Ein Masochist ist ein Mensch, der sexuelle Lust empfindet, wenn ihm Schmerzen zugefügt werden. Der Gegenpart des Masochisten ist der Sadist, der seine sexuelle Befriedigung daraus zieht, Schmerzen zuzufügen. Wir erklären hier die Ursprünge des Masochismus, seine verschiedensten Ausprägungen und die Frage, wann er eine sexuelle Störung darstellt.
- 1.Herkunft des Begriffs und Definition
- 1.1.Begriffsherkunft
- 1.2.Definition und Bedeutung
- 2.Arten und Ursachen des Masochismus
- 2.1.Der feminine Masochismus
- 2.2.Der erogene Masochismus
- 2.3.Der moralische Masochismus
- 3.Masochismus vs. Sadismus
- 4.Masochistische Sexualpraktiken im BDSM
- 4.1.Die Lust am Schmerz
- 4.2.SM-Praktiken
- 5.Die masochistische Persönlichkeitsstörung
- 5.1.Ursachen einer masochistischen Persönlichkeit
- 6.Verhalten und Therapie
Herkunft des Begriffs und Definition
Begriffsherkunft
Der Masochismus als Begriff geht auf den deutsch-österreichischen Psychiater und Rechtsmediziner Richard von Krafft-Ebing zurück. In seinem Hauptwerk „Psychophathia sexualis“ (1886), ein sexualwissenschaftliches Lehrbuch, untersuchte er die Sexualität des Menschen sowie die Beziehungen zwischen Psychiatrie und Strafrecht. Den Begriff des Masochismus definierte er, wie schon den Begriff des Sadismus, in Bezug auf einen Schriftsteller des 19. Jahrhunderts: Leopold von Sacher-Masoch schildert in einigen seiner Werke ein sexuelles und inszeniertes Schmerz- und Unterverwerfungsverhalten von Männern gegenüber exponierten Frauen.
Sinnbild der verführerischen, dominanten Frau, der sich ein Mann als Sklave völlig hingibt, ist die Hauptfigur seines bekanntesten Werks „Venus im Pelz“ (1870). Der Protagonist Severin verschreibt sich der jungen, reichen Witwe Wanda von Dunajew, die ihn an eine griechische Venus erinnert und geht mit ihr einen Vertrag ein, der ihn zu ihrem Sklaven macht. Diese erfüllt seine Unterwürfigkeitsphantasien, sperrt ihn ein und quält ihn physisch und psychisch. Vorbild für die fiktive Figur der Wanda war für Sacher-Masoch die aufstrebende Schriftstellerin Fanny Pistor. Seine Schriften enthalten viele reale, autobiographische Bezüge.
Obwohl das Werk keinerlei sexuelle Beschreibungen enthält, wurde es 1958 auf die Liste der jugendgefährdenden Schriften gesetzt, ist mittlerweile jedoch wieder frei erhältlich. Die Zensur wurde mit der intensiven Darstellung des Lustgewinns durch Auspeitschungen und Unterdrückung begründet.
Definition und Bedeutung
Laut Krafft-Ebing ist Masochismus die sexuelle Lust am Leiden, am Erleben von Schmerzen und Ertragen von Demütigung und Erniedrigung. Der Held in der „Venus im Pelz“ empfindet ein hohes Maß an Erotik darin, von seiner Angebeteten gedemütigt und gepeitscht zu werden. Mit vollkommener Lust erträgt er seine Unterwürfigkeit und ist dennoch letztendlich gefangen in seinen sadomasochistischen Fantasien. Inwieweit es sich hier um eine sexuelle Störung handelt und worin die Ursachen dieser liegen, hängt eng mit den Ausprägungen des Masochismus zusammen.
„Venus im Pelz“ wurde mehrfach fürs Theater adaptiert und fürs Kino verfilmt. Sehr erfolgreich war die Verfilmung aus dem Jahr 2013 von Regisseur Roman Polanski, mit Emmanuelle Seigner und Mathieu Amalric in den Hauptrollen:
Arten und Ursachen des Masochismus
Es gibt verschiedene sexuelle und nicht-sexuelle Ausprägungen des Masochismus, die auf unterschiedlichen Ursachen beruhen. In der Wissenschaft herrschen mehrere Definitionen vor. Der Begründer der modernen Psychoanalyse Sigmund Freud unterschied zu Beginn des 20. Jahrhunderts drei Kategorien des Masochismus.
Der feminine Masochismus
Bezeichnet den Masochismus, bei dem der Mann sich selbst während masochistischer Phantasien befriedigt oder als Einleitung in den Geschlechtsakt dienen. Der Masochist begibt sich in eine infantile Situation, fühlt sich schuldig und möchte so bestraft werden wie eine Mutter ihr Kind bestraft. Damit einher gehen auch Kastrationsphantasien, die spielerisch in Abbindungen und Peitschungen münden. Seine Ursachen liegen eindeutig in der Kindheit.
Der erogene Masochismus
Erogener Masochismus beschreibt das Prinzip der Schmerzlust. Sexuelle Erregung potenziert sich, sobald die Intensität eine Grenze zum Schmerz erreicht. Er macht alle Entwicklungsphasen der Freudschen Libido durch: Die Angst vom Vater gefressen zu werden (primitive orale Phase), der Wunsch vom Vater geschlagen zu werden (sadistisch-anale Phase) bis zur phallischen Phase der Kastrationsangst. Auch hier ist die Kindheit ausschlaggebend.
Der moralische Masochismus
Beim moralischen Masochismus wendet sich der Destruktionstrieb des Menschen gegen sich selbst. Es spielt keine Rolle, ob eine geliebte Person das Leiden zufügt oder eine fremde. Er fußt in einem unbewußten Schuldgefühl und Strafbedürfnis, das aus der Spannung zwischen dem von Freud definierten Ich und Über-Ich entsteht. Freud erklärt den moralischen Masochismus als eine Art Sadismus gegen sich selbst. Er sieht ihn als Folge einer kulturellen Triebunterdrückung, bei der man bestimmte kulturell unerwünschte Aggressionen unterrückt und sich diese irgendwann gegen die eigene Person richten.
In den 60er und 70er Jahren erweiterte der Sexualforscher Ernst Bornemann die drei Kategorien des Masochismus auch auf eine nichtsexuelle Komponente:
- Nichtsexueller oder psychischer Masochismus: Ein psychischer Masochist empfindet emotionale Befriedigung aus Demütigungen und Niederlagen im gesellschaftlichen Leben oder im Alltag. Misserfolge im Beruf oder Privatleben werden von ihm absichtlich herbeigeführt.
- Sexueller oder Konjunktions-Masochismus: Dem gegenüber hat der sexuelle Masochist einen Lustgewinn aus der Unterdrückung durch seinen Sexualpartner. Dabei kann es zu Selbstverletzungen während des Geschlechtsaktes kommen.
- Perverser oder Kompensations-Masochismus: Der Kompensationsmasochist empfindet sexuelles Vergnügen allein durch physischen Schmerz und Demütigung. Hier ersetzt das Schmerzempfinden und die dadurch erhaltene sexuelle Befriedigung den sexuellen Akt.
Masochismus vs. Sadismus
Sadismus und Masochismus sind im Begriff Sadomasochismus (auch in der Kurzform SM bekannt) zusammengefasst. Damit bezeichnen Psychologen und Sexualforscher zwei sexuelle Präferenzen, die untrennbar miteinander verbunden sind:
- Der Sadist erlebt sexuelle Befriedigung daraus, dem anderen Leid zuzufügen und ist der dominante Part.
- Der Masochist unterwirft sich dem Sadisten und zieht seinen Lustgewinn aus dem Erleiden dieses Schmerzes.
Die umgangssprachliche Form des Sadomasochismus beschreibt eine sexuelle Präferenz bei der die Sexualpartner einvernehmlich SM-Praktiken durchführen. Dem gegenüber steht ein psychologisch definierter sexueller Sadomasochismus, der als Störung des Sexualverhaltens behandelt werden müsste. Diese Form des Sadomasochismus bezeichnet die Psychologie auch als Paraphilie, d.h. sexuelle Neigungen, die von der üblichen Norm abweichen.
Die WHO definiert Sadomasochismus daher wie folgt:
„Es werden sexuelle Aktivitäten mit Zufügung von Schmerzen, Erniedrigung oder Fesseln bevorzugt. Wenn die betroffene Person diese Art der Stimulation erleidet, handelt es sich um Masochismus; wenn sie sie jemand anderem zufügt, um Sadismus. Oft empfindet die betroffene Person sowohl bei masochistischen als auch sadistischen Aktivitäten sexuelle Erregung.“
WHO, ICD-10-GM F65.5
Masochistische Sexualpraktiken im BDSM
Die Lust am Schmerz
Lust und Schmerz hängen untrennbar miteinander zusammen. Bereits seit der Antike sind Praktiken wie rituelle Auspeitschungen und Fesselungen überliefert, bei denen wir heute von SM-Praktiken sprechen würden. Im 19. Jahrhundert bezeichnete das Wort „Algolagnie“ (griech. Algos = der Schmerz, lagneia = Wollust) die Lust am Zufügen und Empfangen von Schmerzreizen. Heute löst der Begriff Sadomasochismus diese veraltete Wortschöpfung weitgehend ab. Wenn die Lust am Schmerz zum krankhaften Zwang wird, spricht man von der Algomanie.
SM-Praktiken
Die heutige Bezeichnung sadomasochistischer Praktiken mündet im Sammelbegriff BDSM: „Bondage & Discipline, Dominance & Submission, Sadism & Masochism“. In der BDSM-Szene treffen sich Personen mit gemeinsamen sexuellen Vorlieben auf SM-Parties, die meist mit Dominanz, Unterwerfung und Fetischismus im Zusammenhang stehen. In erotischen Rollenspielen und Sessions schlüpfen die Sexual- oder Spielpartner freiwillig in ihre bevorzugte Position. Der Masochist (Sub oder Bottom) gibt seine Autonomie zugunsten des dominanten sadistischen Partners (Dom oder Top) auf und erlebt die Lust am Schmerz. Während der Rollenspiele können diese Positionen je nach Vorliebe wechseln oder fließend ineinander übergehen.
Der deutsche Sadomasochismus-Verband spricht sich für die sexuelle Selbstbestimmung und gegen Gewaltmissbrauch aus. Wichtig dabei ist, dass alle SM-Praktiken auf strengen Regeln basieren und einvernehmlich durchgeführt werden. Ein Masochist entscheidet selbst, welche Praktiken er durchführen und wie weit er gehen will, indem vorher ein Safeword festgelegt wird. Diese Praktiken sind dann strafbar, wenn einer der Partner zu sexuellen Handlungen genötigt wird oder Gewaltmissbrauch stattfindet.
Das RACK-Prinzip: RACK steht für „risk-aware-consensual-kink“ d.h. risikobewusstes, einvernehmliches Ausleben gemeinsamer Neigungen. Ein Lager innerhalb der BDSM-Szene betont dabei den Risikoaspekt stärker. Hier ist umstritten, inwiefern sexuelle Praktiken sicher und vernünftig sind und ob beide Partner darunter dasselbe verstehen. Dabei geht es auch darum, sich von strafbarer sexueller Gewalt abzugrenzen und den Sicherheitsaspekt zu betonen.
Es gibt eine Vielzahl an Instrumenten und Utensilien, die in der BDSM-Szene angewendet werden und mit masochistischem Schmerzgenuss oder Unterwerfung zu tun haben. Einige Praktiken im Überblick:
- Atemkontrolle: Kontrollieren des Atems durch Anlegen eines Korsetts oder Hilfsmittel wie Masken und Plastiktüten.
- Auspeitschung: Züchtigung durch Peitschenhiebe mit Reitgerten oder einem sogenannten Flogger.
- Bondage: Aufwändige Fesselung mit Seilen oder Bondagetape. In der sanften Variante des Soft Bondage werden Handschellen verwendet, bei der erweiterten Variante des Suspension Bondage wird die gefesselte Person an Piercings aufgehängt.
- Spanking: Züchtigung durch Schlagen auf den Po mit der bloßen Hand oder Züchtigungsinstrumenten wie Flogger doer Paddles.
- Orgasmuskontrolle: Luststeigerung durch absichtliches Herauszögern des Orgasmus (auch als „Keuchhaltung“ bezeichnet). Der Partner wird immer nur soweit gereizt, bis er kurz vor dem Höhepunkt ist. Durch die andauernde Reizung wird starker sexueller Druck aufgebaut, der in einem intensiven Höhepunkt oder dem unbefriedigenden Abbruch mündet.
- Petplay: Beim Tierspiel schlüpft der Bottom oder Sub in die Rolle eines Tieres, wobei der Top-Partner der Tierhalter ist, der ihn an der Leine führt. Am häufigsten sind Pony- oder Dogplay.
- Analdehnung oder Figging: Bei der Analdehnung wird der Afterschließmuskel durch das Einführen von Gegenständen wie Dildos oder Analplugs erweitert. Beim Figging wird die Reizung durch ein Stück Ingwer intensiviert.
- Cutting: Cutting ist eine Form der Bodymodifikation, bei der mit einem scharfen Gegenstand Muster in die Haut geschnitten werden.
Hinweis: Einige dieser Praktiken sind äußert gefährlich (Stichwort RACK) und können teilweise lebensbedrohlich sein. Die Durchführung setzt anatomische Kenntnisse und sexuelle Erfahrung voraus, die Szene-Neulinge noch nicht haben und daher keinesfalls von jedem durchgeführt werden sollten.
Sexueller Masochismus als Störung?
Die heutige BDSM-Szene kämpft dafür, dass sexueller Masochismus nicht mehr als Störung angesehen, sondern als sexuelle Vorliebe anerkannt wird, die von der Norm abweicht. Demnach ist man nicht per se als „krank“ zu betrachten, wenn der eigene Lustgewinn durch einvernehmliche SM-Praktiken gestillt wird, obwohl sich diese Begrifflichkeiten noch immer in der WHO-Definition von sexuellen Präferenzstörungen finden lassen.
Die masochistische Persönlichkeitsstörung
Neben dem sexuellen Begriff von Masochismus gibt es noch die masochistische Persönlichkeitsstörung, die keine sexuelle Störung darstellt. Der Psychotherapeut Alexander Lowen (Begründer der bioenergetischen Analyse und Körperpsychotherapie) definierte Mitte des 20. Jahrhunderts verschiedene Körpertypen, darunter auch den masochistischen Charaktertyp.
Eine masochistische Persönlichkeit besitzt laut Lowen folgende Eigenschaften:
- Unterwürfige Einstellung
- Sich selbst opfern und unterdrücken lassen
- Negativismus
- Ausgeprägte Hass- und Feindseligkeitsgefühle
- Fehlende Selbstdurchsetzung
- Andauerndes Jammern und Klagen
- Herausforderndes Verhalten Dritter
- Angst vor eigenem gewalttätigen Ausbruch
Hinweis: Ob jemand eine solche Persönlichkeitsstörung besitzt, kann nur ein Facharzt beurteilen.
Ursachen einer masochistischen Persönlichkeit
Eine solche Charakterstörung kann sich in einer Familie entwickeln, in der es eine sehr dominante Mutter gibt, die sich aufopfert. Der Vater ist oft passiv und verhält sich unterwürfig. Liebe und Anerkennung gehen in einer solchen Familienstruktur mit starkem Druck auf das Kind einher. Das Kind wird von einer übertriebenen Mutterliebe erstickt und empfindet Schuldgefühle beim Versuch selbstständig zu werden. Viele Menschen mit einer solchen Persönlichkeit hatten als Kind oft Wutanfälle, die sie nicht ausleben durften und fühlen sich daher erniedrigt.
Verhalten und Therapie
Die masochistische Persönlichkeit zeigt teilweise selbstverletzendes Verhalten, beruht jedoch nicht nur auf diesem. Sie leidet sexuell unter Kastrationsangst und befürchtet, dass ihr Geschlechtsorgan verstümmelt werden könnte. Ein masochistischer Mensch hat außerdem generell Probleme Beziehungen mit anderen Menschen einzugehen und lebt oft allein.
Die Behandlung einer solchen Persönlichkeitsstörung gestaltet sich eher schwierig. Viele Patienten lehnen Hilfe eher ab, weil sie sich im Leiden und ihrer Opfer-Rolle wohlfühlen und ihren Charakter nicht als Belastung sehen. Eine Verhaltenstherapie ist sehr aufwändig und langwierig. Sie funktioniert nur bei grundsätzlicher Bereitschaft des Patienten und versucht die Denk- und Verhaltensmuster in mehreren Prozessen zu ändern.
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