lust die Funktion, Energie zu schaffen, durch die das Bewusstsein erweitert. Die Fessel der Lust wird für den Tantriker zu einem Pfad der Befreiung. Dazu werden auch Aphrodisiaka genutzt, darunter auch Cannabis. Eine Besonderheit beim Tantra-Sex stellt laut Wirth übrigens die Menstruation dar: Laut der orthodoxen Hindu-Ansicht waren Frauen während der Menstruation unrein, sexualmagische Ansätze aber betonen gerade deren rituelle Kraft.
Tantra Sex als wiederentdeckter Trend
In einem moderneren Verständnis von Tantra Sex steht der liebevolle Umgang mit Sexualität in der Partnerschaft im Mittelpunkt. Dabei lassen sich Partner auf eine neue Vielfalt erotischer Kultur ein. Aber auch in offenen Beziehungen wird Tantra gelebt. Vor den eigentlichen Ritualen des Tantra durchlaufen Paare in der Regel ein Achtsamkeitstraining, um den eigenen Körper und die eigenen Empfindungen bewusst wahrzunehmen. Willst Du es selbst einmal mit Deinem Partner ausprobieren, kannst Du in Workshops und Kursen deutschlandweit die wichtigsten Dinge darüber lernen. Auf Amazon findest Du zudem Bücher zum Thema, etwa in Tantra: oder Die Kunst der sexuellen Ekstase.
Sexualität wird im Tantra also als Mittel zur Bewusstseinserweiterung genutzt. Tantra Sex ist geprägt von besonders langen Vereinigungen, der Kanalisierung von Energie und der Kontrolle des Samenergusses beziehungsweis des Orgasmus'.
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