Mehr als eine schnelle Nummer ist zwischen Alltag und Arbeitsstress oft nicht drin. Wir hetzen geradezu zwanghaft zur Entladung; Sex verkommt heutzutage schnell zum nebensächlichen Leistungssport. Gleichzeitig ist der „Akt der Liebe“ so angereichert mit Erwartungen, dass nur völlige Ernüchterung bleiben kann und wir uns fragen, was falsch läuft oder gar, ob wir überhaupt den richtigen Partner haben? Slow Sex bricht radikal mit dem konventionellen Verständnis und fordert stattdessen stressfreien und bewussten Sex abseits der 08/15-Langeweile.
Nach Slow Food, Slow Fashion, Slow Travel und Slow Yoga hat die Prämisse der Entschleunigung auch den intimsten Bereich erreicht – nämlich die körperliche Liebe, beziehungsweise, das was davon übrig geblieben ist. Die Bestsellerautorin und Sexualtherapeutin Diana Richardson hat in ihrem Dokumentarfilm „Slow Sex – Wie Sex glücklich macht“ gezeigt, wie es auch anders geht: langsam, tiefgehend, intensiv und entspannend.
Paare wollen mehr Sinnhaftigkeit
Damit trifft der Trend offenbar einen Nerv der Zeit, denn Paare wünschen sich laut Umfragen immer häufiger die Abkehr vom Leistungsdruck hin zu mehr Sinnhaftigkeit. Denn die Mär vom leidenschaftlichen, heißen und schweißnass triefenden Sex mit minutenlangen gleichzeitigen Orgasmen endet häufig in Erektionsproblemen und Orgasmusstörungen, weil der Leistungs- und Erwartungsdruck beide Partner völlig fertig macht.
Erfüllter Sex ist wie Medizin, sagt Diana Richardson. Viele Probleme in der Partnerschaft kämen daher, dass wir sexuell unerfüllt seien und nicht genug Liebe spüren. Mit Slow Sex, sagt sie, könnten wir mehr Bewusstsein aufbauen, Liebe und Harmonie spüren und unsere Lust intensiver und partnerschaftlicher erleben. Dabei geht um bedingungslose Hingabe und ein bewusstes Erleben und Wertschätzen.
Wiederentdeckung der Langsamkeit
Der Kernpunkt des Slow Sex ist wenig überraschend die Langsamkeit. Slow Sex beschreibt die genitale Vereinigung in Stille und über eine längere Dauer. Es geht also nicht darum, die Klitoris so präzise zu stimulieren, dass die Frau unmittelbar explodiert. Das gleiche gilt für den Penis.
Stattdessen sollen sich Paare auf die Vielfalt erotischer Spielarten konzentrieren, sie sollen sich lange streicheln, ausgiebig küssen und massieren. Sie sollen den Körper des Partners und der Partnerin genießen, mit Händen und Lippen spüren, Lustpunkte entdecken, die bislang ein erotisches Schattendasein fristeten, und sich dabei intensiv in die Augen sehen und innehalten. Entspannung und spielerische Elemente spielen dabei eine wichtige Rolle. Sogar der Verzicht auf den Koitus soll in manchen Fällen sehr entlastend wirken.
Abkehr vom Leistungsdruck
Der Leistungsdruck entfällt beim Slow Sex: Denn eine Erektion ist gar nicht notwendig, und auch Bewegung braucht es nicht. Nicht die mechanischen Muskelkontraktionen während des Orgasmus ist, wie auch beim Karezza, das Ziel, sondern Aufmerksamkeit und Präsenz. Die Jagd nach dem (vorgetäuschten) Orgasmus wird abgelöst von stundenlangen Zärtlichkeiten mit Höhenflügen neuer Art.
Durch bewusstes Atmen, Entspannung und Achtsamkeit entsteht ein heilsamer Raum für beide Partner, in dem feine Energieströme wahrgenommen werden können, die sich verbinden. Eichel und Muttermund können sich sanft berühren und verharren. „Wenn beide Partner zutiefst entspannt in sich ruhen und die orgasmische Energie in Stille genießen, kann so ein Zustand von Auflösung der Grenzen und Angstfreiheit entstehen“, schreibt Tantralehrerin Ilka Stoedtner.
Slow Sex soll den Spaß im Bett intensivieren. Wir haben da noch ein paar andere Vorschläge:
Bevorzugte Stellungen für Slow Sex
Für Slow Sex gibt es Stellungen, die sich besonders eignen: Es geht ja darum, lange in einer Position zu verharren, dabei zu entspannen und sich auf den anderen zu konzentrieren. Deswegen gilt es, unbequeme oder anspruchsvolle Körperhaltungen zu vermeiden. Positioniert Euch stattdessen so bequem wie möglich, etwa in der Löffelchenstellung, im „bestürzten Engel“ oder auf einem großen Haufen Kissen. Bewegt euch langsam und gefühlvoll, statt in schnellen Stoßbewegungen.
Slow Sex eignet sich perfekt für Langzeit-Paare, die ihr Sexleben wieder neu entdecken wollen. Dafür sollte man sich allerdings viel Zeit nehmen – „zwischen Tür und Angel“ kann höchstens wortwörtlich und als einleitender Aperitif zum darauf folgenden Hauptmenü gelten. Auch der Kopf sollte frei sein: Wenn Deine oder seine Gedanken um den Stress mit dem Chef kreisen, ist der Weg für Slow Sex versperrt. Denn Sex entsteht im Gehirn. Man muss zu hundert Prozent im Moment sein. Habt Ihr dagegen gerade wenig Zeit, darf es natürlich auch mal ein Quickie sein. Die besten Stellungen dafür findet ihr hier.
Willst Du mehr darüber erfahren, lohnt es, sich den Dokumentarfilm von Diana Richardson anzusehen. Darin stellt sie Paare vor, die sich vom konventionellen Sex abgewandt haben. Auch ihre Bücher helfen beim Verstehen und geben Anleitungen. Diese kannst Du etwa über Amazon beziehen. Wem das noch nicht reicht und wer auch praktisch Unterstützung will, kann die Making-Love-Seminare von der Autorin besuchen.
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