Es gibt viele Dinge, die ich in der Dating-Welt nicht verstehe – Ghosting und egoistisches Verhalten im Bett stehen ganz weit oben. Und Fake-Orgasmen. Denn warum man einer anderen Person vorgaukelt, sie hätte einem gerade eines der beflügelndsten Gefühle der Welt beschert, obwohl das eigentlich gar nicht der Wahrheit entspricht, will einfach nicht in meinen Kopf reingehen. Was genau ich daran so problematisch finde, erkläre ich euch jetzt.
Ich habe noch nie einen Orgasmus vorgetäuscht. Bevor ich mir für diese Leistung selbst auf die Schulter klopfe, muss ich allerdings zugeben, dass das eventuell an meiner früheren Sexpartner-Wahl liegt, mit der offenbar irgendwas nicht stimmte. Ich bin in der Vergangenheit nämlich viel zu oft an Typen geraten, die sich generell nicht für meinen Höhepunkt interessiert haben. Und dementsprechend bin ich gar nicht auf die Idee gekommen, ihnen etwas vorzumachen. Hat ja eh nicht interessiert – sad but true. Der Realität entspricht meine Zero-Fake-Orgasmus-Quote ganz offensichtlich aber nicht. Denn ein Blick in den Amorelie Sexreport 2023 verrät Folgendes: 66 Prozent der Frauen haben schon mal einen Orgasmus vorgetäuscht (bei den Männern sind es übrigens 34 Prozent). Der häufigste Grund für diese Entscheidung? Man wollte die Stimmung nicht trüben, weil der Sex eigentlich schön war. Hä? An dieser Erklärung sind so viele Dinge falsch, dass ich gar nicht weiß, wo ich anfangen soll.
Kein Orgasmus = schlechter Sex?
Um erst einmal das grundlegende Problem zu klären: Ob Sex gut ist, entscheidet nicht der Orgasmus. Wenn dem so wäre, hätte ich in meinem Leben definitiv mehr schlechten als guten Sex gehabt und einen Großteil meiner bisherigen Sexpartner traurig gemacht. Natürlich ist es nice, beim Sex zu kommen – wenn das aber nicht passiert, bedeutet das erstens nicht, dass der komplette Sex für die Tonne war und zweitens nicht, dass Frauen damit in irgendeiner Weise die Stimmung killen, weil Männer sich in ihrem Ego gekränkt fühlen. Hallo? Mehr Druck geht ja wohl nicht. Und außerdem kommen wir damit auch noch zu einem ganz anderen Problem: Beim Sex geht es nicht nur darum, den Mann happy zu machen, sondern um alle Beteiligten. Einen Orgasmus vorzutäuschen, nur damit sich der Mann gut fühlt, ist also definitiv ein Schritt in die falsche Richtung und trägt ganz bestimmt nicht dazu bei, den Orgasm Gap – also die Tatsache, dass bei heterosexuellen Paaren rund 95 Prozent der Männer beim Sex einen Höhepunkt erleben, aber nur 65 Prozent der Frauen – zu schließen.
Wer vortäuscht, schießt sich selbst ins Knie
Natürlich gibt es neben dem Stimmungskiller-Gedanken auch andere Beweggründe für Fake-Orgasmen. Wenn ich mich in meinem Freundinnenkreis umhöre, geht es meistens darum, den Sex in Richtung Ende zu dirigieren – einfach, weil man keinen Bock mehr hat oder komplett überreizt ist und weiß, dass ein Orgasmus eh nicht mehr drin ist. Der Gedanke dahinter: Wenn die Frau kommt, erteilt sie dem Mann damit die Erlaubnis, ebenfalls zu kommen und den Sex zu Ende zu bringen. Diesen Beweggrund kann ich zugegebenermaßen sogar nachvollziehen, weil ich die Situation selbst kenne. Trotzdem würde ich nie auf die Idee kommen, so zu tun, als würde ich kommen. Der Typ bemüht sich doch voll, was mega cool ist, und dann wird er eiskalt belogen? Echt fies, finde ich. Dabei ist es doch wirklich kein Ding, einfach ehrlich zu sein und ihn kurz darauf hinzuweisen, dass er sich nicht zurückhalten muss. Weder bei Longterm-Sexpartnern, noch bei One Night Stands.
Hinzu kommt, dass wir uns bei Ersterem ja quasi selbst ins Knie schießen. Denn wenn der Typ, mit dem wir regelmäßig ins Bett gehen, denkt, er macht einen Top-Job und bringt uns immer zum Orgasmus, wird er an seiner Vorgehensweise auch sicher nichts ändern – und wir nicht kommen. Bei One Night Stands ist der erste Gedanke natürlich, dass man den Dude vermutlich eh nie wieder sieht. Not my problem, das stimmt schon – aber leider könnte es irgendwann zum Problem anderer Frauen werden.
Was Fake-Orgasmen mit Nächstenliebe zu tun haben
Genau das musste ich schon mal erleben, als ich mit einem Ex-Typen über unser Sexleben sprach, mit dem ich alles andere als happy war. Seine Antwort: Er wäre es nicht gewohnt, sich zu bemühen, weil seine Ex-Freundin immer gekommen sei. No Joke. Ich wusste wirklich nicht, ob ich weinen soll, weil die Annahme, dass alle Frauen die gleichen Bedürfnisse haben, so traurig ist, oder lachen, weil seine Ex-Freundin ziemlich sicher nicht immer gekommen ist. (Ja, ich weiß, es soll diese gesegneten Frauen geben, bei denen es so ist – ich bin mir aber trotzdem ziemlich sicher). Mein Learning aus dieser Situation ist auf jeden Fall, dass vorgetäuschte Orgasmen langfristige Probleme auslösen können. Wenn ihr es also schon nicht für euch selbst tut, dann solltet ihr wenigstens aus Nächstenliebe aufhören, euren Sexpartnern etwas vorzumachen und ihre Egos fälschlicherweise zu pushen. Muchas gracias.
Please don't fake it 'till you make it
Dass Frauen beim Sex laut Statistik seltener kommen als Männer, ist natürlich nicht unsere eigene Schuld, denn dafür ist hauptsächlich unsere Anatomie verantwortlich. Wir können aber alle dazu beitragen, dass der Orgasm Gap kleiner wird. Und zwar, indem wir für uns selbst einstehen, unsere Bedürfnisse aussprechen und klar kommunizieren, was wir uns im Bett wünschen – auch wenn das bedeutet, dass wir den ein oder anderen Mann nochmal daran erinnern müssen, dass Penetration nicht alles ist. Wenn wir nicht einfordern, was wir brauchen, wird es uns auch niemand geben. Dass das leichter gesagt als getan ist, weiß ich – aber es lohnt sich, das kann ich versprechen.
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Bildquelle: Unsplash / iam_os